Welches Buch führt dich auf die intensivste Reise?

Ich lese gerne und viel und konnte mich gar nicht festlegen. Ich liebe es, über Bücher in fremde Kulturen einzutauchen und lese darum gerne internationale AutorInnen. Deshalb nenne ich hier den Japanischen Autoren Haruki Murakami. Kürzlich habe ich von ihm das Buch "Die Ermordung des Commendatore" gelesen. Die Geschichte handelt von einem Maler, der für ein Auftrags-Porträt einfach keinen guten Ansatz findet. Zufällig entdeckt er auf einem Dachboden ein faszinierendes Gemälde mit dem Titel "Die Ermordung des Commendatore". Das löst eine Kette von Geschehnissen aus, bei denen oft in der Schwebe gelassen wird, ob es sich um Halluzinationen oder um die Realität handelt. Das Buch gibt einen Einblick ins Denken und die Gesellschaftsstruktur in Japan.

Wenn du in diese Kultur eintauchst, stellst du dann unsere Kultur und Werte in Frage?

Nein. Murakami als japanischer Autor sieht viele Dinge anders als wir. Die japanische Kultur ist der europäischen so fremd, dass sie sich gar nicht vergleichen lässt. Über die Lektüre von Murakamis Büchern lässt sich erahnen, wie die Gesellschaft dort tickt.

Was hat dich am meisten an dieser Gesellschaft überrascht oder verunsichert?

Die Hektik. Alle sind in schneller Bewegung: Etwa wenn sie in die U-Bahn einsteigen oder durch die Stadt eilen. Es scheint wie ein kollektives Laufen im Laufrad, wenn man von aussen kommt und zuschaut. Ich fand es schwierig, mit Einheimischen in Kontakt zu kommen.

Wie nehmen Reisende Deutschland wahr?

So ähnlich hatte man ja lange auch die Deutschen wahrgenommen: spassbefreit und kühl. Doch die WM 2006 hat die Welt eines anderen belehrt. Viele hätten nie erwartet, dass die Deutschen so ausgelassen feiern können.

Welche Art von Auseinandersetzung mit anderen Kulturen erwartest du von Reisenden?

Ich erwarte, dass Reisende mit Neugier und Offenheit, mit Respekt gegenüber Menschen und der Natur unterwegs sind und sich auf das Land einlassen können.

Du hast vor gut knapp fünf Jahren die Geschäftsleitung vom Studienkreis für Tourismus und Entwicklung e.V. übernommen. Was hat dich dorthin geführt?

Ich habe Betriebswirtschaftslehre an der Ludwig-Maximilians-Universität München studiert und war nach meinem Abschluss zunächst im Bereich Marketing und Vertrieb für Unternehmen der Luftverkehrsbranche tätig. Später leitete ich als Geschäftsführerin einen mittelständischen, auf Gruppen- und Medienreisen spezialisierten Reiseveranstalter. 1997 gründete ich meine eigene Veranstaltungs- und Marketingagentur und verantwortete mehrere Jahre die gesamten Marketingaktivitäten für verschiedene touristische Unternehmen im In- und Ausland. Familiäre Gründe zwangen mich, eine Zeit lang kürzer zu treten und mich neu zu orientieren. Im Studienkreis stieg ich 2015 im Marketing ein und übernahm dann drei Monate später die Geschäftsführung. Ich bin begeistert von den Themen des Studienkreises.

Beim Studienkreis ist fair unterwegs zu sein ein zentrales Thema. Was heisst es für dich?

Nachhaltig, sozial, umweltverantwortlich. Möglichst nicht ins Flugzeug steigen, und wenn doch, für einen Langstreckenflug, dann länger bleiben und den CO2-Ausstoss kompensieren. Beim Studienkreis kompensieren wir alle Geschäftsreisen. Wir schauen auch, wie die Hotels geführt werden, ob etwa die Arbeitsbedingungen fair sind, ob sie für die Umwelt etwas tun und eventuell sogar zertifiziert sind. Am liebsten besuche ich die Projekte, die wir mit dem TO DO Award für sozialverantwortlichen Tourismus auszeichnen konnten. Dort weiss ich, dass die lokale Bevölkerung bei der Planung und Umsetzung des Tourismus mit einbezogen wurde. Dieses Jahr werden wir an der Preisverleihung anlässlich der Internationalen Tourismusbörse Berlin ITB etwa VertreterInnen des Banteay Chhmar Community Based Tourism Projektes in Kambodscha begrüssen, bei dem ein demokratisch gewähltes Komitee alle touristischen Aktivitäten als Zusatzeinkommen zum Reisanbau steuert. Oder des Esfahk Historic Village im Iran, wo es jungen DorfbewohnerInnen gelang, nach einem verheerenden Erdbeben aus den Ruinen ohne ortsfremde Investoren ein touristisch nutzbares und kulturhistorisches Kleinod zu erschaffen. Oder das im letzten Jahr ausgezeichnete Projekt des Amawaki (Quetschua: "handgemacht") im heiligen Tal der Inkas, wo Frauen mit der Herstellung von fair gehandelten Textilprodukten und mit geführten Trekkingangeboten einen Verdienst erzielen.

