Obwohl die sri-lankische Regierung betont, der Inselstaat Sri Lanka sei eine funktionierende Demokratie, wird die Menschenrechtssituation in Sri Lanka immer prekärer – insbesondere für dieje­nigen, die es wagen, Missstände aufzudecken und regierungskritische Meinungen zu äussern. Einer davon ist Herman Kumara, Leiter des National Fisheries Solidarity Movement (NAFSO), mit dem die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) seit einiger Zeit in Kontakt steht. Als kleine Fischereibetriebe im Februar 2012 aufgrund einer Erhöhung des Benzinpreises die Strassen blockierten, begann für Kumara die Verfolgung: Von einem Parlamentsmitglied wurde er beschuldigt, Anstifter der Unruhen zu sein, seine Familie und Nachbarn wurden über ihn ausgefragt und seine Reise an ein internationales Treffen in Rom wurde als Flucht eines Schuldigen dargestellt. Als er aus Rom nach Sri Lanka zurückkehrte, wurde er nach dem Verlassen des Flughafens von Unbekannten mit einem Fahrzeug verfolgt – nur knapp konnte er einer Entführung entgehen. Für zukünftige Aus­landaufenthalte Kumaras wird die GfbV ihre Beziehungen zu Botschaften und internationalen Organisationen in Sri Lanka nutzen, um dem Menschenrechtsverteidiger mehr Schutz zu bieten.
Spurlos verschwunden
Seine Verfolger hätten versucht, bei ihm dieselbe Strategie anzuwenden, wie sie es bei dem regierungskritischen Journalisten und Karikaturisten Prageeth Eknaligoda getan haben, sagt Kumara. Eknaligoda verschwand im Jahr 2010 nach einem Auslandaufenthalt spurlos. Auf die verzweifelten Fragen seiner Ehefrau Sandya Eknaligoda nach seinem Verbleib, erklärten die sri-lankischen Behörden, er sei einfach nicht mehr zurück gekehrt und lebe heute im Ausland – wo genau, konnten oder wollten sie ihr allerdings nicht sagen. Eknaligoda glaubt nicht an diese Version der Geschichte und versucht alles, um ihren verschwundenen Ehemann zu finden. Unter anderem nahm sie im März 2012 an einer Podiumsdiskussion in Genf teil, die von der GfbV zusammen mit anderen Menschenrechtsorganisationen anlässlich der Session des UNO-Menschenrechtsrates durchgeführt wurde. Das Podium hatte eine Resolution zum Thema, in welcher eine internationale Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen in Sri Lanka gefordert wurde. Was die sri-lankische Regierung davon hielt, war deutlich zu erkennen: Die an der Veranstaltung teilnehmende Delegation aus Sri Lanka war äusserst aggressiv, schrie lauthals dazwischen und beleidigte die Podiumsteilnehmenden – unter anderem Eknaligoda – als Lügnerinnen und Verräter. Die GfbV protestierte daraufhin in einem Brief an UNO-Men­schenrechtskommissarin Navi Pillay gegen dieses Verhalten, was Pillay zu einer ungewohnt deutlichen Kritik des Verhaltens der sri-lankischen Delegation bewegte.
Morddrohungen in der Schweiz
Kurz nach Ende der Sitzung des Menschenrechtsrates – an welcher die erwähnte Resolution zum grossen Ärger der sri-lankischen Regierung angenommen wurde – schickten Unbekannte in einem Ort in der Nähe von Genf anonyme Drohbriefe an in der Schweiz wohnhafte Tamilen ab. Die Briefe bezeichneten die Angeschriebenen als Verräter und enthielten Morddrohungen. Die GfbV drückte ihre Bestürzung darü­ber aus, dass Menschen, die vor dem Krieg in Sri Lanka in die Schweiz geflüchtet waren, bis hierher verfolgt werden und forderte die Schweizer Behörden auf, Massnahmen für die Sicherheit der Betroffenen zu ergreifen. Ob in Sri Lanka, an der UNO in Genf oder bei sich zu Hause in der Schweiz – überall werden Menschen, die sich öffentlich für die Menschenrechte in Sri Lanka einsetzen, bedroht. Da muss man sich fragen: "Ist eine Demokratie, in der man nicht fragen darf, ob sie eine wirkliche Demokratie ist, wirklich eine Demokratie?"
Der Beitrag erschien im VOICE 2–2012, dem Magazin der Gesellschaft für bedrohte Völker Schweiz. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung.