Welches Buch führt Sie auf die intensivste Reise?

Ein Leben ohne Lesen kann ich mir nicht vorstellen. Bücher sind ein Schlüssel zu Menschen und Kulturen. Ich erlese mir Zugang zu den Ländern, mit denen ich viel zu tun habe, zum Denken der Menschen. Über Bücher lässt sich einfacher begreifen, was man zunächst nicht versteht.  Ich weiss gar nicht, welches Buch ich auswählen sollte. Mich interessiert der Judaismus, denn als Kind bin ich im „Judendorf“ Lengnau aufgewachsen. Auf dem Dorfplatz gab es eine Synagoge, daneben die Schule, in den Schulferien habe ich im jüdischen Altersasyl gearbeitet. Mich interessiert China, wo ich lange tätig war. Wichtig ist mir, dass die Bücher ein realistisches Bild auf das Leben ermöglichen.

Gibt es Autoren und Autorinnen, die ihnen besonders gefallen?

Oskar Maria Graf, ein bayrischer Schriftsteller, der von 1894-1967 gelebt hat, gefällt mir sehr gut, zum Beispiel "Das Leben meiner Mutter", in dem er mit viel Humor Biografisches und Autobiografisches erzählt. Dann gefällt mir Kristín Marja Baldursdóttir mit ihrem detailliert über den Isländischen Alltag berichtenden Roman "Die Eismalerin". Oder Diemuth Königs mit ihrem Buch "Juden im Fricktal" über die jüdische Minderheit und ihre Behandlung vom 13. bis zum 20. Jahrhundert. Schliesslich gibt es verschieden Autoren aus dem Osteuropa des 19. Jahrhunderts, die mir gut gefallen, etwa Ismail Kadare aus Albanien, Aleksandar Tišma aus Serbien oder Sandor Marai aus Ungarn. Sie geben Einblick in Welten, die sich seither viel verändert haben.
Aber auch hier hat sich ja viel verändert.

Was denn zum Beispiel?

Es ist ein neuer Mensch im Entstehen begriffen. Ich bin "old school" – ich spreche gerne direkt mit den Menschen. Aber die Jungen leben in einer wahnsinnigen Anonymität. Sie bewegen sich anders, ihr Gegenüber ist eine Maschine. Die Abstimmung über NoBillag könnte katastrophal enden, denn ein Grossteil der jungen Bevölkerung weiss kaum mehr, dass es ein Schweizer Fernsehen überhaupt gibt. Eine Mutter zweier Kinder sagte mir kürzlich, für ihren Sohn, 6 Jahre alt, gebe es nur Google. Das sind neue Dimensionen. Die Politik hinkt da Jahrzehnte hintendrein.

Das Kolpingwerk kann auf 150 Jahr der Veränderungen zurückblicken. Sie selbst haben als Geschäftsleiter des Schweizer Zentralverbandes 30 Jahre Kolping-Geschichte miterlebt. Wie geht es nach Ihrer Pensionierung dieses Jahr weiter?

Die Suche nach einem Nachfolger ist schon weit fortgeschritten. Wir rechnen mit einer Anstellung bis im März. Mit meinem Nachfolger werde ich noch sechs Monate zusammenarbeiten, um ihn in das Netzwerk einzuführen. Das Netzwerk ist internationaler geworden. Ich bin ein Vielreiser und habe in meinem Leben sicher 60 Länder besucht und 15 Länder intensiv betreut. 12 Jahre lang war ich Geschäftsführer von Kolping international. Damals habe ich gleichzeitig in Luzern und in Köln gewohnt.

Liess sich das mit der Familie vereinbaren?

Ich habe erst mit 59 Jahren geheiratet. Für mich war es nie ein Thema, Kinder zu haben. Also habe ich auch niemanden alleine zu Hause gelassen.  

Was ist eigentlich die Geschichte hinter dem Kolping-Werk?

