El Buen Vivir: «Gutes Leben» als Chance für einen anderen Entwicklungsweg
Das "Gute Leben" offenbart schonungslos die Fehler und Grenzen verschiedener Theorien der so genannten "Entwicklung". Mehr noch, die Akzeptanz dieser Idee im Diskurs verstärkte darüber hinaus die Kritik an einem Konzept von Entwicklung, das zum Selbstzweck geworden ist und das Leben eines Grossteils der Menschheit bestimmt, wobei es diesem jedoch aberwitzigerweise nicht vergönnt ist, die so ersehnte Entwicklung zu erreichen.
Die Frage, die an diesem Punkt gestellt werden muss, ist, ob es möglich und realistisch ist, eine andere soziale Ordnung innerhalb des Kapitalismus anzustreben. Und die Antwort darauf ist einfach: Nein, auf keinen Fall.
Das Gute Leben aus Sicht der indigenen Philosophie
Um zu verstehen, was mit dem Guten Leben gemeint ist, das nicht schlichtweg mit "westlichem Wohlstand" gleichgesetzt werden darf, müssen wir uns zunächst wieder mit der Kosmovision der indigenen Völker und Nationen vertraut machen.
In der indigenen Kosmovision gibt es kein Konzept von Entwicklung im Sinne eines linearen Prozesses mit einem bestimmten Zustand des Vorher und des Nachher. Auch die Idee eines zu überwindenden Zustands von Unterentwicklung findet sich dort nicht. Und noch weniger die Vorstellung von einem (schlechten) Entwicklungszustand, der dadurch erreicht wird, dass soziale Beziehungen und die Harmonie mit der Natur zerstört werden. Es gibt nicht – wie in der westlichen Gedankenwelt – diese Dichotomie, die einen Grossteil der zurzeit ablaufenden Prozesse erklärt und voneinander abgrenzt. Für indigene Völker existiert nicht das herkömmliche Konzept von einer Armut, die mit einem Mangel an materiellen Gütern einhergeht, ebenso wenig wie von einem Reichtum, der auf einer Anhäufung von Gütern beruht.
Aus Sicht der indigenen Kosmovision ist der soziale Fortschritt eine Kategorie, die sich in einem ständigen Kreislauf des Erschaffens und der Reproduktion befindet und bei der es um das Leben selbst geht.
Das Gute Leben im Rahmen der globalen Debatte
Als ein "work in progress"- Vorschlag stellt das Gute Leben das westliche Konzept des Wohlstands in Frage und als Vorschlag zum Kampf widersetzt es sich allen Formen des Imperialismus. Das Konzept des Guten Lebens findet seinen Ursprung natürlich nicht allein in der indigenen Welt, sondern auch in einigen universellen philosophischen Ansätzen, seien sie nun aristotelisch, marxistisch, ökologisch, feministisch, genossenschaftlich, humanistisch, …
Die Welt begreift, wenn auch nur langsam, dass der vorherrschende Lebensstil auf Dauer nicht weltweit gelebt werden kann. Daher bietet sich das Gute Leben darüber hinaus als Plattform an, um dringende Fragen zu den verheerenden Auswirkungen des Klimawandels auf globaler Ebene zu diskutieren. Das endlose materielle Wachstum könnte in einem kollektiven Suizid der Menschheit enden, wie es verschiedenste Entwicklungen nahe zu legen scheinen: die starke Erwärmung der Atmosphäre, die Zerstörung der Ozonschicht, der Verlust an Süsswasserquellen, der Einbruch der Biodiversität im Bereich der Nutz- und Wildpflanzen, die Vernichtung fruchtbarer Böden oder die beschleunigte Zerstörung der Lebensräume lokaler Gemeinschaften.
Aus globaler Perspektive betrachtet, hat die (irrige) Konzeption eines Wachstums auf Grundlage unerschöpflicher Ressourcen und eines Marktes, der jegliche Produktion aufnehmen kann, weder zur Entwicklung geführt, noch wird sie das künftig tun und schon gar nicht führt sie zu einem Guten Leben.
