Kündigungsschutz? Gibt es nicht. Arbeitszeit? Bis zu zwölf Stunden täglich. Stundenlohn? 4,40 Euro. Über die miserablen Arbeitsbedingungen auf Kreuzfahrtschiffen wird immer wieder berichtet. Vergessen wird dabei gern: An Land sehen die Verhältnisse oft nicht besser aus. Viele Hotelketten und Veranstalter von Pauschalreisen nutzen Gesetzeslücken im Ausland für Urlaubsangebote, die auf Kosten von Mensch und Natur gehen.

So sind zum Beispiel viele All-inclusive-Pakete nur deshalb so günstig, weil Hotelangestellte für ein Spottgehalt schuften und Fahrer in ihren Bussen übernachten. Zum Ende der Saison werden sie, wenn sie überhaupt einen Vertrag haben, meist fristlos entlassen – ohne jede soziale Absicherung. Mit Beginn der Pandemie rutschten viele in die Armut ab. Wenig Rücksicht nehmen auch viele Hoteliers auf die lokale Bevölkerung. Strände werden für zahlende Gäste reserviert, was die Arbeit der Fischerinnen und Fischer erschwert, zum Beispiel in Sri Lanka und Ghana. In warmen Ländern zweigen zudem grosse Poolanlagen wertvolles Trinkwasser ab, auf Sansibar etwa verbraucht jedes Zimmer eines Luxushotels rund 2000 Liter Wasser pro Tag. Den lokalen Haushalten dort stehen dagegen nur 93 Liter zur Verfügung.

Gegen derartige Zustände soll nun das Lieferkettengesetz helfen. Es verpflichtet grössere Unternehmen, auch im Ausland gewisse Mindeststandards im Arbeits- und Umweltrecht einzuhalten. Bei Nichtbeachtung drohen ab 2023 Bussgelder. »Ein wichtiger erster Schritt«, urteilt Antje Monshausen, Expertin von »Tourism Watch«. Die Initiative von »Brot für die Welt« kämpft seit Jahren gegen soziale und ökologische Missstände im Tourismus, vor allem in Schwellen- und Entwicklungsländern. „Bislang engagieren sich nur einige Pioniere, jetzt müssen deutsche Anbieter das Thema generell sehr viel ernster nehmen“, sagt Monshausen.

Gelten wird das Gesetz aber leider nur für die Grossen der Branche. Zunächst zielt es auf Firmen ab, die in Deutschland mehr als 3000 Menschen beschäftigen, ab 2024 tritt es auch für Veranstalter mit mehr als 1000 Beschäftigten in Kraft. Konkret verpflichtet es die Reiseunternehmen dazu, Missstände bei Menschenrechten und Umweltstandards zu beseitigen, sobald sie von Verstössen erfahren – nicht nur in der eigenen Firma, sondern auch bei Zulieferern oder dazugebuchten Subunternehmern, der sogenannten Lieferkette. Reagieren die Reiseunternehmen nicht, drohen ihnen Bussgelder in empfindlicher Höhe: bis zu zehn Prozent des Jahresumsatzes. Zudem müssen die Reiseanbieter regelmässig durch Berichte nachweisen, dass sie Menschenrechte und örtliche Umweltauflagen beachten. Überwacht werden sie dabei vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, das auch vor Ort Kontrollen durchführen kann. Wer unhaltbare Zustände auf Reisen beobachtet, kann sie an Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften melden. Nur diese dürfen klagen.

Entschädigungen für Umweltverschmutzungen oder unbezahlte Überstunden müssen die Veranstalter allerdings nicht zahlen. »Dieser Hebel wäre aber sehr wichtig gewesen, damit die Betroffenen besser geschützt sind«, sagt Monshausen. Den entsprechenden Passus hatten CDU und CSU in letzter Sekunde aus dem Gesetzestext gestrichen – auch als Reaktion auf den massiven Druck aus der Wirtschaft. So erklärte etwa der Deutsche Reiseverband, Vertreter von 90 Prozent der deutschen Reisebüros und – veranstalter, die Achtung der Menschenrechte könne nicht von seinen Mitgliedern überwacht werden, sie sei Sache des jeweiligen Staates. Zudem leide die Tourismusbranche noch immer stark an den Folgen der Corona-Krise. Zusätzliche Kosten seien deshalb derzeit unzumutbar. 

