Erleben statt kaufen
Geschickte Marketingstrategen versuchen es immer wieder: Sie wollen uns weismachen, wir könnten mit "gutem" Konsum die Welt retten. Doch hier liegt der eigentliche Kern des Problems, denn die grösste ökologische Auswirkung hat immer die Produktion von Konsumgütern selbst. Eine nachhaltig produzierte Regenjacke ohne viel Chemie ist zwar weniger umweltschädlich als ein mit viel PFCs imprägniertes Modell – der umweltfreundlichste Entscheid wäre allerdings derjenige, gar keine Jacke zu kaufen. Wenn wir aber alle keine Jacken mehr kaufen, dann hat nicht nur die Verkaufsbranche ein Problem, sondern letztlich unsere ganze Gesellschaft, die stark von Konsum und Wirtschaftswachstum abhängig ist. Mountain Wilderness Schweiz hat sich mit Irmi Seidl, Ökonomin mit einem Fokus auf die Postwachstums-Thematik, und Ruedi Thomi, Marketingstratege in der Outdoorbranche, auf ein Gespräch getroffen.
Irmi Seidl, was ist eigentlich eine Postwachstumsgesellschaft?
Irmi Seidl: Das ist eine Gesellschaft, die nicht mehr vom Wirtschaftswachstum abhängig ist. Heute basieren grundlegende Pfeiler unserer Gesellschaft wie Altersvorsorge, das Gesundheitssystem oder der Arbeitsmarkt darauf, dass die Wirtschaft ständig wächst. Allerdings ist seit den 1970ern ein Rückgang der Wachstumsraten festzustellen und ohne Zuwanderung, staatliche Impulse und steigender Verschuldung wären die Raten heute noch niedriger. In der Altersvorsorge kämpfen wir z. B. mit dem Problem, dass die Finanzmärkte unzureichende Rendite ermöglichen, was die 2. Säule schwächt. Die Leistungen sinken. Weiter: Die Ausgaben des Gesundheitssystems steigen ständig und so auch die Prämien. Technischer Fortschritt – ein Grund für Wachstum – frisst Jobs. Und um neue Jobs zu generieren, brauchen wir wiederum Wirtschaftswachstum. In einer
Postwachstumsgesellschaft müssen wir nicht nur praktische Lösungen für die Probleme der Sozialwerke finden, sondern auch die verbleibende Arbeit auf mehr Schultern verteilen. Womit wir mehr Zeit hätten und suffizienter leben könnten. Vielleicht hätten wir auch mehr Zeit für die Berge …
… womit wir mitten im Thema sind. Auch die Outdoorbranche ist heute kein Wachstumsmarkt mehr und scheint darum enorm viel Geld ins Marketing zu stecken. Ständig kommen neue, noch spezialisiertere und modischere Produkte auf den Markt.
Ruedi Thomi: Die Outdoorbranche ist gefordert. Ein Wachstum findet nur noch auf Kosten anderer Marktteilnehmer statt – eine klassische Verdrängungssituation. Wir stecken tatsächlich in einem Teufelskreis. Die erste Gore-Tex Jacke auf dem Markt war drei Jahre verkaufbar. Heute ist die Branche viel stärker modegetrieben. Teilweise werden bloss die Farben der Reissverschlüsse geändert. Damit wird ein Modell zu einem Vorjahresprodukt und der Handel ist gezwungen, es abzustossen. Dennoch: Die meisten Outdoor-Produkte sind immer noch auf Langlebigkeit ausgerichtet. Gute Fachgeschäfte verkaufen keine Wegwerf-Produkte wie Einmal-Zelte für Openairs oder Gummi-Boote für die einmalige Flussfahrt. In guten Bergsportgeschäften stehen vielmehr die Erfahrung und Kompetenz der Mitarbeiter sowie die Beratung im Zentrum.
Wäre es ein möglicher Ansatz für die Zukunft, neue Einnahmequellen statt über den Produkteverkauf über Zusatzleistungen wie Beratung zu generieren?
Irmi Seidl: Das ist etwas, das schon sehr lange gefordert wird. Letztlich steht ja gerade beim Bergsport die Funktion – also dass ich z. B. nach einer Wanderung ohne Blasen ankomme – im Vordergrund. Diese Funktions- statt Produkteorientierung birgt Potenzial für die Nachhaltigkeit. Die Leistung eines Geschäftes könnten in diesem Fall gute Beratung, passende Socken oder der Verleih passender Schuhe sein. Produkte, die ein Kunde gut beraten kauft, sind besser seinen Bedürfnissen angepasst, halten länger, sind qualitativ besser …
Ruedi Thomi: Die Beratung ist in der Tat zentral. Es geht auch immer mehr ums Erlebnis und
um Hilfestellung, wie ich die Natur erleben kann. Was heute teilweise noch reines Marketing ist – wie z. B. ein durch ein Bergsportfachgeschäft organisiertes Iglu-Wochenende – sind Zukunftsmöglichkeiten für die Verkaufsbranche. In einigen Jahren kann man vielleicht die Mitarbeiterin eines Bergsportgeschäfts auch gleich für eine Klettertour buchen. Auch Kooperationen mit Bergsportschulen sind eine Möglichkeit. So rückt der Verkauf der Produkte immer mehr in den Hintergrund.
