Erklärungen zum «nachhaltigen Tourismus» haben Hochkonjunktur:
Male-Deklaration
Dem Umweltschutz müsse künftig grössere Bedeutung bei Planung und Umsetzung von Tourismusprojekten beigemessen werden, erklärten die 180 Delegierten aus 27 Staaten Asiens und des Pazifiks auf einer Konferenz, die vom 16. bis 18. Februar 1997 in Male, der Haupstadt der Malediven, stattfand. Auf dem von der Welttourismusorganisation (WTO) einberufenen Gipfeltreffen wurde die «Male-Deklaration» verabschiedet, die sich zum Ziel setzt, die Vorgaben der Rio-Konferenz und der Agenda 21 im Tourismus des asiatisch-pazifischen Raumes umzusetzen. Die 12-Punkte Erklärung unterstreicht die herausragende Bedeutung des Schutzes und der nachhaltigen Nutzung von Ressourcen für die Zukunft des Tourismus und fordert nicht nur mehr Verantwortung von der Wirtschaft und eine engere Zusammenarbeit zwischen Quell- und Gastländern, sondern den umfassenden Einbezug der BewohnerInnen der Gastregionen in die Entscheidungen und die Entwicklung des Tourismus. «Solange die betroffenen Menschen nicht am Ertrag des Tourismus teilhaben, werden sie ihn ablehnen und Widerstand leisten», meinte die Tourismusminsterin der Seychellen, Simone de Comarmond. Der frühere Generalsekretär der WTO, Antonio Enriquez Savignac, hob seinerseits hervor, dass ohne den Einbezug der gastgebenden Bevölkerung nicht von einer verträglichen Tourismusentwicklung die Rede sein könne. Verschiedene Delegierte forderten die WTO auf, brauchbare Instrumente für eine nachhaltige Entwicklung im Tourismus und zur Implementierung der Zielsetzun-gen der «Male-Deklaration» zu erarbeiten.
Meldung zur Pressekonferenz des Tourismusministeriums der Malediven vom 10.3.97 in Berlin; WTO-News March 1997; Fremdenverkehrswirtschaft fvw 6/97/cp
Berliner Erklärung
Im Vorfeld der Internationalen Tourismusbörse ITB rief die Bundesumweltministerin Angela Merkel vom 6. bis 8 März 1997 in Berlin eine internationale Umweltministerkonferenz zum Thema «Biologische Vielfalt und Tourismus» ein. Hochrangige Delegierte aus 17 Ländern, der EU, des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP), der Umweltfazilität der Weltbank (GEF), der Welttourismusorganisation (WTO), der International Union for the Conservation of Nature and Natural Ressources (IUCN) sowie anderer internationaler und nichtstaatlicher Organisationen unterzeichneten die «Berliner Erklärung», die neue Voraussetzungen zur Einhaltung der 1992 auf dem Umweltgipfel in Rio getroffenen Vereinbarungen, insbesondere der Erhaltung der Artenvielfalt, schaffen soll. Die «Berliner Erklärung» hebt die wirtschaftliche Bedeutung des Tourismus und seine Rolle für die Erhaltung der biologischen Vielfalt hervor, weist aber zugleich auf den namhaften Konflikt zwischen Tourismusentwicklung und Natur- und Artenschutz. Die Vertragsstaaten des Rio-Übereinkommens zur Biodiversität werden aufgefordert, auf der Grundlage der «Berliner-Erklärung» Richtlinien für eine nachhaltige Tourismusentwicklung auf globaler Ebene zu erarbeiten. Zugleich appelliert die «Berliner Erklärung» an die UN-Sondergeneral-versammlung sowie bilaterale und multilaterale Finanzierungsorganisationen, das Thema nachhaltiger Tourismus künftig verstärkt zu berücksichtigen und in die Arbeitsprogramme der Umsetzung der Agenda 21 einzubeziehen.
Berliner Erklärung vom 8.3.1997; Pressemitteilung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit vom 24.2.1997; Umweltdossier der Fremdenverkehrswirtschaft fvw 5/97/cp
Wieviel Papier braucht es, damit nicht gehandelt werden muss?
Dass Tourismus und Umwelt eng miteinander verknüpft sind, ist wahrlich keine neue Erkenntnis. Neu ist, dass auf prominenter nationaler und internationaler Ebene dieser – verhängnisvollen – Verflechtung Rechnung getragen wird. Die Lage scheint wirklich ernst, und dass dies in entscheidenden Gremien endlich zur Kenntnis genommen wird, mag freuen. Noch viel erfreulicher wäre, wenn den hehren Worten auch Taten folgen würden. Da liegt die «Lanzarote-Charta» vom April 1995, kläglich gestrandet in ihrer Umsetzung, weil sich offensichtlich von den Unterzeichnenden niemand so richtig dafür verantwortlich fühlt. Ihren jüngeren Geschwisterchen, der «Male-Deklaration» und der «Berliner-Erklärung» dürfte ein ähnliches Schicksal beschieden sein, wie übrigens all den zahlreichen Absichtserklärungen zum Tourismus der letzten 30 Jahre, die ebenso unverbindlich ausgestaltet wurden. Eine gewisse Signalwirkung ist ihnen nicht abzusprechen. Doch um umsetzbar zu sein, müssten Vereinbarungen im Klartext abgefasst, die Verantwortlichen bezeichnet und die Unterzeichnenden in die Pflicht genommen werden. Davon sind die Papiere weit entfernt. Während die «Male-Deklaration» zumindest noch auf die zentrale Rolle der Partizipation der gastgebenden Bevölkerung für eine nachhaltige Entwicklung verweist, welche auch die «Lanzarote-Charta» hervorhebt, spricht die «Berliner Erklärung» höchstens noch von Zusammenarbeit aller Beteiligten oder dem Respekt der örtlichen Umwelt, traditioneller Lebensweisen und Kulturen. Auf das Konzept der Nachhaltigkeit und was es für den Tourismus in der Praxis bedeutet, wird in keiner der Erklärungen explizit eingegangen. Da müssten nämlich Stichworte wie verbindliche Grenzwerte für Belastbarkeit, Abkehr vom ausschliesslichen Wachstumprinzip der Branche, Änderung des Konsumverhaltens, Naherholung, etc. vorkommen. So ist auch von einer Begrenzung des Flugverkehrs für Tourismus nirgends die Rede. Die Umweltminister haben bei der Unterzeichnung der «Berliner Erklärung» gar das Kunststück vollbracht, das globale Klima ganz auszublenden, das für die Erhaltung der globalen Biodiversität ja nicht gerade bedeutungslos wäre und das vom Ferntourismus in keineswegs unbeträchtlichem Masse bedroht wird. Dafür wimmelt es in der «Berliner Erklärung» von «müssten» und «sollten» und zu treffenden «Massnahmen», ohne dass ausrei-chend präzisiert wird, wer nun welche Massnahmen konkret zu ergreifen hat. Es schleicht sich der Verdacht ein, hier werde erklärt, um nicht handeln zu müssen. Was wäre, wenn – angesichts des ungebrochenen Wachstums des Tourismus und der immer dringlicheren Notwendigkeit, die damit verbundenen Probleme zu bewältigen – die beträchtliche Energie, die von der Erstellung von Absichtser-klärungen absorbiert wird, direkt in die Ausarbeitung von konkreten Aktions-plänen und wirksamen Massnahmen auf internationaler, staatlicher und privatwirtschaftlicher Ebene gesteckt würde?
Christine Plüss