Vera Thaler: Portugal entdeckt unser Sohn vom Fahrradanhänger aus, in den Alpen steht er das erste Mal auf Ski. In Sizilien und Griechenland ist er fasziniert vom Meeresrauschen.  

Auf dem Weg in und zwischen den Ländern liebt er Zugfahren, die Fähre ist der reinste Abenteuerspielplatz und selbst lange Autofahrten sind in der Regel entspannt. Egal ob Ferienwohnung, Schiffskabine, Zelt oder Campervan: geschlafen wird wie im eigenen Bett zuhause.  

Wenn ich mir meinen inzwischen Zweijährigen anschaue, der mit großer Neugierde und Offenheit Neuem begegnet, würde ich behaupten: Das viele Unterwegssein ist ein unglaubliches Privileg und war von Anfang an extrem wertvoll für die Entwicklung meines Kindes. Aber wie denkst du als Expertin darüber? 

Ab welchem Alter macht Reisen mit Kindern Sinn, beziehungsweise tut man seinem Nachwuchs wirklich Gutes mit ständigem Tapetenwechsel? Und wie viel und wie weit sollte man mit Kindern reisen?  

Johanna Oberjakober: „Nicht für Kinder unter drei Jahren geeignet“ – dieser Hinweis mag für manche Spielsachen Sinn machen, sicher aber nicht beim Thema Reisen. Reisen kann man schon mit den Kleinsten. Wichtig ist nur die Art des Unterwegsseins an die Bedürfnisse des Kindes anzupassen, das heisst zum Beispiel öfter Ruhepausen einlegen und weniger Ortswechsel vornehmen. Wenn man von Anfang an viel unterwegs ist, kann das die Flexibilität der Kinder auf jeden Fall fördern, da sie lernen, sich auf neue Situationen einzustellen. Erfahrungen zu sammeln und dabei die „Welt“ entdecken ist entwicklungsfördernd, dafür muss man aber nicht weit reisen. Selbst der nahe gelegene Wald, ein Fluss oder auch ein kleiner See sind ideale Orte mit ganz viel Entdeckungs- und Lern-Potenzial.  

V.T.: Ist Reisen förderlich für das eine Kind und Stress pur für das andere?  

J.O.: Grundsätzlich braucht jedes Kind einen gewissen Rhythmus, zuhause genauso wie auf Reisen. Beim Reisen kann der gewohnte Rhythmus leicht durcheinandergeraten, zum Beispiel durch Zeitverschiebung. Das kann Stress für das Kind bedeuten. Während manche Kinder hier anpassungsfähiger sind, reagieren andere empfindlicher.  

Aber auch das Wohlfühlen der Eltern ist wichtig. So wie Kinder unterschiedlich sind, haben auch Eltern unterschiedliche Bedürfnisse. Für die einen ist es der Ausflug in den Wald, für die anderen die Fernreise nach Thailand, die sie selbst nährt. Erst dann können sie auch gut für das Kind sorgen. Wichtig dabei ist immer, dass die Eltern sich am Kind orientieren, um es nicht zu überfordern. So können auch Eltern, die gerne Fernreisen unternehmen, sicher die Bedürfnisse des Kindes erfüllen, wenn sie folgendes beachten:  

  • Das Programm kindgerecht gestalten – zum Beispiel lieber Sandburgen am Strand bauen, als alle “Must-Sees” der Umgebung abzuhacken.  

  • Weniger ist mehr – die Tage nicht zu vollpacken. 

  • Für Routine sorgen – Vor allem Kleinkindern hilft es, wenn gewohnte Strukturen wie fixe Ruhe- und Essenzeiten in den Urlaub integriert werden.

V.T.: Fördert man wirklich die Offenheit und Toleranz der Kinder mit Reisen, oder sind die Kinder nur Vorwand, um seine eigene Reiselust mit dem Prädikat „pädagogisch wertvoll“ zu legitimieren?  

J.O.: Kinder sind von Natur aus offen – das ist nichts, was erst „gefördert“ werden muss. Kinder machen keinen Unterschied zwischen schwarz und weiss, Mädchen oder Jungen, homo- oder heterosexuell. Im Umkehrschluss braucht ein Kind keine Fernreisen in exotische Länder, sondern ein Umfeld zuhause, das dem Kind ein Bewusstsein und Toleranz für unterschiedliche Lebensweisen ermöglicht.  

V.T.: Zum Schluss: hast du noch hilfreiche Tipps, wie man Kinder zu Nachhaltigkeitsthemen, die einem auf Reisen begegnen, sensibilisieren kann? Egal ob soziale Themen wie Armut oder Umweltthemen wie Plastikverschmutzung und das klimaschädliche Fliegen.  

J.O.: Hier ist die Vorbildwirkung als Elternteil entscheidend. Man kann die Themen mit Kindern von klein auf besprechen und altersgerecht aufarbeiten. So wie man Bewusstsein für Menschen mit verschiedenen Lebensgestaltungen vermitteln kann, so kann man auch einen respektvollen mit der Umwelt fördern. Als Elternteil kann man das Bewusstsein schaffen, in dem man zum Beispiel gemeinsam zu dem Thema liest und Probleme aufzeigt.  

Auf Reisen kann man die Kinder sensibilisieren, in dem man zum Beispiel am Strand Müll einsammelt, den lokalen Markt besucht, um über die Herkunft des Essens zu sprechen, oder einen Nachhaltigkeitstag im Urlaub einbaut.

fairunterwegs im Gespräch mit:

Johanna Oberjakober, Master of Science

Derzeit u.a. tätig als klinische Gesundheitspsychologin in der mobilen Förderung von Kindern und Jugendlichen und systemische Familien-Therapeutin in Ausbildung.