Die mechanistische und endlose Anhäufung von Gütern, die sich auf einen anthropozentristischen Utilitarimus gegenüber der Natur stützt, hat keine Zukunft. Die Grenzen dieses Lebensstils, der auf der ideologischen Sichtweise des klassischen Entwicklungsbegriffs basiert, nehmen immer deutlichere und beunruhigendere Züge an.
Das Menschliche wird (oder sollte) in einer Gemeinschaft mit anderen Menschen umgesetzt (werden), ohne den Anspruch zu haben, die Natur zu beherrschen: Denn die Menschheit befindet sich nicht ausserhalb der Natur, sie ist Teil eben dieser.
Gutes Leben ja, Dolce Vita nein
Ein grundlegender Gedanke besteht darin, dass ein bequemer Lebensstil für eine reduzierte Personengruppe in keiner Weise akzeptabel ist, wenn der Rest, die Mehrheit, leiden muss, um die Sonderrechte dieses privilegierten und unterdrückerischen Bevölkerungsteils aufrecht zu erhalten. Das ist die Realität des derzeit herrschenden Entwicklungsparadigmas, eine Realität, die integraler Bestandteil des kapitalistischen Systems ist.
Diese Sicht auf das Leben erfordert daher als Ausgangspunkt eine umfassende Umverteilung jener Dinge, die bislang nur in den Händen Weniger angehäuft sind. Diejenigen, die nichts oder nur wenig besitzen, müssen mit den grundlegendsten Dingen ausgestattet werden, die ihnen ein menschenwürdiges Leben ermöglichen. Wir sollten stets bedenken, dass es um ein Zusammenleben geht – ohne Elend, ohne Diskriminierung, mit den grundlegendsten Dingen und ohne diese als letztendliches Ziel zu haben. Das Fehlen von Elend impliziert als grundlegendes Ziel einer neuen Gesellschaft die Âbwesenheit eines Überflusses, der für dieses Elend verantwortlich ist.
Um das zu erreichen, bedarf es neuer Konsumweisen,die auf die Erfüllung elementarer Bedürfnisse ausgerichtet sind. Das Ziel sollte also nicht einfach eine stets wachsende und endlose Produktion an materiellen Gütern sein, sondern die Befriedigung der Bedürfnisse der Menschen – im harmonischen Zusammenleben mit der Natur. Das Gute Leben geht aber ohne Zweifel über die blosse Bedürfnisbefriedigung und den Zugang zu materiellen Gütern und Dienstleistungen hinaus.
Der Aufbau einer anderen Gesellschaft führt deswegen zu einer umfassenderen Freiheit für alle Bewohner und Bewohnerinnen dieses Planeten, auf der Grundlage wachsender Gleichheit und gestärkter Grundrechte. Ein Ziel, das innerhalb des kapitalistischen Systems nicht zu erreichen ist.
Die Aufgabe, der wir uns stellen müssen – ohne uns von Ernüchterungen abschrecken zu lassen – ist die, bereits auf dem Weg Alternativen zu erschaffen, die zu einer substantiellen Verbesserung der Lebensbedingungen der besagten marginalisierten Mehrheiten führen, so dass diese Mehrheiten die Verantwortung für die Gestaltung ihres Schicksals in die eigene Hand nehmen können. Dazu gehört schliesslich die kollektive Erarbeitung eines gemeinsamen Erwartungshorizonts durch alle sozialen Gruppierungen, die die historische Transzendenz des Guten Lebens als im Aufbau begriffenen Vorschlag für sich angenommen haben.
Der Beitrag wurde der Publikation "Darf’s ein bisschen mehr sein? Von der Wachstumsgesellschaft und der Frage nach ihrer Überwindung" entnommen. Diese spannende Broschüre von EED und Brot für die Welt will im Anschluss an Studie "Zukunftsfähiges Deutschland" informieren, zum Stöbern einlanden und eine Herausforderung sein zum Nach-, Mit- und Querdenken. Wiedergabe des Beitrags mit freundlicher Genehmigung.
Im Mai 2009 erschien beim Evangelischen Entwicklungsdienst in Bonn die Broschüre on Alberto Acosta: Auf der Suche nach dem verlorenen Paradies (pdf)