Fair unterwegs mit Florianne Koechlin, Biologin und Malerin
Welches Buch führt dich auf eine intensive Reise?
Ich lese viel und finde immer wieder Lesestoff, der mich begeistert. Empfehlen möchte ich von Sybilla Merian das Buch "Metamorphosis insectorum Surinamensium", erschienen 1705 und neu veröffentlicht vor zwei Jahren. Merian lebte zwischen 1647 und 1717 und war eine der ersten, die in Surinam die Entwicklung von Larven zu Schmetterlingen systematisch beobachtete und wissenschaftliche Zeichnungen anfertigte – eine Pionierleistung. Dabei stellte sie das enge Wechselspiel von Pflanzen und Tieren dar. Es sind wunderbare und unglaublich poetische Bilder.
Auch du verbindest ja Wissenschaft und Zeichnen
Von der Wissenschaft weiss ich, wie lebendig und dynamisch Pflanzen sind. Beim Zeichnen und Malen komme ich ihnen aber am nächsten. Drei Stunden vor einem Feigenbaum zu sitzen und dann im Atelier schauen, was das alles mit mir zu tun hat, eine eigene Sprache dafür zu finden, das begeistert mich. In Worten kann ich das schlecht ausdrücken.
Und die Wissenschaft?
Das ist meine andere Welt . Ich war bei Forschenden in Jena. Sie untersuchen, wie die Liambohne mit Duftstoffen kommuniziert: Wird sie von Raupen angegriffen, beginnt sie sich zu wehren und produziert einen Duftstoff, der ihre Nachbarinnen warnt. Danach produziert sie eine andere Duftstoffmischung, um einen Nützling herbeizulocken. Hochinteressant ist: Die Pflanze weiss nicht nur, dass sie verletzt ist, sie weiss auch, wer sie grade verletzt. Wird sie von Spinnmilben angegriffen, produziert sie einen Duftstoff, der Raubmilben herbeilockt, bei Raupen-Angriff einen etwas anderen, mit dem sie Schlupfwespen anlockt, die die Raupen parasitieren.
Wie merkt die Pflanze, wer ihr Angreifer ist?
Dort wo das Insekt frisst, tropft sein Speichel in die Bisswunde. Den kann die Limabohne identifizieren und lockt dann den geeigneten Bodyguard an. Alle Pflanzen kommunizieren mit Duftstoffen: Sie warnen sich gegenseitig, locken gezielt Nützlinge an, senden SOS-Signale aus, koordinieren sogar ihr Verhalten. Mit einem solchen Wissen müssen wir das Bild isolierter Pflanzen hinter uns lassen, die Wahrnehmung wird differenzierter.
Es wird ja gesagt, im Wald gebe es ein "World Wide Web"
Ja, Baumwurzeln und Pilzfäden bilden ein riesiges, dynamisches Netz unter dem Boden. Über dieses Netz tauschen die Bäume auch Nährstoffe und vielleicht sogar Informationen untereinander aus – quasi ein unterirdisches Internet, das in der Wissenschaft eben auch Wood Wide Web heisst. Wenn ich also im Wald spaziere und weiss, dass die Bäume miteinander flüstern und wispern, mit Duftstoffen, die ich nicht verstehe, und dass unter dem Boden die Post abgeht, Bäume sich da via dieses Wurzel-Pilzgeflecht auch austauschen – das gibt mir ein Gefühl von Verbundenheit, dass auch ich, dass wir alle Teil dieses grossen Netzes sind und nicht jeder da isoliert vor sich hin lebt.
Verändert das auch dein Blick auf die Eingriffe der Menschen in die Landschaft?
Der Artenschwund der letzten zwanzig Jahre ist dramatisch. Industrielandwirtschaft, Pestizide, Rodung artenreicher Tropenwälder – es gibt viele Ursachen. Da muss sich dringend etwas ändern. Auch im Tourismus. Die Erhöhung Artenvielfalt scheint mir eine der wichtigsten Aufgaben für die Zukunft unserer Landwirtschaft und auch unserer Ökosysteme. Das ist ein Ansatz, der auch in der Bewirtschaftung von Urlaubsgebieten helfen würde, Lebensräume intakt zu halten und Ressourcen zu schonen.
Was heisst für dich fair unterwegs sein im Alltag und auf Reisen?