Der Name des Werks geht auf Adolph Kolping zurück. Er stammte aus einer ärmeren Schuhmacherfamilie in Kerpen, Deutschland. Kolping lernte das Schuhmacherhandwerk und bildete sich später zum Priester weiter. Innerhalb der katholischen Kirche war er ein Sozialreformer. Es war die Zeit der Industrialisierung, in der sich die Menschen plötzlich einem Zeittakt zu beugen hatten. Es war eine Riesenveränderung – wie es sie in jeder Epoche gibt. Kolping war auf seiner Gesellenwanderung entsetzt über die schlechte Behandlung der Gesellen. Daher gründete er später Zellenvereine und Kolpinghäuser. Erst in Deutschland, später auch in Ungarn, Österreich und der Schweiz. Er wollte für die Gesellen während ihrer Wanderschaft anständige Unterkünfte schaffen. Vieles, was er damals als Pionier tat, ist heute selbstverständlich. Zum Beispiel das zielgruppenorientierte Engagement, Bildung als Fundament für ein besseres Leben, oder seine publizistischen Aktivitäten. Aber damals war er ein Vordenker. Er lebte in der Zeit, da auch Raiffeisen Hilfsvereine gründete, oder da Marx und Engels ihre Schriften publizierten.

Wurden die Schriften von Marx und Engels denn von den Kolping-Leuten gelesen?

Es war eine für neue Impulse offene und dynamische Bewegung, die sich immer wieder grundlegend veränderte. Anfangs war die Mitgliedschaft nur für alleinstehende Handwerker unter 30, später für alle Männer und ab 1970 auch für Frauen möglich. 1968 wagte man den Schritt in die Dritte Welt, wie man sie damals nannte. Der globale Süden wurde für die Öffentlichkeit neu zum Thema, etwa mit der Biafra-Krise oder Formosa unter der Herrschaft der Kuomintang. Das Kolping-Werk erlebte immer wieder Wachstumsschübe, zum Beispiel mit der Gründung von Verbänden in Lateinamerika nach 1968 oder in Osteuropa nach 1989. Jetzt entwickeln sich neue Verbände in Afrika. Wir arbeiten immer mit Kolpingwerken in anderen Ländern. Das schafft Vertrauen. So kenne ich den Geschäftsleiter des Kolpingwerks von Bolivien seit dreissig Jahren. Das ist der Kern der Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Man weiss, wie der andere tickt, trifft sich auch an internationalen Konferenzen. Beziehungen und persönlicher Einsatz, das war schon zu Beginn der Bewegung wichtig.
  

Wie steht Kolping zur katholischen Kirche?

Wir sind zwar ein katholisches Werk, aber wir sind nicht Teil der katholischen Kirche. Wir berufen uns auf die katholischen Soziallehre und die Stärkung der Zivilgesellschaft weltweit ist unser Ziel. Ich kenne Frauen in Bolivien, die dort in einer Gruppe mitarbeiteten, und Jahre später sah ich sie wieder, wie sie selber zu 300 Personen sprachen. Mit diesen Frauen kann man nicht mehr einfach umspringen. Das war Adolph Kolpings Ziel: Auf Menschen zählen, ihre Stärken fördern.

Was heisst für Sie fair unterwegs sein?

Es ist das Fundament, fair zu seinem Gegenüber zu sein. Noch nie wurde so viel gereist wie heute, und dennoch haben die Menschen Angst vor Fremden, weil sie sich nicht wirklich auseinandergesetzt haben und nicht wirklich angekommen sind. Wenn ich hier ein Projekt verkaufe, rede ich von dort wie von hier. "Kommt das Geld an?", werde ich gefragt, oder "wie steht es mit den Verwaltungskosten?" Dann muss ich klarmachen, dass der Spender der erste ist, der Verwaltungskosten verursacht. Denn er will einen Dankesbrief, Projektberichte, Kontrolle, dass es funktioniert.  Eine Kolpinggruppe hier hat zum Beispiel ein Kolpinghaus in Bolivien finanziert. Einer reiste bald nach der Eröffnung hin und war enttäuscht, weil noch nicht viel entstanden war daraus. Aber stellen Sie sich vor, einer schenkt uns ein Haus fürs Quartier. Der eine möchte einen Weinkeller, der andere eher einen Hobbyraum. Es braucht seine Zeit und seine Entwicklung. Deshalb rede ich von Unterstützung, Zusammenarbeit und sehr wenig von helfen. Ich verstehe es teilweise auch als ein Geschäft.

Und was ist die Gegenleistung?

Dass die Begünstigten dort wie abgemacht Einnahmen, Behinderten- und Ausbildungsplätze schaffen. Dass das Projekt möglichst vielen Menschen vor Ort dienlich ist. Wir sind die Investoren, die Aktionäre sind die Menschen im Haus.

Was heisst fair unterwegs sein auf Reisen?

Ich bin extrem viel gereist, manchmal reiste ich zweimal in einem Monat nach China. Denn ich war in den Achtzigerjahren nationaler Sekretär der Vereinigung Freundschaft mit China und Geschäftsführer des Panda-Reisebüros. Wir organisierten Gruppenreisen, wie es damals möglich war. Das Hauptpublikum waren Ärzte, Krankenschwestern, Apotheker, Lehrerinnen, Architekten. Ich war auch Reiseleiter – ein harter Job bei Kunden, die das Gefühl haben, schon alles zu wissen. Fragen der Nachhaltigkeit beschäftigten uns damals nicht. Es flogen ja auch nicht so viele Menschen wie heute.
Für mich ist es wichtig, in der Gegenwart zu sein. Reisen ist auch Gegenwart. Ich habe es für mich so formuliert:
„Wenn man immer unterwegs ist / dann verliert man sehr viel Zeit / wenn man dabei denkt / dass man unterwegs ist // Ist man aber da, wo man ist / wie ich jetzt wartend auf den Zug / ist man nie unterwegs / man ist immer da. // Heimat auf Reisen / Heimreise!“
Für mich ist Reisezeit Lesezeit:
„Wenn ich in meinem Büro aus dem Fenster sehe / runter zum Fluss / wo das Wasser fliesst und fliesst / und ich dann fünf Stunden später / in Köln mit dem Zug über die Rheinbrücke fahre / frage ich mich / ob das Wasser wohl auch schon da ist!“
Ausserdem heisst fair unterwegs sein, auch sich selbst gegenüber fair zu sein. Der erste Schritt dabei ist herauszufinden wer man wirklich ist. Damit man ja oder nein sagen kann. Sonst ist einem immer unwohl, oder man entwickelt Krankheiten wie Burnouts.

Kolping Schweiz unterstützt fairunterwegs seit Jahrzehnten. Warum?

Kolping hat ganze Ketten von Hotels auf der Welt, seit ein paar Jahren auch in Rom. Unser Slogan lautet "In der Ferne zu Hause". Ich finde Reisen extrem wichtig, wenn es mit dem richtigen Bewusstsein geschieht. Uns fällt Reisen leicht. Es muss uns bewusst werden, dass wir woanders hinkommen und dort etwas verlangen, was uns nicht zusteht, etwa die Sauberkeit, das WLAN, die hohen Service- und Dienstleistungsstandards. Es ist wichtig, das eine Organisation wie fair unterwegs – akte das zum Thema macht und die Reisenden aufklärt. Wir unterstützen Organisationen, die etwas machen, das für uns wichtig ist, wir aber nicht selber machen können.

Was wünschen Sie sich zum 150. Geburtstag von Kolping Schweiz?

Ich wünsche mir etwas für die 30 Jahre, die ich für die Geschäftsleitung eingesetzt habe: Dass möglichst viel so weitergeht und Gewisses auch ausgebaut wird. Und dass es noch lange Platz hat für Organisationen wie Kolping in dieser Gesellschaft. Wir müssen nicht populär sein, sondern im Kleinen etwas tun das wirkt.  

