Die ersten fair gehandelten Pilot-Reiseangebote sind auf dem Schweizer Markt erhältlich – eine Welt-premiere und ein Durchbruch zugleich für die Entwicklung des Fairen Handels im Tourismus sowie für die zahlreichen Reisenden, die seit Langem nach fairen, umwelt- und sozialverantwortlichen Reisen suchen.

Verschenktes Potenzial der Reisebranche

Bereits 2007 gaben 37 Prozent der Fernreisenden bei einer repräsentativen Umfrage in Deutschland an, dass sie Fair Trade-Angebote buchen würden, sofern solche Urlaubsreisen vertrauenswürdig im Reisebüro erhältlich wären. In der Schweiz, beim Weltmeister im Fair Handels-Konsum, wo pro Kopf der Bevölkerung weltweit mit Abstand am meisten für fair gehandelte Produkte ausgegeben wird, dürfte das Interesse durchaus noch grösser sein. Der Trend zum verantwortlichen Konsum scheint sich gerade hierzulande auch im Freizeit- und Reisebereich immer klarer abzuzeichnen. Noch fehlen in der Schweiz zwar solide Markterhebungen dazu. Doch vorsichtigen Schätzungen aus wissenschaftlichen Erkenntnissen und Insiderangaben aus der Branche zufolge könnten 14 bis 18 Prozent der Schweizer Reisenden heute bereits fair gehandelte Angebote buchen, was für Fernreiseveranstalter ein Marktpotenzial von 67 bis 86 Millionen Schweizer Franken bedeuten würde.
Das ist ein beachtliches Potenzial – vor allem auch angesichts des aktuellen Booms des Fairen Handels, der sogar in der jüngsten Krise mit zweistelligen Zuwachsraten jährlich aufwarten konnte. Doch die Reiseanbieter vermochten dieses Potenzial bislang nicht zu nutzen. Höchste Zeit also, dass Herr und Frau Schweizer nun effektiv die ersten Fair Trade-Reisen buchen können – und diese führen nach Südafrika.

Pionier Südafrika

Kein Wunder, denn in Südafrika zertifiziert die Initiative "Fair Trade in Tourism South Africa" (FTTSA) bereits seit 2003 in einem einzigartigen Pionierunterfangen Anbieter von touristischen Leistungen nach Fair Handels-Kriterien. Bis heute hat FTTSA rund 70 Angebote für Unterkunft, Ausflüge, Sport- und Kulturveranstaltungen ausgezeichnet.
FTTSA ermöglichte mit seinem fundierten Fachwissen nun erstmals auch, über die Anbieter von konkreten Dienstleistungen in der Destination hinaus den Handel im komplexen Servicebereich Tourismus nach Fair Trade-Kriterien auszugestalten und dafür auch Transportunternehmen in Südafrika sowie Reisevermittler bis in die Schweiz auf den Fairen Handel zu verpflichten. So gewährleisten die ersten Fair Trade-Reisangebote in der Schweiz der Kundschaft gegenüber, dass nicht nur die bereits durch FTTSA zertifizierten Hotels und Ausflüge in Südafrika, sondern auch die Reiseveranstalter in Südafrika und der Schweiz sowie schrittweise auch die Transportanbieter in Südafrika in ihren eigenen Unternehmen und ihren Geschäftsbeziehungen Kriterien des Fairen Handels einhalten und darauf überprüft werden. Dabei haben sich etwa die Reiseveranstalter nicht allein auf verantwortungsvolles Management im eigenen Betrieb verpflichtet sondern darüber hinaus darauf, ihren Geschäftspartnern faire Preise zu bezahlen, welche die Gestehungskosten der Anbieter in Südafrika decken und die Bezahlung von existenzsicherenden Löhnen für die Angestellten sowie Umweltmassnahmen ermöglichen. Weiter erhalten die Anbieter in Südafrika ihre Bezahlung beim Eintreffen der Kundschaft und nicht wie bislang erst Wochen oder gar Monate danach. Zudem wird auf den Preis der lokalen Anbieter eine Fair Trade-Prämie von 5 Prozent erhoben – ein Aufpreis, der für die Entwicklung der Gemeinschaften in den Zielgebieten eingesetzt und von einem spezifisch dafür eingesetzten, unabhängigen Gremium vor Ort verwaltet wird.
Das sind im Bereich des Reisens völlig neue, bislang unbekannte Massnahmen für eine breitere, gerechtere Verteilung der Einnahmen. Dabei kommt ganz einfach nun erstmals im Tourismus das Verfahren zum Zug, das für die faire Ausgestaltung von Kaffee, Bananen und vielen weiteren Produkten schon längst erfolgreich angewandt und auf internationaler Ebene mit dem bestens bekannten Fair Handels-Label der Fair Trade Labelling Organizations International (FLO) ausgezeichnet wird.