Im Alltag fahre ich Velo und benutze den öffentlichen Verkehr. Mein Mann besitzt ein Auto, aber ich fahre wenn immer möglich mit dem Zug, da kann ich mich besser ausruhen oder arbeiten. Meine Freizeit verbringe ich gerne in den Bergen. Die Skitourenwoche vor zwei Wochen auf der Griessalp war toll – einsam, wild, anstrengend, einfach unbeschreiblich. Man muss nicht gleich nach Nepal. Ich wandere viel, auch alleine. Mit meinem Skizzenblock bin ich oft im Jura unterwegs, manchmal in den Bergen.
Ich fliege ungern, habe aber zum Recherchieren auch schon Fernreisen unternommen. Das letzte Mal war ich in Südkorea und durfte dort ein grandioses Beispiel einer solidarischen Landwirtschaft kennenlernen. Bauern- und Konsumgenossenschaften arbeiten zusammen. 600’000 Familien erhalten biologisches, einheimisches Gemüse von einigen tausend Bauernbetrieben. Die Bauern -und die Konsumkooperativen setzen sich vor Saisonbeginn zusammen und bestimmen den Preis, von dem die Bauern garantiert 70 Prozent erhalten. In der Schweiz erhalten die Bauern im Durchschnitt 30 Prozent des Ladenpreises. Ich führte Interviews mit Bauernfamilien und bekam so einen tiefen Einblick ins Projekt.
Wie hast du dich auf die Reise vorbereitet?
Eine Koreanerin hat mir dabei geholfen. Ich habe über ein Reisebüro gebucht und bei myclimate kompensiert. Aber sie hat mir Bücher zur Information und Einstimmung gegeben und mir viel von der koreanischen Kultur übersetzt. Das war für mich ein absoluter Glücksfall.
Fair unterwegs sein heisst für mich, nicht zu viel herumzureisen. Dann wäre es auch möglich, den Tourismus auf wenige Orte zu konzentrieren und den Rest freizulassen. Statt flächendeckend Tourismus anzubieten, sollte der Raum so genutzt werden, dass Wildheit und Schönheit Platz hat. Aber seltene Reisen können sehr wertvoll sein. Solche Reisen erzeugen eine Wertschätzung und die Erkenntnis, dass wir nicht der Mittelpunkt der Erde sind. Ich erinnere mich an meine Indienreisen, wo ich die Wissenschaftlerin und Sozial- und Umweltaktivistin Vandana Shiva besuchte und mit ihr arbeitete. Das hat mich ungemein inspiriert.
Wie gefällt dir fairunterwegs.org?
Ich finde extrem wichtig, was ihr macht. Das Reiseportal habe ich vorher gar nicht gekannt. Mir gefällt, dass die Seite ohne Schnickschnack daherkommt und sehr übersichtlich ist. Dass ihr auch Bücher und Filme für Auszeiten im Alltag empfehlt und mit Links den Wissenspool erweitert. Und vor allem, dass euch nicht nur das "Grün" im Tourismus wichtig ist, sondern eben auch das "Fair".
Empfohlene Bücher:
Merian, Maria Sibylla: Metamorphosis insectorum Surinamensium. Die Verwandlung der surinamischen Insekten (1705). Hardcover im Schuber. Lambert Schneider, 2016. Mit 111 farbigen Illustrationen. EUR 199,00; ISBN: 978-3-650-40181-6
Florianne Koechlin: Schwatzhafte Tomate, wehrhafter Tabak. Pflanzen neu entdeckt. Lenos, 2016, CHF 29.80; EUR 23.80, ISBN 978 3 85787 472 7
Wie merkt die Pflanze, wer ihr Angreifer ist?
Dort wo das Insekt frisst, tropft sein Speichel in die Bisswunde. Den kann die Limabohne identifizieren und lockt dann den geeigneten Bodyguard an. Alle Pflanzen kommunizieren mit Duftstoffen: Sie warnen sich gegenseitig, locken gezielt Nützlinge an, senden SOS-Signale aus, koordinieren sogar ihr Verhalten. Mit einem solchen Wissen müssen wir das Bild isolierter Pflanzen hinter uns lassen, die Wahrnehmung wird differenzierter.
Es wird ja gesagt, im Wald gebe es ein "World Wide Web"
Ja, Baumwurzeln und Pilzfäden bilden ein riesiges, dynamisches Netz unter dem Boden. Über dieses Netz tauschen die Bäume auch Nährstoffe und vielleicht sogar Informationen untereinander aus – quasi ein unterirdisches Internet, das in der Wissenschaft eben auch Wood Wide Web heisst. Wenn ich also im Wald spaziere und weiss, dass die Bäume miteinander flüstern und wispern, mit Duftstoffen, die ich nicht verstehe, und dass unter dem Boden die Post abgeht, Bäume sich da via dieses Wurzel-Pilzgeflecht auch austauschen – das gibt mir ein Gefühl von Verbundenheit, dass auch ich, dass wir alle Teil dieses grossen Netzes sind und nicht jeder da isoliert vor sich hin lebt.
