
Fair unterwegs mit Astrid Ndzie, Handicap-Botschafterin
Basel, 22.10.2014, akte/
Was führt dich auf die schönste innere Reise?
Ich lese zwar gerne Bücher, schaue mir auch gerne Filme an – am liebsten Liebesfilme. Aber auf die schönste Reise führt mich ein gutes Gespräch, bei dem Grenzen zwischen zwei Menschen überwunden werden.
Welche Grenzen?
Man sieht mir meine Behinderung nicht an, und ich bin ein sehr offener, kontaktfreudiger Mensch. Also kommen die Leute auf mich zu, aber sobald sie merken, dass ich taub bin, erschrecken sie. Einige ziehen sich zurück, weil sie sich nicht darauf einlassen wollen oder können. Andere entspannen sich, wenn sie merken, dass ich Lippen lesen kann. Nicht alle verstehen mich. Wenn aber auch das klappt, kann ein schöner Austausch beginnen, die Reise zu einem anderen Menschen.
Da habe ich ja Glück gehabt, dass ich dich verstehe! Wie hast du sprechen gelernt?
In Kamerun spricht man 230 verschiedene Sprachen und ich konnte keine davon sprechen. Mit 14 Jahren kam ich in die Schweiz. Ich ging zur Gehörlosenberatung und erhielt ein Hörgerät, worauf ich plötzlich gewisse Töne, aber nicht Sprache wahrnehmen konnte. Ich lernte die Gebärdensprache und gleichzeitig Deutsch. Meine Mutter sprach früher eher Französisch mit mir, aber als ich Deutsch zu lernen begann, sprach sie Deutsch mit mir. Mit 15 ging ich zuerst ein halbes Jahr in Riehen zur Schule und dann ein weiteres halbes Jahr an die Gehörlosenschule in Zürich. Ich lernte Deutsch verstehen, lesen und schreiben, die Deutsche und die Schweizerische und später auch noch die internationale Gebärdensprache. Damit ich auch sprechen konnte, nahm ich Sprechtechnikstunden, sodass mich einige Leute jetzt recht gut verstehen.
Was hast du nach der Schule gemacht?
Ich absolvierte eine zweijährige Coiffeurlehre in Zürich. Die KundInnen waren zufrieden mit mir, und einigen mache ich heute noch die Haare. Aber selbständig als Coiffeuse zu arbeiten ist mit der Hörbehinderung schwierig. Wenn ich mit den Kundinnen einen Termin vereinbart habe und sie kommen, ist es kein Problem, aber wenn sie verhindert sind, möchten sie halt per Telefon absagen können. In Riehen machte ich eine zweijährige Ausbildung in Hauswirtschaft. So arbeite ich heute als Hauswirtschafts-Angestellte des Bildungszentrums 21, das zu mission 21* gehört. Ich reinige die Zimmer, arbeite in der Wäscherei und helfe auch im Service. Die Arbeit gefällt mir, denn ich bin immer mit Menschen in Kontakt.
Du hast bereits vor drei Jahren in Kamerun an einer Misswahl teilgenommen und wurdest zur Miss Deaf Cameroon 2011 gekürt. Jetzt bist du Kandidatin bei der Miss Handicap Schweiz Wahl 2014. Was bewegt dich dazu, an Misswahlen teilzunehmen?
Wie gesagt kann ich gut Kontakte knüpfen. Ich möchte mit dieser Gabe dazu beitragen, dass der Umgang von Menschen mit und ohne Behinderung unverkrampfter geschehen kann. Ich würde mir wünschen, dass mehr sprechende Personen die Gebärdensprache lernen. Anders als bei den gesprochenen Sprachen gibt es unter den Gebärdensprachen ja eine internationale, die überall verstanden wird. Gebärdensprache zu lernen braucht natürlich Zeit. Aber man kann sie mit einer CD in ungefähr einem Monat so lernen, dass man sich verständigen kann. In Zürich, Bern und Lausanne gibt es auch Kurse. Aber selbst, wenn jemand die Gebärdensprache nicht beherrscht, ist ein Austausch möglich. Es ist oft viel mehr eine Frage des Wollens und der Offenheit als eine Frage der Technik. Wer sich in die Situation Gehörloser hineinversetzt, wird automatisch merken, dass man eine gehörlose Person immer anschauen sollte, während man spricht, dass man deutlich sprechen, vielleicht auch mal etwas aufschreiben muss. Und wenn eine gehörlose oder schwerhörige Person spricht, sollte man sich halt etwas Zeit nehmen, um sich an die Sprechweise zu gewöhnen.