Empfohlene BücherOskar Maria Graf: Das Leben meiner Mutter. Ullstein TB, München Neuauflage 2016, 992 Seiten, CHF 16.70, EUR 12.00-14.00, ISBN 978-3-548-28874-1 
Kristín Marja Baldursdóttir: Die Eismalerin. Roman.Taschenbuch. Originalsprache: Isländisch, Übersetzt von: Coletta Bürling. Fischer, Frankfurt am Main, 2007. 464 Seiten, CHF 16.80, EUR (D) 9,99,  (A) 10,30. ISBN: 978-3-596-16932-0
Diemuth Königs: Juden im Fricktal. Geschichte einer Minderheit vom 13. bis zum 20. Jahrhundert. Schwabe Verlag Basel 2016, 278 Seiten, CHF 42.90, EUR 38.00, ISBN 978-3-7965-3522-2
Ismail Kadare: Die Schleierkarawane. Erzählungen. Fischer, Frankfurt 2015, 208 Seiten, CHF 28.70, EUR 19.99  ISBN 978-3-10-038419-5 
Aleksandar Tišma:  Reise in mein vergessenes Ich. Tagebuch 1942-1951. Die Meridiane Mitteleuropas. Hanser, Berlin 2003, 317 Seiten, CHF 31.90,  EUR 21.50, ISBN 978-3-446-20359-4 
Sandor Marai: Die Glut.Roman. Piper, München 2001, 224 Seiten, CHF 14.90, EUR 10.00, ISBN 978-3-492-23313-2 

Was denn zum Beispiel?

Es ist ein neuer Mensch im Entstehen begriffen. Ich bin "old school" – ich spreche gerne direkt mit den Menschen. Aber die Jungen leben in einer wahnsinnigen Anonymität. Sie bewegen sich anders, ihr Gegenüber ist eine Maschine. Die Abstimmung über NoBillag könnte katastrophal enden, denn ein Grossteil der jungen Bevölkerung weiss kaum mehr, dass es ein Schweizer Fernsehen überhaupt gibt. Eine Mutter zweier Kinder sagte mir kürzlich, für ihren Sohn, 6 Jahre alt, gebe es nur Google. Das sind neue Dimensionen. Die Politik hinkt da Jahrzehnte hintendrein.

Das Kolpingwerk kann auf 150 Jahr der Veränderungen zurückblicken. Sie selbst haben als Geschäftsleiter des Schweizer Zentralverbandes 30 Jahre Kolping-Geschichte miterlebt. Wie geht es nach Ihrer Pensionierung dieses Jahr weiter?

Die Suche nach einem Nachfolger ist schon weit fortgeschritten. Wir rechnen mit einer Anstellung bis im März. Mit meinem Nachfolger werde ich noch sechs Monate zusammenarbeiten, um ihn in das Netzwerk einzuführen. Das Netzwerk ist internationaler geworden. Ich bin ein Vielreiser und habe in meinem Leben sicher 60 Länder besucht und 15 Länder intensiv betreut. 12 Jahre lang war ich Geschäftsführer von Kolping international. Damals habe ich gleichzeitig in Luzern und in Köln gewohnt.

Liess sich das mit der Familie vereinbaren?

Ich habe erst mit 59 Jahren geheiratet. Für mich war es nie ein Thema, Kinder zu haben. Also habe ich auch niemanden alleine zu Hause gelassen.  

Was ist eigentlich die Geschichte hinter dem Kolping-Werk?

Der Name des Werks geht auf Adolph Kolping zurück. Er stammte aus einer ärmeren Schuhmacherfamilie in Kerpen, Deutschland. Kolping lernte das Schuhmacherhandwerk und bildete sich später zum Priester weiter. Innerhalb der katholischen Kirche war er ein Sozialreformer. Es war die Zeit der Industrialisierung, in der sich die Menschen plötzlich einem Zeittakt zu beugen hatten. Es war eine Riesenveränderung – wie es sie in jeder Epoche gibt. Kolping war auf seiner Gesellenwanderung entsetzt über die schlechte Behandlung der Gesellen. Daher gründete er später Zellenvereine und Kolpinghäuser. Erst in Deutschland, später auch in Ungarn, Österreich und der Schweiz. Er wollte für die Gesellen während ihrer Wanderschaft anständige Unterkünfte schaffen. Vieles, was er damals als Pionier tat, ist heute selbstverständlich. Zum Beispiel das zielgruppenorientierte Engagement, Bildung als Fundament für ein besseres Leben, oder seine publizistischen Aktivitäten. Aber damals war er ein Vordenker. Er lebte in der Zeit, da auch Raiffeisen Hilfsvereine gründete, oder da Marx und Engels ihre Schriften publizierten.

Wurden die Schriften von Marx und Engels denn von den Kolping-Leuten gelesen?

Es war eine für neue Impulse offene und dynamische Bewegung, die sich immer wieder grundlegend veränderte. Anfangs war die Mitgliedschaft nur für alleinstehende Handwerker unter 30, später für alle Männer und ab 1970 auch für Frauen möglich. 1968 wagte man den Schritt in die Dritte Welt, wie man sie damals nannte. Der globale Süden wurde für die Öffentlichkeit neu zum Thema, etwa mit der Biafra-Krise oder Formosa unter der Herrschaft der Kuomintang. Das Kolping-Werk erlebte immer wieder Wachstumsschübe, zum Beispiel mit der Gründung von Verbänden in Lateinamerika nach 1968 oder in Osteuropa nach 1989. Jetzt entwickeln sich neue Verbände in Afrika. Wir arbeiten immer mit Kolpingwerken in anderen Ländern. Das schafft Vertrauen. So kenne ich den Geschäftsleiter des Kolpingwerks von Bolivien seit dreissig Jahren. Das ist der Kern der Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Man weiss, wie der andere tickt, trifft sich auch an internationalen Konferenzen. Beziehungen und persönlicher Einsatz, das war schon zu Beginn der Bewegung wichtig.
  

Wie steht Kolping zur katholischen Kirche?

Wir sind zwar ein katholisches Werk, aber wir sind nicht Teil der katholischen Kirche. Wir berufen uns auf die katholischen Soziallehre und die Stärkung der Zivilgesellschaft weltweit ist unser Ziel. Ich kenne Frauen in Bolivien, die dort in einer Gruppe mitarbeiteten, und Jahre später sah ich sie wieder, wie sie selber zu 300 Personen sprachen. Mit diesen Frauen kann man nicht mehr einfach umspringen. Das war Adolph Kolpings Ziel: Auf Menschen zählen, ihre Stärken fördern.

Was heisst für Sie fair unterwegs sein?

Es ist das Fundament, fair zu seinem Gegenüber zu sein. Noch nie wurde so viel gereist wie heute, und dennoch haben die Menschen Angst vor Fremden, weil sie sich nicht wirklich auseinandergesetzt haben und nicht wirklich angekommen sind. Wenn ich hier ein Projekt verkaufe, rede ich von dort wie von hier. "Kommt das Geld an?", werde ich gefragt, oder "wie steht es mit den Verwaltungskosten?" Dann muss ich klarmachen, dass der Spender der erste ist, der Verwaltungskosten verursacht. Denn er will einen Dankesbrief, Projektberichte, Kontrolle, dass es funktioniert.  Eine Kolpinggruppe hier hat zum Beispiel ein Kolpinghaus in Bolivien finanziert. Einer reiste bald nach der Eröffnung hin und war enttäuscht, weil noch nicht viel entstanden war daraus. Aber stellen Sie sich vor, einer schenkt uns ein Haus fürs Quartier. Der eine möchte einen Weinkeller, der andere eher einen Hobbyraum. Es braucht seine Zeit und seine Entwicklung. Deshalb rede ich von Unterstützung, Zusammenarbeit und sehr wenig von helfen. Ich verstehe es teilweise auch als ein Geschäft.

Und was ist die Gegenleistung?

Dass die Begünstigten dort wie abgemacht Einnahmen, Behinderten- und Ausbildungsplätze schaffen. Dass das Projekt möglichst vielen Menschen vor Ort dienlich ist. Wir sind die Investoren, die Aktionäre sind die Menschen im Haus.

Was heisst fair unterwegs sein auf Reisen?

