Welches Buch führt dich auf die schönste Reise?

Ich musste zwischen vielen tollen Büchern wählen. Entschieden habe ich mich für das Kochbuch: Asien, Ozeanien, Erlebnisse eines gastronomischen Weltenbummlers. Werner Wymann, eine Kochkoryphäe in der Schweiz, publiziert 1979. Es umfasst Reiseberichte aus mehreren vorhergehenden Jahrzehnten und versetzt mich zurück in meine Jugendzeit, als gesellschaftliche Konventionen – von Kolonialismus bis toupierten Frisuren – bei uns schon stark in Frage gestellt wurden, aber im Buch noch weitgehend ungebrochen präsentiert wurden. Wymann war ein umtriebiger Typ, Autor verschiedener kulinarischer Bücher, seit über einem halben Jahrhundert Mitglied des Vereins Cercle des Chefs de Cuisine, wurde viel gebucht für allerlei Anlässe. So wurde er zu grossen Festivitäten des Schahs von Persien eingeladen oder von der Swissair zu Jungfernflügen. Er kam viel herum und beschreibt Land, Geografie und Politik. Er trifft all die schönen Leute in den Hilton-Hotels, wo Kaviar und Cüpli dazugehören. Er mischte sich aber auch unters Volk, etwa bei seiner Reise im Sammeltaxi ans kaspische Meer. Dieses Hin und Her zwischen den gesellschaftlichen Lebensrealitäten ist spannend. Dazwischen die Rezepte, zur Verfügung gestellt von Hotel- oder Strassenköchen. Die koche ich gerne nach. Letzthin habe ich für unser Weihnachstessen persischen Pilaw zubereitet, mit Lamm, Reis und Berberitzen. Aber wie die Reiseberichte mich im Kopf um die Welt führen, so geniesse ich die exotischen Speisen auch schon beim Lesen der Rezepte.

Suchst Du Bücher, die dich auch sinnlich verführen?

Aber ja. Mir gefallen zum Beispiel auch die Werke von Salman Rushdie, etwa "Mitternachtskinder" oder auch die "Satanischen Verse". Das sind schöne Reisegeschichten zwischen Indien, England und dem Mount Everest  – und übrigens auch durchaus mit viel Kulinarischem!

Das Buch von Wymann kommt aus einer Zeit, als man noch sehr frei und unkompliziert reisen konnte.

Das hängt wohl damit zusammen, dass man damals weniger Skrupel hatte wegen sozialer Ungleichheiten. Auch heute reisen die meisten Leute "frei und unkompliziert", weil sie sich wenig um die Lebensumstände der Menschen an den Destinationen interessieren. Ich selbst bin eher eine "Nicht-Reisende". Beruflich muss ich ab und zu in ein Flugzeug steigen, so war ich in Indien und in den Vereinigten Staaten und werde dieses Jahr auch nach Rio reisen. Aber Privat war ich noch nie ausserhalb von Europa und nehme immer den Zug, fahre an Orte, wo ich mich kulturell austauschen kann.  Dafür bin ich aber eine passionierte Koch- und Küchen-Fernreisende. 

Weshalb bist du Nicht-Reisende? Gibt es keinen Ort, an den du gerne reisen würdest?

Der Iran fasziniert mich zum Beispiel schon sehr. Ich denke immer, ich gehe einmal dorthin, irgendeinmal in Zukunft. Aber ich möchte mir wirklich Zeit nehmen und mich auf den Ort, die Kultur und die Leute einlassen können. Vorher fange ich gar nicht an. Ich habe schon während des Studiums gearbeitet, später hatte ich Familie und Job, so blieb nie viel Raum für Fernreisen. Vielleicht ist es mir auch einfach nicht wichtig genug – ich habe meinen Garten in Zürich, ich muss gar nicht weg. 

Wie verbringst du deine Ferien?

Ich mache oft Ferien in Italien, gerne am selben Ort. Im Trullo in Apulien war ich das erste Mal vor 30 Jahren. Die Auseinandersetzung mit einer anderen Kultur, die ich unterdessen recht gut kenne, einer anderen Landschaft, auch die Begegnungen mit anderen Hunden beim Joggen – das bereichert mich. 

Wie sind die Hunde in Apulien?

Giftig, halt richtige Wachhunde. Ich kenne sie fast persönlich und weiss unterdessen, wie ich sie fernhalten kann. Ich rede mit den Nachbarn, kenne die Leute im Städtchen. Ich finde es nicht attraktiv, in einem fernen Land an den Hunden, Leuten und Dingen vorbeizureisen.  

Wieso denkst du, reisen denn andere?

Wenn wir von den Kurztrips nach Thailand reden oder vom Shopping in New York: Ich verstehe es ehrlich gesagt nicht ganz. Reihenweise Sehenswürdigkeiten "machen" zieht mich nicht an. Auch tagelang am Strand liegen: unvorstellbar. Ich besuche gerne eine schöne Kirche. Letzten Sommer waren wir zum Beispiel das erste Mal in Matera, einer faszinierenden Stadt in Süditalien mit einer hochspannenden Geschichte. Und ich gehe zwischendurch auch gerne ans Meer. Aber ich muss verstehen, was die Menschen an diesen Orten bewegt, und das geht nicht, wenn man schnell mal hierhin oder dorthin jettet.  

Du bewegst viel, während du bei der Arbeit hinter dem Pult und an Sitzungen sitzt.

Wie viel ich bewege kommt auf die Perspektive an. Wir konzentrieren und bei der Öbu auf die Schweiz und ihre Unternehmen. Mein Ziel ist, dass man die Gesellschaft auf Nachhaltigkeit umstellen kann. Die Wirtschaft soll dazu beitragen und sich selber eine Zukunft ermöglichen. Und da konnten wir bei der Öbu sicher sehr vieles beitragen!

Ihr habt dabei keine Berührungsängste. Auf eurer Website habe ich entdeckt, dass ihr das Rohstoffunternehmen Xstrata ausgezeichnet habt. 

Solche Firmen haben einen grossen Impact, deshalb sind sie für uns interessant. Grosse Unternehmen haben oft auch grosses Verbesserungspotenzial, wenn sie ihre Arbeit gut machen. Wir brauchen viele Rohstoffe, es wäre an uns, diesen Verbrauch zu senken. Xstrata hat einen perfekten Bericht geschrieben, der durchaus auch selbstkritisch ist, dafür wurde sie ausgezeichnet. Bei uns sind 400 Firmen Mitglied – Xstrata übrigens nicht. Wir stellen ihnen Informationen und Hilfsmittel zur Verfügung und wir fördern die Vernetzung, damit sie voneinander lernen können.

Wie schafft ihr den Seiltanz zwischen Unabhängigkeit und Firmennähe? 

Wir erlauben uns eine eigene Meinung. Manchmal reagieren die Mitglieder sehr sensibel und treten aus. Im Moment ist aber der Druck der Öffentlichkeit hoch. Wir haben zum Beispiel eine klare Ausstiegsstrategie betreffend Atomkraftwerke. Zu unseren Mitgliedern gehören auch die Axpo und die Berner Kraftwerke BKW. Wir haben uns gesagt: Das Risiko, dass die aussteigen, müssen wir halt eingehen. Beide sind aber weiter dabei und arbeiten wie vorher konstruktiv mit uns. 

In Rio+20 geht es um Nachhaltigkeit, auch die des Tourismus. Die Green Economy geht davon aus, dass Wachstum mit ökologischeren Technologien möglich und gut sei. Findest du, der Tourismus soll weiter wachsen?

Über Wachstum diskutieren oder streiten wir bei der Öbu ständig. Ich finde nicht, dass es mehr Tourismus braucht, ich bin aber keine Expertin. Jene, die reisen, sollen aus Umweltschutzgründen weniger fliegen. Bei einer fairen Pro-Kopf-Verteilung der Emissionen gibt es im Schnitt für alle ErdenbewohnerInnen alle paar Jahre einen Langstreckenflug, wenn man die übrigen Emissionen gut im Griff hat. Diese Flüge beziehungsweise Reisen dürften dann auch ein Mehrfaches kosten und so könnten die Menschen, die am Tourismus verdienen, auch besser bezahlt werden.
Fairer wäre es ohnehin, wenn nicht mehr nur fünf Prozent der Leute in die Ferne reisen, sondern fünfzig Prozent, aber nur wenige Male im Leben. Wer nicht zweimal pro Jahr Kurzferien in der Ferne macht, interessiert sich vielleicht auch mehr für die nähere Umgebung, was für unsere eigene nachhaltige Entwicklung sicher nützlich wäre. 

Was ist dein Ziel in Rio?

Unsere Mission ist es zu zeigen, dass es die "Green Economy" für eine nachhaltige Entwicklung braucht und dass sie möglich ist, ohne dass es zu ökonomischen Einbussen kommen muss. Wir haben viele Belege dafür, dass das funktioniert. Es käme nicht zum Wohlstandsverlust, sondern für die meisten Leute zum Wohlstandsgewinn – wenn es auch da und dort eine neue Werte-Definition braucht. Die Rolle der Öbu in der Delegation ist es, dies anhand von Best practice-Beispielen zu belegen. 

In der Krise haben die Unternehmen im Tourismus vor allem mit Preiskampf reagiert. 

Das ist eine schlechte Wahl, nicht nur im Tourismus sondern generell. Es geht, wie gesagt, nicht um mehr Volumen, sondern um mehr Qualität und bessere Verteilung. Die staatlichen Stabilisierungsprogramme haben da in den meisten Ländern kontraproduktiv gewirkt. 

Wie gefällt dir unser fairunterwegs-Reiseportal?

Ich finde das ganze Projekt eine super Sache. Das Thema ist gut aufbereitet, ich fand immer schnell was ich wollte. Ich betrachte die Website aus der Perspektive der Unternehmen. Es gefällt mir, dass auf fairunterwegs die CSR gut abgehandelt ist, mit vielen Möglichkeiten, sich zu vertiefen. Und ich war sehr beeindruckt, wie viel inhaltliche Substanz das Team selber entwickelt.


Die Schweizerische Vereinigung für ökologisch bewusste Unternehmensführung Öbu ist das Netzwerk für Nachhaltigkeit und Management der Schweiz. Ziel der gegen 400 Mitgliedunternehmen ist die Weiterentwicklung der Schweizer Wirtschaft nach den Grundsätzen der Nachhaltigkeit. Durch die Wahrnehmung ökologischer und sozialer Verantwortung soll die Wettbewerbsfähigkeit gesteigert werden. Öbu realisiert unternehmensspezifische und wirtschaftspolitische Projekte, fördert den Erfahrungsaustausch und die Vernetzung und setzt sich für geeignete politische Rahmenbedingungen ein.


Die Büchertipps im Überblick
Asien-Ozeanien. Erlebnisse eines gastronomischen Weltenbummlers. BLV Buchverlag GmbH & Co. (November 1982); 429 Seiten, ISBN 978-340512541 (nur noch antiquarisch erhältlich)
Salman Rushdie: Mitternachtskinder. Rowohlt Taschenbuch, Reinbek 2010, 747 Seiten, CHF 16.50, EUR 11.00, ISBN 978-3-499-23832-1
Salman Rushdie: Die Satanischen Verse, Droemer/Knaur, München 1997, 716 Seiten, CHF 18.10, EUR 9.90, ISBN 989-3-426-60648-3