Was heisst für dich fair unterwegs sein?
Ich liebe Reisen und möchte andere Kulturen kennen lernen. Würde ich Miss Handicap Schweiz 2014, dann würde ich mich dafür einsetzen, dass Menschen unabhängig von ihrer Behinderung barrierefrei reisen können. Und dass wir Menschen mit Behinderung uns in der Welt zeigen und etwas von der Welt kennenlernen können. Das wäre mein grösster Wunsch.
Wie sieht das heute in der Realität aus?
Es ist nicht überall gleich. In Zürich zum Beispiel gibt es beim Check-In und den Kontrollen einen Durchgang für Menschen mit Behinderung. Aber ich war schon dort und wurde weder verstanden, noch rief die Person am Schalter jemanden, der mich verstehen konnte. Das ist frustrierend. Schön wäre es, wenn die Angaben auf den Tafeln nicht nur in verschiedene gesprochene Sprachen, sondern auch in die Gebärdensprachzeichen übersetzt würden. Schliesslich brauchen wir auch Lichtsignale, wo hörende Menschen Tonsignale haben. Wichtig ist auf Reisen vor allem, dass die Menschen, die uns beraten, transportieren, beherbergen und herumführen auf die besonderen Umstände einer Behinderung eingehen können. In Ländern wie Deutschland, den Vereinigten Staaten oder Dubai ist das oft besser möglich, weil die Zuständigen sich einfach die Mühe nehmen, eine Lösung zu finden. In der Schweiz fehlt es manchmal am Respekt gegenüber Menschen mit Behinderung.
Am 25. Oktober findet die Wahl von Miss Handicap Schweiz 2014 statt. Wie können die fairunterwegs-Leserinnen dich unterstützen?
Schon jetzt können sie abstimmen auf der Website von Miss Handicap Schweiz oder über SMS (Angaben siehe unten) ihre Stimme für die Kandidatin oder den Kandidaten ihrer Wahl abgeben. Die Gala am 25. Oktober wird auf SF1 übertragen, und wir hoffen natürlich auf eine hohe Einschaltquote, damit diese Miss- oder Misterwahl genügend gesponsert wird, um in Zukunft wieder stattfinden zu können. Es ist eine wichtige Bühne für uns.
Das fairunterwegs-Reiseportal setzt sich nicht nur für barrierefreies Reisen ein, sondern auch dafür, dass die Bevölkerung vor Ort von den Reisen profitiert und Lebensräume geschont werden.
Ja, auch dafür braucht es noch viel mehr Bewusstsein. Ich finde das Engagement von fairunterwegs gut und wichtig. Wer genug Geld hat, um zu reisen, soll sich auch für Menschen einsetzen, die benachteiligt sind, und auch für Tiere und die Natur.
Voten für Miss oder Mister Handicap Schweiz 2014:
Voting für Astrid Ndzie per SMS: MHC 03 an die Nummer: 9234 (Preis: 1.50 CHF / SMS – Von jeder Nachricht geht 1/3 als Spende an die Miss-Handicap-Organisation.) Voting für Astrid Ndzie per Post: MHC 03 an: Miss Handicap Organisation, Allmendstrasse 7, 3014 BernDie anderen Kandidatinnen und Kandidaten und ihre Botschaften kennenlernen: http://www.misshandicap.ch/wahlen/kandidaten/
* mission 21 ist Mitglied des arbeitskreises tourismus & entwicklung