Elisabeth Hüttermann (Hrsg.): Ich bin… Lebensgeschichten aus Bolivien.
Als 2003 Gewerkschaften gegen den Ausverkauf des wichtigen Bodenschatzes Erdgas an US-Amerikanische Konzerne protestierten und Streiks organisierten, weitete sich dies zu breiten Unruhen aus. Die Proteste wandten sich auch gegen die vom Internationalen Währungsfonds geforderten Einsparungen im Staatshaushalt zur Verringerung der Auslandverschuldung. In diese Zeit fällt die Idee der Nichtregierungsorganisation Luciérnaga, viele bolivianische Frauen, Männer und Jugendliche aus verschiedensten Gebieten und Ethnien ihre Lebensgeschichte erzählen zu lassen. Mit Hilfe der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit wurde das Projekt realisiert. Die so entstandenen Porträts erschienen in regelmässiger Folge in verschiedenen bolivianischen Tageszeitungen – und fanden grossen Anklang. Für das Buch wurden die Porträts mit einem kurzen Hintergrund zum sozialen, wirtschaftlichen und geografischen Umfeld ergänzt.
Die Unruhen führten schliesslich zur Flucht von Präsident Gonzalo Sanchez de Lozada. Sein Nachfolger, Carlos Mesa, regierte im selben Stil weiter und erntete ebenso Massenproteste wegen der hohen Benzinpreise. Er reichte seinen Rücktritt im Juni 2005 ein. Nach einer Neuregelung der Zusammensetzung des Parlaments wurde am 18. Dezember Evo Morales zum neuen Präsidenten bewegt. Dessen Lebensgeschichte unterscheidet sich kaum von denen der im Buch „Ich bin…“ versammelten. Geboren wurde er als eines von sieben Kindern im Altiplano. Neben ihm überlebten nur zwei Geschwister die ersten drei Lebensjahre. Er arbeitete in seiner Jugend als Hirte, Bauer, Backsteinbrenner und Bäcker. 1979 zog er in den tropischen Chapare im Tiefland von Bolivien, wo seine Eltern ein Stück Land zur Produktion von Nahrungsmitteln und Kokablättern erworben hatten. Von da an begann er sich für die Verbesserung der Lebensbedingungen der einfachen und ausgegrenzten Menschen einzusetzen. Evo Morales repräsentiert als Indigener die indigene Bevölkerungsmehrheit. Gegen seine Politik der Reprivatisierung der Erdgas-, Erdöl- und Metallvorkommen gibt es von bürgerlicher Seite ebenso Opposition wie von vielen „einfachen“ Leuten, die mit Hilfe der Grauwirtschaft ein Auskommen gefunden haben – zum Beispiel mit illegalen und halblegalen Minen – und dies durch die Reformen in Gefahr sehen.
Die Porträts vermitteln auf ansprechende und lebendige Art und Weise ein Bild der Bevölkerung dieses an Bodenschätzen reichen Berglands, in denen die Armut das Los der Mehrheit ist. Und sie lassen uns verstehen, warum so hart um den gesellschaftlichen Zusammenhalt gerungen werden muss.
Elisabeth Hüttermann (Hrsg.): Ich bin… Lebensgeschichten aus Bolivien. Rotpunktverlag, Zürich 2007, 220 S. m. Zeichn. v. Jesus Perez, SFr. 38.-; Euro 22.-, ISBN 978-3-85869-358-7