Solider Aufbau

Ganz einfach? Vor der Produktentwicklung im komplexen Dienstleistungsbereich sind die Fair Handels-Experten wie auch auch die Reisefachleute lange zurückgeschreckt. Dass die ersten Fair Trade-Reisen möglich wurden, ist das Resultat langer umsichtiger Aufbauarbeit. Bereits in den 90er Jahren haben Tourismusfachstellen wie Tourism Concern London oder der arbeitskreis tourismus & entwicklung Basel erste Einschätzungen und Recherchen zum Fairen Handel mit ihren Partnern aus Süd und Nord vorgenommen.
Von 2006 bis 2009 berief FLO, der Dachverband der internationalen Fairtrade-Labelorganisationen, eine hochkarätige Beratungsgruppe von Fairtrade- und Tourismusorganisationen aus Südafrika,
Gambia, England, Frankreich, Deutschland und der Schweiz, darunter auch der arbeitskreis tourismus & entwicklung, um konkret die Machbarkeit eines international gültigen Fair Handels-Labels im Tourismus abzuklären und Wege für dessen Einführung zu skizzieren.
Aufgrund dieser Erkenntnisse nahm Fair Trade in Tourism South Africa (FTTSA) 2009 gemeinsam mit der Arbeitsstelle Tourism Watch des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED) Bonn und dem arbeitskreis tourismus & entwicklung Basel das Pilotprojekt auf, um erstmals Schweizer und Deutsche Reiseveranstalter in den Fairen Handel im Tourismus einzubeziehen. Das Pilotprojekt wurde vom Schweizer Staatssekretariat für Wirtschaft im Rahmen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit gefördert. Die ersten Fair Trade-Reisen auf dem Schweizer Markt sind das Resultat einer langjährigen fruchtbaren Zusammenarbeit von Akteuren aus Privatwirtschaft, Behörden und zivilgesellschaftlichen Organisationen. Bereits sind erste Pilotangebote auf dem Deutschen Reisemarkt in Vorbereitung, und das Interesse aus Belgien, Holland, Österreich und Grossbritannien ist manifest.

Keine Nische, sondern Wegbereiter zu einem verantwortungsvollen gerechten Tourismus

Mit seinen klaren Grundsätzen zur Förderung von benachteiligten ProduzentInnen und Arbeitneh-merInnen in der gesamten Handelskette sowie der Bezahlung eines fairen Preises und einer Fairtrade-Prämie für soziale Entwicklung in der Destination eröffnet der Faire Handel auch im Tourismus einen viel versprechenden neuen Handlungsrahmen für eine sozial gerechte nachhaltige Entwicklung. Analog zum Fairen Handel bei Produkten hat der Faire Handel im Tourismus zum Ziel, die Lebensbedingungen von benachteiligten KleinunternehmerInnen und Tourismusangestellten zu verbessern, ihre Lebensgrundlagen zu sichern und ihnen eine würdige Existenz zu ermöglichen. Erstmals kann dies nun mit den neu zertifizierten Fair Trade-Reisen auch den Reisenden gegenüber gewährleistet werden.
Dabei ist klar: Der Faire Handel im Tourismus ist nicht einfach eine neue "faire" Nische im Markt, sondern weist konkret den Weg, wie die gesamte Tourismusbranche fairer, sozial gerechter wirtschaften kann. Der Faire Handel bietet die Chance, einen Tourismus zu realisieren, der umfassend – ökonomisch, ökologisch und sozial – nachhaltig ist und den Erwartungen der Reisenden nach einem attraktiven erholsamen Urlaub ebenso nachkommt wie denjenigen der Einheimischen am Reisezielort nach neuen Einkommen, dem Respekt ihrer Lebensgrundlagen, ihrer kulturellen Vielfalt und ihrer Würde.