Verändert das auch dein Blick auf die Eingriffe der Menschen in die Landschaft?
Der Artenschwund der letzten zwanzig Jahre ist dramatisch. Industrielandwirtschaft, Pestizide, Rodung artenreicher Tropenwälder – es gibt viele Ursachen. Da muss sich dringend etwas ändern. Auch im Tourismus. Die Erhöhung Artenvielfalt scheint mir eine der wichtigsten Aufgaben für die Zukunft unserer Landwirtschaft und auch unserer Ökosysteme. Das ist ein Ansatz, der auch in der Bewirtschaftung von Urlaubsgebieten helfen würde, Lebensräume intakt zu halten und Ressourcen zu schonen.
Was heisst für dich fair unterwegs sein im Alltag und auf Reisen?
Im Alltag fahre ich Velo und benutze den öffentlichen Verkehr. Mein Mann besitzt ein Auto, aber ich fahre wenn immer möglich mit dem Zug, da kann ich mich besser ausruhen oder arbeiten. Meine Freizeit verbringe ich gerne in den Bergen. Die Skitourenwoche vor zwei Wochen auf der Griessalp war toll – einsam, wild, anstrengend, einfach unbeschreiblich. Man muss nicht gleich nach Nepal. Ich wandere viel, auch alleine. Mit meinem Skizzenblock bin ich oft im Jura unterwegs, manchmal in den Bergen.
Ich fliege ungern, habe aber zum Recherchieren auch schon Fernreisen unternommen. Das letzte Mal war ich in Südkorea und durfte dort ein grandioses Beispiel einer solidarischen Landwirtschaft kennenlernen. Bauern- und Konsumgenossenschaften arbeiten zusammen. 600’000 Familien erhalten biologisches, einheimisches Gemüse von einigen tausend Bauernbetrieben. Die Bauern -und die Konsumkooperativen setzen sich vor Saisonbeginn zusammen und bestimmen den Preis, von dem die Bauern garantiert 70 Prozent erhalten. In der Schweiz erhalten die Bauern im Durchschnitt 30 Prozent des Ladenpreises. Ich führte Interviews mit Bauernfamilien und bekam so einen tiefen Einblick ins Projekt.
Wie hast du dich auf die Reise vorbereitet?
Eine Koreanerin hat mir dabei geholfen. Ich habe über ein Reisebüro gebucht und bei myclimate kompensiert. Aber sie hat mir Bücher zur Information und Einstimmung gegeben und mir viel von der koreanischen Kultur übersetzt. Das war für mich ein absoluter Glücksfall.
Fair unterwegs sein heisst für mich, nicht zu viel herumzureisen. Dann wäre es auch möglich, den Tourismus auf wenige Orte zu konzentrieren und den Rest freizulassen. Statt flächendeckend Tourismus anzubieten, sollte der Raum so genutzt werden, dass Wildheit und Schönheit Platz hat. Aber seltene Reisen können sehr wertvoll sein. Solche Reisen erzeugen eine Wertschätzung und die Erkenntnis, dass wir nicht der Mittelpunkt der Erde sind. Ich erinnere mich an meine Indienreisen, wo ich die Wissenschaftlerin und Sozial- und Umweltaktivistin Vandana Shiva besuchte und mit ihr arbeitete. Das hat mich ungemein inspiriert.
Wie gefällt dir fairunterwegs.org?
Ich finde extrem wichtig, was ihr macht. Das Reiseportal habe ich vorher gar nicht gekannt. Mir gefällt, dass die Seite ohne Schnickschnack daherkommt und sehr übersichtlich ist. Dass ihr auch Bücher und Filme für Auszeiten im Alltag empfehlt und mit Links den Wissenspool erweitert. Und vor allem, dass euch nicht nur das "Grün" im Tourismus wichtig ist, sondern eben auch das "Fair".
Empfohlene Bücher:
Merian, Maria Sibylla: Metamorphosis insectorum Surinamensium. Die Verwandlung der surinamischen Insekten (1705). Hardcover im Schuber. Lambert Schneider, 2016. Mit 111 farbigen Illustrationen. EUR 199,00; ISBN: 978-3-650-40181-6
Florianne Koechlin: Schwatzhafte Tomate, wehrhafter Tabak. Pflanzen neu entdeckt. Lenos, 2016, CHF 29.80; EUR 23.80, ISBN 978 3 85787 472 7