Fair unterwegs mit Barbara Müller, Afrikaexpertin
Welches Buch entführt Dich auf die schönste Reise?
Es sind immer wieder andere Bücher. Im Moment sind es gleich zwei, beide zu Südafrika und der von Gewalt geprägten Vergangenheit, die ins Jetzt hineinwirkt. Das eine ist von Jonny Steinberg mit dem Titel "Thin blue". Steinberg hat die Polizei bei ihren Patrouillen in die Townships begleitet. Er wollte sich selbst ein Bild darüber machen, warum die Anstrengungen der Polizei zur Verhinderung von Gewalt so wenig Früchte tragen. Das Problem ist, dass die Polizei nach dem Machtwechsel nicht grundsätzlich reformiert wurde. Sie wird von der Bevölkerung nicht akzeptiert und kann deshalb nicht funktionieren, wie Steinberg aufzeigt. Die Polizei wurde in den Achtzigerjahren aus den Townships verjagt, weil sie für die Repression der Apartheidregierung stand. Die Zweierpatrouillen in den Townships können es heute immer noch nicht wagen, sich auf eine grössere Menschenmenge einzulassen. Die Polizei wird nur im Falle häuslicher Gewalt als staatliche Instanz akzeptiert. Die Frauen rufen die Polizei, und die Einsatzleute haben zu zweit gegen den Aggressor eine Chance. Das ist neu: Häusliche Gewalt wird erst seit der neuen Verfassung überhaupt strafrechtlich verfolgt. Steinberg hört zu, beobachtet und zieht Schlüsse. Das tut er auch in seinen früheren Büchern zu den Themen Gefängnis, Ermordung von Farmern, Jugend und HIV/AIDS. Es sind Bücher mit einem ethnologischen Blick.
Eher der Blick einer Minderheit. Du bist ja selbst Ethnologin.
Ja, solche Bücher sind für mich eine Bestätigung für meinen eigenen Blick. Er geht unter die Oberfläche, um das Erleben der Leute zu verstehen.
Und das zweite Buch?
Das ist "Roter Staub" von Gillian Slovo. Gillian ist die Tochter von Ruth First und Joe Slovo. Beide waren Anti-Apartheid-Kämpfer. Ruth First wurde in Mosambik mit einer Briefbombe ermordet, Joe Slovo wurde unter der neuen Regierung Minister für Wohnungsbau, starb aber leider viel zu früh an Krebs. "Roter Staub" handelt von einem Kaff, wo eine Anhörung vor der Wahrheits- und Versöhnungskommission stattfindet. Der Ort ist ländlich und burisch geprägt. Das Opfer ist ein ANC-Parlamentsabgeordneter, der einstige Folterer arbeitet heute in einer der vielen privaten Sicherheitsfirmen. Zentral ist auch die Figur eines Aktivisten, der im Verlauf der Ereignisse verschwand. Die Eltern wollen wissen, was mit ihm geschehen ist. Es kommt zu einem Katz- und Mausspiel. Das Opfer hatte damals unter Folter ausgesagt und meint, den Tod seines Freundes verursacht zu haben. Die Täter spielen das gleiche Spiel wie früher weiter. Die Anhörung löst einiges aus: Die Frau des Täters wendet sich ab, Beziehungen brechen auseinander. Die Seilschaften des früheren Regimes spielen noch immer. Das Buch ist voll der Gefühle, die unter der Oberfläche des Kleinstadtgeschehens schwelen. Gillian Slovo beweist eine profunde Kenntnis der Lokalpolitik und viel Detailwissen über das Funktionieren der Gesellschaft im Südafrika nach der Apartheid.
Warum fesselt dich das Thema der Apartheidvergangenheit so?
Ich war selbst Anti-Apartheid-Aktivistin und habe das Geschehen aus der Nähe verfolgt. Auch heute befasse ich mich weiter damit. Im Rahmen der Kampagne für Entschuldung und Entschädigung des Südlichen Afrika setze ich mich dafür ein, dass die Opfer der Apartheid nicht vergessen werden und Gerechtigkeit und Entschädigung erhalten – gerade auch von den Schweizer Firmen, die die Apartheid unterstützten. Auf der anderen Seite beschäftigt mich das Thema der Gewalt, besonders die einer Staatsmacht gegen Unschuldige. Ich bin mir bewusst über die lange Wirkungsgeschichte solcher Gewalt über Generationen hinweg.
Wie bist Du überhaupt auf das Thema Apartheid gekommen?
Ich kam 1972 in Zürich in Kontakt zu einer Solidaritätsorganisation, die sich mit dem Befreiungskampf in Angola befasste, das damals noch eine portugiesische Kolonie war. Die Beschäftigung mit Angola hat mich mit dem afrikanischen Virus infiziert, den ich seither nicht mehr losgeworden bin. Unweigerlich wurde ich so auch mit der Politik in Südafrika konfrontiert.
Ist der Kampf um die Aufarbeitung der Vergangenheit nicht eher düster und von wenig Erfolg gekrönt?
Das sehe ich auch so, wenn ich es von aussen betrachte. Aber wenn ich mich direkt damit befasse, erlebe ich es nicht so düster, sondern als Feld, wo man vieles verändern und verbessern kann. Ich bin ja auch Geschäftsführerin des Fonds für Entwicklung und Partnerschaft in Afrika. Wir unterstützen Farmarbeiter darin, sich zu organisieren und ihre nach 1994 neu erworbenen Rechte einzufordern. Mit kleinem Aufwand lässt sich da viel erreichen. Der Fokus liegt immer auf den Erfolgen. Ich trage nicht permanent nur Schweres mit mir herum.
