Welche deiner Reisen hat dich am meisten erfüllt?

Eigentlich jede Reise. Ich liebe es einfach, mit Freunden Zeit an verrückten und spannenden Orten zu verbringen. Im Kopf habe ich gerade eine Reise vor vielen Jahren, von Vancouver nach San Francisco. Es war ein, freier, schöner Road Trip mit Freunden. Es war die erste grosse Reise, die ich selber gemacht und organisiert habe. Das Auto zu lenken und die Landschaften vorbeiziehen sehen, das war einfach ein gutes Gefühl. 

Eine Art Coming of Age?

Ja, schon Portland, Oregon, ist eine pulsierende Kulturstadt, ich erinnere mich schwammig an wahnsinnig gute Biersorten, die wir alle probiert haben. Höhepunkt der Reise war aber die Ankunft in San Francisco, der schwulsten Stadt der Welt. Es ist eine der bedeutendsten Geburtsorte der westlichen Schwulenkultur – der richtige Ort für mich.

Wie sieht deine Reiseplanung aus? Musst du als Queer auf anderes achten als die Straights?

Ich bin natürlich schon nur mit dem Schweizer Pass und meiner Hautfarbe privilegiert. Reisebeschränkungen gibt es darum kaum und Schwulsein ist etwas, das ich verstecken kann. Aber ich will nicht. Ich wäre auch ein bisschen exponiert wegen meines rosa Winkels, den ich mir auf den Oberarm habe tätowieren lassen. Ich verzichte auf Feriendestinationen, die Menschenrechte der queeren Community mit Füssen treten: Russland ist für mich unvorstellbar und Dubai kann ich mir sowieso nicht leisten. Schwieriger ist es bei Destinationen, die offensiv Marketing machen, aber gleichzeitig für die lokale Community wenig tun: Ich denke da an Tel Aviv. Da versuche ich, bewusste Reiseentscheidungen zu treffen und nicht einfach ein blöder Konsumtourist zu sein. 

Wie gehst du dann vor?

Ich ziehe Länder und Destinationen vor, die für unterschiedliche sexuelle Ausrichtungen offen sind. Verschiedene Tour Operator haben ja das Marktpotenzial der LGBTQI*-Community für sich entdeckt, wie zum Beispiel Pink Cloud, das Mitarbeitende von Kuoni Schweiz ins Leben gerufen hatten. Aber ich gehöre definitiv nicht zu jenen, die sich beklagen, dass sie nicht nach Dubai kommen. Das fände ich anmassend gegenüber den lokalen Queers, die unter Todesangst leben müssen. Es gibt kein Recht auf Fernreisen. 

Schon. Aber es ist doch ungerecht, dass dir beim Reisen mehr Steine in den Weg gelegt werden als der heterosexuellen Mehrheit.

Ja, aber ich jammere sicher nicht über meine Luxus-Einschränkungen bei Ferien. Was ich mache: politisch Druck, damit die Schweiz dafür mitkämpft, dass Menschenrechte für die LGBTQI* überall auf dem Globus gelten.

Mit der Erweiterung der Anti-Rassismusstrafnorm um die sexuelle Orientierung und der "Ehe für alle" hat die LGBTQI*-Bewegung dieses Jahr bedeutende politische Siege errungen. Du warst bei diesen Kämpfen vorne dabei und engagierst dich seit vielen Jahren für die Rechte der queeren Community. Was gibt dir den Mut und die Kraft, dies zu tun?

In den über zehn Jahren Engagement habe ich immer wieder erlebt, was möglich wird, wenn wir uns zusammenschliessen und Einfluss nehmen: ein besseres Leben! Darum engagiere ich mich bis heute und freue mich an den grösseren und kleineren Veränderungen, die wir erreichen.

Wo siehst du Gemeinsamkeiten und wo die Unterschiede zwischen der im Moment stark in den Medien präsenten Black-Lives-Matter-Bewegung und der Bewegung für Queer-Rechte?

