Welches Buch führt sie auf die schönste Reise?

Die Frage bringt mich etwas in Verlegenheit. Mir fällt kein schöneres oder weniger schönes Buch ein. Ich folge beim Lesen einer Art rotem Faden. Wichtig für mich ist Goethes Italienische Reise. Das Buch verbindet sich mit meiner eigenen künstlerischen Arbeit. Es ist tief romantisch, aber mir gefällt die Achtsamkeit auch für die kleinen Dinge am Wegrand. Es hilft mir bei meiner eigener Beschreibung des Landes, in das ich reise. Auch ich inspiriere mich mit Herbarien, die ich auf Reisen zusammenstelle. Die Natur ist meine wichtigste Inspirationsquelle.

Bereiten Sie sich lesenderweise auf eine Reise ins Ausland vor?

Ja, auf ganz unterschiedliche Weise, je nach Land mit Geschichtlichem, mit Romanen oder nach Autor. Jedes Land hat seine besonderen Schriftsteller. Für mich gehört das Lesen von Literatur aus dem Zielland zur Anwärmphase vor der Reise.

Sie reisen offenbar gerne. Wohin führte Sie Ihre letzte Reise?

Ich war in Mexiko und Kuba. Mexiko ist ein interessantes Land. Ich hatte dort die Möglichkeit, bei einer Künstlerin zu wohnen und zu arbeiten. Mexiko ist kulturell sehr offen. Es gibt viele Ausstellungen und Museen. Ich habe mich dort vorwiegend auf die positiven Seiten des Landes konzentriert. Ich weiss, dass vieles im Argen liegt. Aber darüber informiere ich mich lieber auf Eurer Homepage. Dann weiss ich, ob und wie ich aktiv werden kann. 
Reisen gehört für mich zur Arbeit. Draussen in einem anderen Land ist quasi mein äusseres Atelier. Im "inneren" Atelier realisiere ich meine Werke. Zwischendurch gehe ich für längere Zeitspannen hinaus. Ich lasse mich von der Auseinandersetzung mit den Farben und Formen inspirieren und halte einiges in meinem Reiseskizzenbuch fest.

Wie Goethe?

Es ist eine gute Form, Eigenes zu erfahren. An einem anderen Ort sind das Licht und die Stimmung anders. Mein Mann pflegt einen etwas anderen Reisestil als ich. Da müssen wir Kompromisse finden. Er ist dafür sensibler als ich bezüglich des politischen und sozialen Geschehens rundherum. Ich bin einfach präsent und nehme wahr, was am Weg oder am Strassenrand passiert. Wir sind da komplementär.

Was bringen Sie ausser ihrem Skizzenbuch von der Reise mit?

Mit ist wichtig, dass ich auf Reisen nicht ganz von mir selbst weggehe. Es ist in dem Sinne immer eine Konfrontation von mir selbst mit dem, was mir begegnet. Klar, ich reise meist mit dem Flugzeug an. Im Land selbst bewege ich mich aber am liebsten mit Rucksack, Bus, Rikschas. So kann ich dem Rhythmus des Landes nachgehen. Dabei buche ich die Hin- und die Rückreise, alles Weitere ist offen, eine Pause. Ich komme aufgeladen und aufgetankt von meinen Reisen zurück. Voller Skizzen und Fotos. Das wirkt stark in meine Arbeit hinein. Es ist wie ein Erfrischungsbad. Wichtig ist, was ich erlebt habe und wie das in mir weiterwirkt.

Sie haben an der Scuola Universitaria Professionale della Svizzera Italiana SUPSI Bildende Kunst unterrichtet. Mit ihren StudentInnen haben Sie das Thema Tourismus bildnerisch umgesetzt. Warum haben Sie dieses Thema gewählt?

Es ist ein spannungsgeladenes Thema. Die Studierenden im Tessin haben oft ein sehr negatives Bild vom Tourismus. Sie setzen Tourismus mit Massentourismus und Zerstörung gleich. Es ist ein Thema, das sie berührt. Sie forschen, lassen sich mitreissen und sind motiviert. Es ist auch ein Thema, das bildlich viel hergibt. Ich war immer wieder überrascht, was sie zum Thema herausfanden, etwa über die sozialen Unterschiede oder über Kinderarbeit. Sie sind auch in einem guten Alter, um kritisch über das Reisen nachzudenken: Die meisten haben wenig Mittel und reisen eher mit dem Rucksack. Katalog- oder Badereisen kennen sie vielleicht aus ihrer Kindheit. So sind sie auch gerne bereit, zu recherchieren, was im Tourismus nicht stimmt.

Wie sind Sie vorgegangen?

Die Studierenden surften erst einmal etwas herum. An Material fehlte es nicht, auch dank der Unterstützung vom arbeitskreis tourismus & entwicklung. Sie hatten nicht lange Zeit, nur etwa 16 Stunden. Das ist sehr wenig. Denn nach dem Forschen brauchte es ja auch etwas Zeit, bis das Thema assimiliert war und etwas Eigenes entstehen konnte. Das fällt ja nicht einfach vom Himmel. So blieb für die bildliche Umsetzung zu wenig Zeit.

Wir waren aber doch sehr beeindruckt von den Postkarten, die wir übernehmen durften auf unserem Reiseportal!

Das war ein gutes Set. Die Postkarten wurden von Studierenden des dritten Semesters gestaltet. Die hatten auch schon mehr Erfahrung. Das ist von Jahrgang zu Jahrgang verschieden. Manche meiner Studierenden wussten nicht, worum es geht oder wie sie etwas umsetzen müssen. Da war es denn fast nicht möglich, in der beschränkten Zeit zu einem befriedigenden Resultat jenseits von Plattitüden zu kommen. Die Zusammenarbeit mit dem arbeitskreis tourismus & entwicklung war sehr gut. Schade, dass die Distanz so gross ist. Die Studierenden hätten mehr hören mögen. Christine Plüss hat bei ihren Einsätzen vieles vermittelt. Ich bin sicher, dass die Studierenden heute kritischer buchen werden.

Was halten Sie vom fairunterwegs-Reiseportal?

Ich reise überhaupt nicht fair, sondern fliege viele Stunden. Die Anreize sind heute einfach falsch gesetzt: Nach London fliegt man mit EasyJet zehnmal billiger als wenn man den Zug nimmt. Das ist einfach eine zu grosse Versuchung. Deshalb ist es wichtig, dass fairunterwegs immer wieder auf die kritischen Punkte im Tourismus aufmerksam macht, damit sich das Bewusstsein bei den Reisenden und der Reisebranche allmählich verändert.

Wo kann man Ihre Kunstwerke bewundern?

  • Im Mai 2010 in der Galerie C. Klein in Darmstadt, Deutschland
  • Vom 9. Mai bis 27. Juni 2010 im Schloss Lichtenberg in Fischbachta, Deutschland
  • Vom 20. Mai bis 1. August 2010 in einer Gruppenausstellung zum Thema Wasser in der Galerie de l’Hotel de Ville in Yverdon-les-Bains und
  • im Oktober/November 2010 während der Biennale dell’Imagine im Tessin als Einzelausstellung in der Galerie Stellanova Spazio d’Arte in Mendrisio und gleichzeitig in der Galerie Folini Arte contemporanea in Chiasso.

In Italienischer Sprache finden Sie mehr über die Künstlerin Francine Mury  auf  www.likeyou.com/francinemury sowie auf www.sikart.ch/KuenstlerInnen.aspx?home=1&id=4003876