Wie oft reist Du nach Afrika?
Es hat sich eingependelt, dass ich zweimal pro Jahr reise: einmal nach Simbabwe und einmal nach Südafrika. Die letzte Reise führte mich nach Simbabwe.
Wo steht das Land? Hat sich der Entscheid von Oppositionsführer Morgan Tsvangirai, sich in die Regierung einbinden zu lassen, als richtig erwiesen?
Simbabwe ist ein Phänomen: Ich bin überrascht, wie positiv und optimistisch die Leute sind. Es ist eine Normalität zurückgekehrt. Wir besuchten HIV/AIDS-Unterstützungsgruppen auf dem Land. Sowohl die Nichtregierungsorganisationen als auch die Kirchen, mit denen wir zusammenarbeiten, sprechen von einer deutlichen Besserung. Natürlich ist längst noch nicht alles o.k. Aber es gibt eine Aufbruchstimmung. Seit die Opposition in der Regierung sitzt, hat sich der Raum geöffnet. Es gibt Treffen, bei denen die Zivilbevölkerung ihre Anliegen einbringen kann. Alle GesprächspartnerInnen sagen, dass es keine Alternative zur Einbindung in die Regierung gegeben hat und Tsvangirai richtig handelte.
Du warst letzten November in Südafrika. Bald ist dort WM. Was bringt sie den Leuten?
In Südafrika gibt es sehr grosse soziale Spannungen. Für die WM wurde von den knappen Ressourcen enorm viel verschwendet. Es gibt sogar Stimmen, welche die Staatspleite von Griechenland auf die enormen Kosten der Olympiade zurückführen.
Anderseits bedeutet es den Leuten schon viel, dass erstmals eine WM auf afrikanischem Boden stattfindet. Darauf sind die Menschen in Südafrika stolz.
Du reist viel: Wie fair bist Du unterwegs?
Wenn ich beruflich reise, wohne ich meist privat und lasse das Leben dort so nahe wie möglich an mich heran. Die eigenen Ferien verbringe ich oft mit Wanderungen in der Schweiz. Aber ich mache auch Ferienreisen in den Süden, fliege natürlich mit schlechtem Gewissen. Ich war zum Beispiel in Kirgisien in einem von der Lokalbevölkerung verwalteten Projekt. Der naheKontakt mit der Bevölkerung ist mir wichtig, auch, dass das Geld zu ihnen kommt. Ich reise deshalb auch nicht so viel wie möglich umher, sondern bleibe lieber einige Zeit an einem Ort.
Hast Du in Südafrika schon ein touristisches Fairtrade-Angebot kennen gelernt?
Ja, ich war in verschiedenen Bed & Breakfast-Unterkünften, die das Fairhandels-Gütesiegel von FTTSA hatten. Eigentlich war ich nur in solchen Unterkünften, wenn ich nicht privat untergebracht war.
Was braucht es, damit das Reisen fairer wird?
Ich würde mir wünschen, dass es mehr solche Angebote auch anderswo gibt, und dass diese besser bekannt werden. Es ist wichtig, dass die Reisenden auch wirklich in Kontakt mit der Realität eines Landes kommen und dass sie nicht nur ihre Vorurteile bestätigen. Wichtig finde ich auch, dass mehr Leute aus dem Süden reisen können und mit anderen Lebensweisen in Kontakt kommen. Ich habe auch schon Leute, die ich in Afrika kennen gelernt habe, nach Europa eingeladen. Ich finde eine solche Gegenseitigkeit wichtig.
Welchen Beitrag kann unser Reiseportal fairunterwgs.org dazu leisten?
Ich finde es besonders wertvoll, dass ihr vernetzt mit internationalen Partnern Kriterien ausarbeitet bezüglich der Voraussetzungen für neue Angebote und Produkte. Toll auch, dass ihr zwischendurch an Messen präsent seid. Ich hatte mal Kontakt mit einem Golfferienveranstalter, der von Euch auf einer Messe gehört hatte und sich anschliessend mit dem Thema auseinandersetzte. Ohne die Sensibilisierung der Reisenden kann eine faire Form von Tourismus nicht stattfinden. Wichtig ist auch, das Bewusstsein bei den Reiseveranstaltern zu fördern, dort hat es zahlenmässig grosses Gewicht. Ich denke, in der Bevölkerung gäbe es viele, die bereit wären, faire Angebote zu buchen, wenn sie darauf hingewiesen würden und sie leichter fänden. Fairunterwegs schafft Brücken zwischen den Reisenden und den fairen Initiativen im Süden.
*Barbara Müller ist Geschäftsführerin des Fonds für Entwicklung und Partnerschaft im Südlichen Afrika FEPA, Vorstandsmitglied der Aktion Finanzplatz Schweiz AFP, Koordinatorin der Kampagne für Entschuldung und Entschädigung im Südlichen Afrika KEESA und Mitglied des Afrika-Komitees in Basel
Buchtipps:
Jonny Steinberg: Thin Blue, Jonathan Ball Publishers, Jeppestown 2008; 324 Seiten, Euro 11.99, ISBN: 978-1-86842-303-3
Gillian Slovo: Roter Staub, Fischer Taschenbuch, Frankfurt 2003, 333 Seiten, CHF. 14.90, Euro 995, ISBN 978-3596156689