«Es gibt keine Menschenrechte in Mexiko!»
Den anderen Touristen in Yucatán, meinem ersten Stopp in Mexiko, muss ich vor allem jene Frage beantworten: "Wo liegt eigentlich Chiapas?" Ich kann es ihnen nicht verübeln. Auch ich musste erst einmal zum Atlas greifen und den südlichsten Bundesstaat Mexikos an der Grenze zu Guatemala suchen. Einige begnügen sich nicht nur mit einem Fingerzeig in den Südwesten, sondern wollen mehr wissen – über den Konflikt in der Region und meine künftige Arbeit.
"Weisst du eigentlich, was abgeht in Chiapas?", unterbricht mich Daniel, der Sohn der Besitzerin meines Hostals in Tulum bei einem dieser Gespräche. Ehe ich auch nur den Mund öffnen kann, beantwortet er mir seine Frage gleich selber. "All diese intellektuellen Hippies und Pseudo-Revolutionäre, diese kleinen Ches, die versuchen, die Welt zu verändern… Das bringt doch nichts! Ihr geht in die Dörfer der Indígenas und versucht ihnen zu helfen. Das könnt ihr aber gar nicht, im Gegenteil, ihr bringt ihnen den Kapitalismus! Das einzige, was die Mayas doch nachher wollen, sind deine Nike-Schuhe. In Chiapas gibt es keine Arbeit. Deshalb kommen sie alle nach Yucatán oder gehen nach Mexiko-Stadt. Dort arbeiten sie zu einem Hungerlohn für irgendeinen Weissen, weil sie kein Spanisch sprechen und weder lesen noch schreiben können. Du willst dich für die Menschenrechte einsetzen? – Es gibt keine Menschenrechte in Mexiko. Das einzige, was wir haben ist Korruption, auf allen Ebenen. So lange die Regierung nichts an der Situation der Indígenas ändern will, wird sich auch nichts ändern. Und was will die Regierung im Moment in Chiapas? Staudämme bauen. Das geht ab in Chiapas!"
(…) Daniels Aussagen stimmen mich nachdenklich, traurig und wütend, weil ich weiss, dass er in gewissen Punkten Recht hat. Doch für mich ist klar: Ich ändere meine Pläne nicht. "Und was passiert, wenn all die Pseudo-Revolutionäre und Ches aus Chiapas verschwinden?", frage ich Daniel zum Schluss. Dieses Mal zieht er bloss die Schultern hoch.
*In der Schweiz werden die MenschenrechtsbeobachterInnen in Chiapas von Peace Watch Switzerland (PWS) ausgebildet und begleitet. Für fairunterwegs.org berichten sie im Blog ab April laufend von ihren Erfahrungen.
Bild: www.libelle-leipzig.de