Zu immer zynischeren Mitteln greift die Europäische Union, um Flüchtlinge von der Einreise abzuhalten. Die Abschreckung greift nicht, stattdessen sterben um ein Vielfaches mehr Menschen auf der Überfahrt von Libyen nach Lampedusa, wie das neuerliche Flüchtlingsdrama diese Woche zeigte. Was treibt aber Frauen, Männer und Kinder dazu, in Schlauchbooten ohne Wasser und Verpflegung die lebensgefährliche Überfahrt zu wagen und dafür auch noch Tausende von Euros hinzublättern?
Emmanuel Mbolela gibt in autobiografischer Form eine Antwort. Der Kongolese studierte an der Universität Mbuji-Mayi Wirtschaft. 2002 setzte er sich gewaltlos für demokratische Veränderungen ein, wurde verhaftet, misshandelt und war danach seines Lebens nicht mehr sicher. "Meine Familie brachte jedes nur erdenkliche Opfer, um das Leben ihres Sohnes, der sich in einer so wichtigen Angelegenheit engagiert hatte, zu retten", schreibt er.
Der Bericht seiner Odyssee durch ganz Afrika ist ein seltenes und wertvolles Zeugnis, das Einblick gibt in die Schicksale tausender von Menschen in Afrika, die sich in den meisten Fällen unfreiwillig auf den Weg machen – aus Notwehr, wie Jean Ziegler den Flüchtlingskaplan Cornelius Koch im Vorwort zitiert. In den Ländern entlang Mbolelas Fluchtroute – Kongo-Brazzaville, Kamerun, Nigeria, Benin, Burkina Faso, Mali, Marokko – hat sich eine Art "Tourismusbranche" herausgebildet, mit Reiseveranstaltern, Reisevermittlern, Unterkünften, Fahrern, Guides und so weiter. Die Preise sind mit denen im normalen Tourismusgeschäft vergleichbar. Doch stark im Gegensatz zum üblichen Reisegeschäft ist hier nicht der Kunde König, sondern der Anbieter. Auf dem Weg kommt voran, wer vermag, die immer wieder anfallenden unvorhergesehenen Zuschläge und Schmiergelder zu zahlen. Jederzeit ist mit Schikanen der Reisebegleiter oder der Behörden zu rechnen. Besonders schlimm ist die Situation für Frauen, die auf ihrer Flucht mit einer makabren Selbstverständlichkeit immer wieder sexuell ausgenutzt oder vergewaltigt werden. Grund für die prekäre Lage der Flüchtenden ist ihre Illegalisierung über immer neue Gesetze, die auch in den afrikanischen Ländern stetig vorangetrieben wird.
Mbolela tut auf der Flucht, was er schon im Kongo tat: Er schliesst sich mit LeidensgenossInnen und Gleichgesinnten zusammen und wehrt sich für bessere Verhältnisse. Nach Jahren erst gelingt ihm die Flucht nach Holland. Beim Abschied sagt ihm eine Flüchtlingsfrau in Rabat: "Emmanuel, vergiss uns nicht! Egal wo du hingehst, kämpfe überall für unsere Rechte!" So prangert Mbolela auch in Holland die Ausbeutung der MigrantInnen an und ist Mitgründer von Afrique-Europe-Interact, einem Netzwerk, für Austausch und gemeinsame Aktionen antirassistischer Basisgruppen aus Mali, Togo, dem Kongo, Deutschland, Österreich und Holland.
"Mein Weg vom Kongo nach Europa" ist packend geschrieben, ein Augenöffner, der durch den autobiografischen Ansatz auch Emotionen, Analysen und Appelle vermittelt. Damit ist es Mbolela gelungen, Zeitgeschichte von hoher politischer Brisanz in überaus lesbare und lesenswerte Form zu bringen.


Emmanuel Mbolela: Mein Weg vom Kongo nach Europa. Zwischen Widerstand, Flucht und Exil. mandelbaum Verlag, Wien 2014 (2. Auflage). 234 Seiten; CHF 24.90, EUR 14.90, ISBN 978-3-85476-456-4