Welche Entwicklung möchte der TO DO Award besonders fördern?

Mit dem TO DO Award zeichnen wir Tourismusprojekte und -initiativen aus, die Partizipation und Mitsprache sowie eine ganzheitliche Wirtschaftsentwicklung mit schonender Nutzung der Ressourcen vorbildlich umsetzen. Dabei soll der Tourismus nicht die einzige Einkommensquelle sein. Wichtig ist auch, dass die kulturelle Identität gewahrt bleibt und die Frauen gestärkt werden, gerade wo die Chancengleichheit nicht gegeben ist. Der Preis wird von zahlreichen Kooperationspartnern gefördert und von der Schweizerischen Stiftung für Solidarität im Tourismus mit einem Preisgeld unterstützt.

Sind das nicht bloss nette Nischenprojekte, die mit dem Rest der Tourismusindustrie nichts zu tun haben?

Zumindest die Partizipation muss realistisch sein. Die Bevölkerung muss sagen können, welche Entwicklung sie will. An vielen Orten, wo Grossinvestoren Megaprojekte durchboxen wollen, wehren sich die Menschen. Es findet ein Umdenken statt, dem sich heute auch die Branche nicht mehr entziehen kann, gerade auch mit der breiten Diskussion um den Overtourism. Reiseveranstalter haben eine Machtposition. Sie können und sollten von ihren Partnern und Zulieferern verlangen, dass die Bezahlung und die Arbeitsbedingungen in den Hotels fair sind.

Zahlen die Reiseveranstalter ihren Partnern und Zulieferern dafür auch einen entsprechenden Preis?

Immer mehr Veranstalter verstehen nachhaltiges und sozialverantwortliches Handeln als festen Bestandteil in ihrer Unternehmenskultur. Viele lassen sich auch zertifizieren, und können dann mit ihrem Engagement für faire Bedingungen und Nachhaltigkeit bei einer zunehmend daran interessierten Kundschaft auch punkten.

Findet die interessierte Kundschaft solche zertifizierten Angebote?

Das Problem ist die Menge an unterschiedlichen Zertifikaten. Das ist für Reisende verwirrend. Aber dafür gibt es ja den Labelführer oder Verbände wie das Forum anders Reisen, bei denen sich alle Tour Operator, die Mitglied sind, der Nachhaltigkeit verpflichtet haben. Wenn ich zum Wandern nach Österreich reise, halte ich durchaus Ausschau nach zertifizierten Hotelangeboten.

Der Studienkreis für Tourismus und Entwicklung ist ja seit der Gründung auch Partner von fair unterwegs – arbeitskreis tourismus & entwicklung. Was bedeutet euch diese Partnerschaft.

Beide Organisationen machen auf ihre je eigene Weise Informations- und Bildungsarbeit. Bei Fair unterwegs schätzte ich immer die kritische Stimme im Tourismus, die natürlich auch von Christine Plüss geprägt war. Ich bin gespannt, wie ihr euch unter Jon Florin jetzt neu ausrichtet.

Und wie gefällt dir fairunterwegs.org?

Ich schätze sehr, dass ihr so fundierte Beiträge bringt. Gerade diese Informationen und die Beispiele finde ich wichtig. Ihr nehmt aber auch die Reisenden an die Hand, die fair unterwegs sein wollen, und zeigt ihnen, wie sie ihre Reise entsprechend gestalten können. Das ist innovativ. Denn man liest viel über Nachhaltigkeit, aber wenn’s konkret wird, braucht man nicht zuletzt verlässliche Informationen und eine gewisse Begleitung durch Experten.

Haruki Murakami: Die Ermordung des Commendatore. Übersetzt von Ursula Gräfe. Dumont, Köln 2018. 480 Seiten, CHF 39.80, EUR 26.00 , ISBN 978-3-8321-9891-6

studienkreis.org

todo-contest.org