Dabei belegen Studien, dass diese Belastungen nur geringfügig wären. Studien ermittelten im Auftrag der EU-Kommission, dass die Einhaltung von Menschenrechten Unternehmen zwischen 0,005 und 0,07 Prozent ihres Gewinns kosten würde. Berechnungen aus Deutschland gehen von maximal 0,7 Prozent aus. Expertin Monshausen prognostiziert, dass die Reiseanbieter sogar langfristig profitieren werden. »Pauschalreisen sind komplexe Produkte: Sehr viele verschiedene Menschen – von der Pilotin über den Tourguide bis hin zur Küchenhilfe – sorgen dafür, dass schöne Urlaubserlebnisse entstehen. Wer seine Mitarbeiter, Mitarbeiterinnen und Geschäftspartner gut behandelt, kann sicher sein, dass diese auch dem Gast freundlich begegnen. Gibt es stattdessen vor Ort Proteste, schreckt das Reisende nachhaltig ab.« Zuletzt hatten zum Beispiel in Spanien »Las Kellys« immer wieder für Unruhe gesorgt. Die Zimmermädchen fordern lautstark bessere Arbeitsbedingungen. Denn selbst in Fünf-Sterne-Hotels erhalten sie oft keinen festen Arbeitsvertrag und beziehen nicht einmal Mindestlohn. 

Doch Pauschalreisen müssen nicht zwangsläufig auf Ausbeutung setzen. »Empfehlenswerte Angebote lassen sich in allen Preislagen finden, vom ökologisch vorbildlichen Familienprogramm in der Jugendherberge bis hin zum sozialverträglichen Wellnessurlaub im Luxushotel«, erklärt Jon Florin von »fairunterwegs«. Der Schweizer Verein klärt über nachhaltigen Tourismus auf und registriert eine enorm steigende Nachfrage. Doch noch sei es schwer, faire Reisen als solche zu erkennen. Zugleich dämpft Florin die Hoffnung, das Lieferkettengesetz würde nun zu einem raschen Wandel in der Branche führen: »Mit dem Modern Slavery Act gilt in Grossbritannien bereits seit 2015 ein ähnliches Gesetz, viel bewegt hat es im Tourismus aber bislang nicht.« Das liege auch an den unübersichtlichen Lieferketten, mit denen Hotelketten arbeiten: Grosse Teile des Personals würden über Drittfirmen engagiert – für diese fühlten sich die Hotels nicht zuständig.

Ganz ähnlich agieren auch deutsche Anbieter, erklärt Monshausen. »Wer aber seit Jahren Dienstleistungen outsourct, um Geld zu sparen, kann sich jetzt nicht mit dem Argument herausreden, seine Lieferketten seien viel zu komplex.« Schliesslich gebe es zahlreiche Beispiele dafür, dass die Achtung von Menschenrechten und Umweltschutz auch bei Pauschalreisen gelingen kann: Veranstalter wie Studiosus, Gebeco oder die zahlreichen Anbieter vom »Forum Anders Reisen« setzen sich bereits seit Jahren für faire Urlaubspakete ein.

Einige dieser Touristikunternehmen kooperieren sogar, um mögliche Rechtsverletzungen frühzeitig zu erkennen. Kurz vor der Pandemie schlossen sich zum Beispiel mehrere Reiseanbieter zusammen, um ihre Lieferketten in Thailand genauer zu analysieren. 300 Interviews wurden mit Menschen geführt, die im Tourismus arbeiten, vom Rikschafahrer über die Gärtnerin bis hin zum Animateur. So wollten sie herausfinden, welche Jobs besonders anfällig für Ausbeutung sind – und wie es sich dagegen am besten vorgehen lässt. Durch solch ein gemeinsames Vorgehen könnten Anbieter Kosten sparen, sagt Monshausen. »Und gleichzeitig dafür sorgen, dass ihr Urlaubsangebot nicht auf Kosten anderer geht, sondern auch für die Menschen im Urlaubsland ein Gewinn ist.«