Es braucht die kritische Begleitung des Tourismus – jetzt erst recht!
Die Flutkatastrophe vom 26. Dezember hat mehr als 250’000 Todesopfer gefordert und die Lebensgrundlagen von Millionen von Menschen auf einen Schlag vernichtet. Wir in der Schweiz haben betroffen und solidarisch reagiert. Nicht zuletzt, weil auch Bekannte von uns ihr Leben verloren und weil wir als Weltreisende doch ebenso hätten getroffen werden können. Es nützt niemandem, wenn wir jetzt darauf verweisen, dass alles nicht so schlimm hätte kommen müssen: Wenn die Warnungen trotz Angst vor Imageschaden im Tourismus durchgegeben worden wären, wenn nicht die Korallenriffe zerstört, die Mangroven gerodet und die Grenzen der Natur immer weiter hinausgeschoben worden wären, wenn das Wohl der breiten Bevölkerung nicht so einseitig auf die schwankende Konjunktur des Tourismus ausgerichtet worden wäre…
Die Welttourismusorganisation, mittlerweile im Status einer UNO-Sonderorganisation, rief rasch ihre Executives zu einer Sondersession in Thailand zusammen, um den Phuket Action Plan zu erlassen. Sie sieht ihre Aufgabe darin, „das Vertrauen der Reisenden wiederherzustellen“. Und zynisch die Abwiegelung des WTO-Generalsekretärs, Francesco Frangialli: „Der Tsunami traf doch am härtesten die Gebiete, die gar keinen signifikanten Tourismus hatten“. Nur konsequent der Ratschlag, mit einer grossangelegten Kampagne möglichst schnell der Rückkehr zur Tagesordnung nachzuhelfen und damit einer „infodemic“, der „Negativ-Berichterstattung“ wie etwa nach dem SARS-Ausbruch, zu entgegnen. Bei so klaren Worten der Welttourismus-Elite bleibt kaum Vertrauen darauf, dass diese sich um die Situation der Beschäftigten, der kleinen AnbieterInnen, der prekären Existenzen am Rande des Tourismus, der Fischer, arbeitslosen MigrantInnen und anderen verarmten Küstenbe-wohnerInnen kümmern wird.
Ohne Druck wird die Branche nicht vom Saulus zum Paulus. Und der Wiederaufbau nicht plötzlich unter breitem Einbezug der gesamten betroffenen Bevölkerung erfolgen. Und auch die beim Tour Operator gebuchte Reise nicht plötzlich ein Maximum für die Einheimischen abwerfen und eine wirkliche Begegnung „auf gleicher Augenhöhe“ bringen. Nach dem Lindern der ersten Not bleibt klar die Verpflichtung zurück, auf einen wirtschaftlich, sozial und ökologisch nachhaltigen Tourismus im Sinne des Fairen Handels zu pochen und bei dessen Umsetzung Hand zu bieten. Dafür muss hier im Norden die Devise „fair handeln“ zum ersten Kriterium im Reisegeschäft werden: die Frage, was denn die Reise für die Einheimischen bringt, ob sie deren Existenzgrundlagen sichern hilft und ihnen ein Leben in Würde ermöglicht – auch über die nächste Katastrophe hinaus?
Mark Schmid, Präsident des arbeitskreises tourismus & entwicklung
Auszug aus dem Editorial zum Jahresbericht 2004 des arbeitskreises tourismus & entwicklung.