Ich bin extrem viel gereist, manchmal reiste ich zweimal in einem Monat nach China. Denn ich war in den Achtzigerjahren nationaler Sekretär der Vereinigung Freundschaft mit China und Geschäftsführer des Panda-Reisebüros. Wir organisierten Gruppenreisen, wie es damals möglich war. Das Hauptpublikum waren Ärzte, Krankenschwestern, Apotheker, Lehrerinnen, Architekten. Ich war auch Reiseleiter – ein harter Job bei Kunden, die das Gefühl haben, schon alles zu wissen. Fragen der Nachhaltigkeit beschäftigten uns damals nicht. Es flogen ja auch nicht so viele Menschen wie heute.
Für mich ist es wichtig, in der Gegenwart zu sein. Reisen ist auch Gegenwart. Ich habe es für mich so formuliert:
„Wenn man immer unterwegs ist / dann verliert man sehr viel Zeit / wenn man dabei denkt / dass man unterwegs ist // Ist man aber da, wo man ist / wie ich jetzt wartend auf den Zug / ist man nie unterwegs / man ist immer da. // Heimat auf Reisen / Heimreise!“
Für mich ist Reisezeit Lesezeit:
„Wenn ich in meinem Büro aus dem Fenster sehe / runter zum Fluss / wo das Wasser fliesst und fliesst / und ich dann fünf Stunden später / in Köln mit dem Zug über die Rheinbrücke fahre / frage ich mich / ob das Wasser wohl auch schon da ist!“
Ausserdem heisst fair unterwegs sein, auch sich selbst gegenüber fair zu sein. Der erste Schritt dabei ist herauszufinden wer man wirklich ist. Damit man ja oder nein sagen kann. Sonst ist einem immer unwohl, oder man entwickelt Krankheiten wie Burnouts.

Kolping Schweiz unterstützt fairunterwegs seit Jahrzehnten. Warum?

Kolping hat ganze Ketten von Hotels auf der Welt, seit ein paar Jahren auch in Rom. Unser Slogan lautet "In der Ferne zu Hause". Ich finde Reisen extrem wichtig, wenn es mit dem richtigen Bewusstsein geschieht. Uns fällt Reisen leicht. Es muss uns bewusst werden, dass wir woanders hinkommen und dort etwas verlangen, was uns nicht zusteht, etwa die Sauberkeit, das WLAN, die hohen Service- und Dienstleistungsstandards. Es ist wichtig, das eine Organisation wie fair unterwegs – akte das zum Thema macht und die Reisenden aufklärt. Wir unterstützen Organisationen, die etwas machen, das für uns wichtig ist, wir aber nicht selber machen können.

Was wünschen Sie sich zum 150. Geburtstag von Kolping Schweiz?

Ich wünsche mir etwas für die 30 Jahre, die ich für die Geschäftsleitung eingesetzt habe: Dass möglichst viel so weitergeht und Gewisses auch ausgebaut wird. Und dass es noch lange Platz hat für Organisationen wie Kolping in dieser Gesellschaft. Wir müssen nicht populär sein, sondern im Kleinen etwas tun das wirkt.  

Empfohlene BücherOskar Maria Graf: Das Leben meiner Mutter. Ullstein TB, München Neuauflage 2016, 992 Seiten, CHF 16.70, EUR 12.00-14.00, ISBN 978-3-548-28874-1 
Kristín Marja Baldursdóttir: Die Eismalerin. Roman.Taschenbuch. Originalsprache: Isländisch, Übersetzt von: Coletta Bürling. Fischer, Frankfurt am Main, 2007. 464 Seiten, CHF 16.80, EUR (D) 9,99,  (A) 10,30. ISBN: 978-3-596-16932-0
Diemuth Königs: Juden im Fricktal. Geschichte einer Minderheit vom 13. bis zum 20. Jahrhundert. Schwabe Verlag Basel 2016, 278 Seiten, CHF 42.90, EUR 38.00, ISBN 978-3-7965-3522-2
Ismail Kadare: Die Schleierkarawane. Erzählungen. Fischer, Frankfurt 2015, 208 Seiten, CHF 28.70, EUR 19.99  ISBN 978-3-10-038419-5 
Aleksandar Tišma:  Reise in mein vergessenes Ich. Tagebuch 1942-1951. Die Meridiane Mitteleuropas. Hanser, Berlin 2003, 317 Seiten, CHF 31.90,  EUR 21.50, ISBN 978-3-446-20359-4 
Sandor Marai: Die Glut.Roman. Piper, München 2001, 224 Seiten, CHF 14.90, EUR 10.00, ISBN 978-3-492-23313-2