Die Gemeinsamkeit liegt in der Erfahrung, Teil einer diskriminierten Minderheit zu sein. Das ist vielleicht ähnlich und ermöglicht es, sich für Anliegen auch zusammenzuschliessen. Aber die spezifischen Erlebnisse unterscheiden sich. Darum höre ich der BLM-Bewegung zu und ich solidarisiere mich mit ihnen. Aber es ist nicht schlau, von sich auf andere zu schliessen. Vielmehr versuche ich, mich selbst zu entlarven und beispielsweise die Frage nach Rassismus innerhalb der queeren Community und meinem Handeln zu bearbeiten.

Was geht dir denn durch den Kopf, wenn du die Diskussion um das Wort "Mohrenkopf" mitverfolgst?

Wenn ich die Vehemenz sehe, mit der das M-Wort verteidigt wird, erinnert es mich an die Vehemenz, mit der manche sich auch an gewisse Worte für Schwule klammern, oder die Ehe als exklusives Privileg von Heterosexuellen beibehalten wollen. Diskriminierung und Rechte sind nicht zwingend parallel. Die Rechtssituation kann gut sein, und trotzdem machen diskriminierende Aussagen und Strukturen unser Leben schwer.

Hast du anti-queere Reaktionen auf Reisen erlebt?

Nein. Aber das ist auch logisch: Ich profitiere vom sogenannten "Pink Money". Das Geld schützt mich. Das Hotel ist an sicherer Lage und wenn es mir irgendwo unangenehm wird, kann ich mir einfach ein Taxi nehmen und davonfahren. Das können Einheimische nicht. Sie leben da, das ist ihr Zuhause. 

Was heisst für dich Fair unterwegs sein?

Ich denke, der ökologische Aspekt ist eh allen klar. Soziale Fairness in meinem Kontext bedeutet: Wenn ich Räume der queeren Community benutze, in denen sie mich schützen, wertschätzen und dafür Aufwände habe, dann bin ich mir dessen bewusst. Ich mache vielleicht eine Spende an die Organisation, ich versuche zu verstehen, was die lokale Community bewegt. Ich möchte etwas erfahren von ihrem Leben und mit diesem Wissen auch das Bewusstsein in der Schweiz erhöhen. 

Teilen sie ihre Erfahrungen offen mit Touristen? Haben Einheimische überhaupt Zugang zu den Schwulenbars, in denen sich die Touristen bewegen?

Die queere Welt ist sehr international. Vom Gefühl her ist es ein nach Hause kommen. Die Codes und die Art und Weise der Gespräche erkennt man immer wieder. Trotzdem sind die Bars lokal verankert. Gay Clubs, die nur für Touristen da sind, interessieren mich nicht.

Pflegst du eine bestimmte Art zu reisen?

Oft bin ich in Städten unterwegs, letztes Jahr waren es Kopenhagen und Berlin. Letzten Sommer war ich in Sardinien und Konferenzen führten mich nach Wien und Paris.  

Und hast du einen Ferientraum?

Südkorea! Dazu gibt es eine Geschichte: Ich hatte Chinesischunterricht in der Kantonsschule und war vor zwölf Jahren während drei Wochen in Peking im Austausch. Ich lebte auf derselben Etage wie ein paar Südkoreaner, mit denen ich dann abgehängt bin. Sie gaben mir von ihrer zu scharfen Nudelsuppe aus dem Becher, weil sie das chinesische Essen so scheisse fanden, was ich wiederum lustig fand, weil ich es damals kaum auseinanderhalten konnte. Wir hatten eine tolle Zeit miteinander. Ansonsten macht mich Europa sehr glücklich – immer weniger mit dem Flugzeug und immer mehr mit dem Zug. Im Moment ist das aber nichts: Darum geht es in wenigen Tagen nach Sörenberg zum Wandern.

Auf fairunterwegs.org haben wir nicht nur, aber auch Informationen für queere Reisende. Wie gefällt dir das Portal?

Was ich toll finde: Fairness hat viele Aspekte, neben ökologischen Fragen eben auch soziale. Als Tourist kann ich das alles ignorieren, aber dann bin ich halt ein Arschloch. Oder wir stellen uns diesen Fragen mit allen Herausforderungen, die es bringt.