Und wie steht es mit einer naheliegenden Lösung, dem Wiederverwenden von Produkten? Wie kann sich die Verkaufsbranche hier einbringen?
Irmi Seidl: Auch das Weiterverwenden von gebrauchten Produkten ist ein interessanter Ansatz. Patagonia betreibt eine eigene Webseite, auf welcher gebrauchte Patagonia-Produkte angeboten werden (wornwear.patagonia.com/shop, Anm. d. Red).
Ruedi Thomi: Ja, Patagonia hat vor längerem die "Worn Wear" Kampagne lanciert. Für die Kampagne fährt ein Repair-Truck von Stadt zu Stadt, um die Menschen dazu zu bringen, ihre Outdoor-Produkte reparieren zu lassen. Im Gegenzug gibt es einen Worn Wear-Aufnäher drauf – was natürlich für Patagonia Gratis-Werbung ist. Für den Bergsportmarkt der Zukunft ist auch Reparieren ein grosses Thema. Das hat auch emotionale Gründe – mit einem Rucksack, der mich auf vielen Reisen begleitet hat, verbinden mich viele Erinnerungen. Indem die Verkaufsbranche den Kunden hilft, ihre liebgewonnen Produkte zu reparieren – z. B. mit Events zum Bike-Reparieren oder Ski Wachsen – kann sie eine emotionalere Kundenbindung aufbauen.Im Gegensatz dazu gibt es heute aber auch viele Menschen, die Outdoor-Produkte kaufen, die sie gar nicht brauchen. Man leistet sich eine absolute High End-Jacke und braucht Sie nur zum Gassi-Gehen mit dem Hund in der Stadt.
Irmi Seidl: Deshalb ist zu verstehen, welche Bedürfnisse der Kauf und der Besitz erfüllen. Heute stillt oft nicht das Produkt selbst ein Bedürfnis, sondern das Kauferlebnis". Anders gesagt: Ich kaufe das T-Shirt nicht um es anzuziehen, sondern des Einkaufens wegen. Die resultierende Befriedigung hält jedoch nur sehr kurz an – nicht lange über den Kaufakt hinaus. Um sie zu erhalten, ist ständig Neues zu kaufen. Eine Leitfrage im Sinne einer Postwachstumsgesellschaft muss sein: Wie können ohne Kauf von Materiellem die menschlichen Bedürfnisse anhaltend befriedigt werden?
Ruedi Thomi: Im Outdoor-Markt steht allerdings das Natur-Erlebnis im Vordergrund. Unser Ziel ist es nicht, Kauferlebnisse zu generieren, sondern funktionelle Bedürfnisse zu erfüllen und den Menschen zu einem schönen Erlebnis draussen in der Natur zu verhelfen. In Zukunft wird es also vielleicht so sein, dass wir nicht mehr zu Patagonia, Transa & Co. gehen, weil wir eine neue Jacke brauchen – sondern weil wir auf der Suche nach einem erfüllenden Naturerlebnis sind. Geld verdienen liesse sich auch so: Kaufbare Erlebnisse statt materieller Konsum. Ein wichtiger Schritt zu einer nachhaltigeren Gesellschaft; allerdings nur dann, wenn wir erkennen, dass nicht die besten Gadgets oder das teuerste Angebot das Erlebnis ausmachen, sondern dafür allein unsere innere Haltung verantwortlich ist.
Postwachstumsgesellschaft müssen wir nicht nur praktische Lösungen für die Probleme der Sozialwerke finden, sondern auch die verbleibende Arbeit auf mehr Schultern verteilen. Womit wir mehr Zeit hätten und suffizienter leben könnten. Vielleicht hätten wir auch mehr Zeit für die Berge …
… womit wir mitten im Thema sind. Auch die Outdoorbranche ist heute kein Wachstumsmarkt mehr und scheint darum enorm viel Geld ins Marketing zu stecken. Ständig kommen neue, noch spezialisiertere und modischere Produkte auf den Markt.
Ruedi Thomi: Die Outdoorbranche ist gefordert. Ein Wachstum findet nur noch auf Kosten anderer Marktteilnehmer statt – eine klassische Verdrängungssituation. Wir stecken tatsächlich in einem Teufelskreis. Die erste Gore-Tex Jacke auf dem Markt war drei Jahre verkaufbar. Heute ist die Branche viel stärker modegetrieben. Teilweise werden bloss die Farben der Reissverschlüsse geändert. Damit wird ein Modell zu einem Vorjahresprodukt und der Handel ist gezwungen, es abzustossen. Dennoch: Die meisten Outdoor-Produkte sind immer noch auf Langlebigkeit ausgerichtet. Gute Fachgeschäfte verkaufen keine Wegwerf-Produkte wie Einmal-Zelte für Openairs oder Gummi-Boote für die einmalige Flussfahrt. In guten Bergsportgeschäften stehen vielmehr die Erfahrung und Kompetenz der Mitarbeiter sowie die Beratung im Zentrum.
Wäre es ein möglicher Ansatz für die Zukunft, neue Einnahmequellen statt über den Produkteverkauf über Zusatzleistungen wie Beratung zu generieren?
Irmi Seidl: Das ist etwas, das schon sehr lange gefordert wird. Letztlich steht ja gerade beim Bergsport die Funktion – also dass ich z. B. nach einer Wanderung ohne Blasen ankomme – im Vordergrund. Diese Funktions- statt Produkteorientierung birgt Potenzial für die Nachhaltigkeit. Die Leistung eines Geschäftes könnten in diesem Fall gute Beratung, passende Socken oder der Verleih passender Schuhe sein. Produkte, die ein Kunde gut beraten kauft, sind besser seinen Bedürfnissen angepasst, halten länger, sind qualitativ besser …
Ruedi Thomi: Die Beratung ist in der Tat zentral. Es geht auch immer mehr ums Erlebnis und
um Hilfestellung, wie ich die Natur erleben kann. Was heute teilweise noch reines Marketing ist – wie z. B. ein durch ein Bergsportfachgeschäft organisiertes Iglu-Wochenende – sind Zukunftsmöglichkeiten für die Verkaufsbranche. In einigen Jahren kann man vielleicht die Mitarbeiterin eines Bergsportgeschäfts auch gleich für eine Klettertour buchen. Auch Kooperationen mit Bergsportschulen sind eine Möglichkeit. So rückt der Verkauf der Produkte immer mehr in den Hintergrund.
Und wie steht es mit einer naheliegenden Lösung, dem Wiederverwenden von Produkten? Wie kann sich die Verkaufsbranche hier einbringen?
Irmi Seidl: Auch das Weiterverwenden von gebrauchten Produkten ist ein interessanter Ansatz. Patagonia betreibt eine eigene Webseite, auf welcher gebrauchte Patagonia-Produkte angeboten werden (wornwear.patagonia.com/shop, Anm. d. Red).
Ruedi Thomi: Ja, Patagonia hat vor längerem die "Worn Wear" Kampagne lanciert. Für die Kampagne fährt ein Repair-Truck von Stadt zu Stadt, um die Menschen dazu zu bringen, ihre Outdoor-Produkte reparieren zu lassen. Im Gegenzug gibt es einen Worn Wear-Aufnäher drauf – was natürlich für Patagonia Gratis-Werbung ist. Für den Bergsportmarkt der Zukunft ist auch Reparieren ein grosses Thema. Das hat auch emotionale Gründe – mit einem Rucksack, der mich auf vielen Reisen begleitet hat, verbinden mich viele Erinnerungen. Indem die Verkaufsbranche den Kunden hilft, ihre liebgewonnen Produkte zu reparieren – z. B. mit Events zum Bike-Reparieren oder Ski Wachsen – kann sie eine emotionalere Kundenbindung aufbauen.Im Gegensatz dazu gibt es heute aber auch viele Menschen, die Outdoor-Produkte kaufen, die sie gar nicht brauchen. Man leistet sich eine absolute High End-Jacke und braucht Sie nur zum Gassi-Gehen mit dem Hund in der Stadt.
Irmi Seidl: Deshalb ist zu verstehen, welche Bedürfnisse der Kauf und der Besitz erfüllen. Heute stillt oft nicht das Produkt selbst ein Bedürfnis, sondern das Kauferlebnis". Anders gesagt: Ich kaufe das T-Shirt nicht um es anzuziehen, sondern des Einkaufens wegen. Die resultierende Befriedigung hält jedoch nur sehr kurz an – nicht lange über den Kaufakt hinaus. Um sie zu erhalten, ist ständig Neues zu kaufen. Eine Leitfrage im Sinne einer Postwachstumsgesellschaft muss sein: Wie können ohne Kauf von Materiellem die menschlichen Bedürfnisse anhaltend befriedigt werden?
Ruedi Thomi: Im Outdoor-Markt steht allerdings das Natur-Erlebnis im Vordergrund. Unser Ziel ist es nicht, Kauferlebnisse zu generieren, sondern funktionelle Bedürfnisse zu erfüllen und den Menschen zu einem schönen Erlebnis draussen in der Natur zu verhelfen. In Zukunft wird es also vielleicht so sein, dass wir nicht mehr zu Patagonia, Transa & Co. gehen, weil wir eine neue Jacke brauchen – sondern weil wir auf der Suche nach einem erfüllenden Naturerlebnis sind. Geld verdienen liesse sich auch so: Kaufbare Erlebnisse statt materieller Konsum. Ein wichtiger Schritt zu einer nachhaltigeren Gesellschaft; allerdings nur dann, wenn wir erkennen, dass nicht die besten Gadgets oder das teuerste Angebot das Erlebnis ausmachen, sondern dafür allein unsere innere Haltung verantwortlich ist.