Fair unterwegs mit Hansjörg Ruf, Nachhaltigkeitsexperte und akte-Gründungsmitglied
Welches Buch führt dich auf die intensivste Reise?
Vor einiger Zeit habe ich das Buch "Eine Frage der Zeit" von Alex Capus gelesen, das eine eindrückliche Geschichte erzählt. Es ist ein historischer Roman, der uns ins Jahr 1913 zurückführt. Im Auftrag von Kaiser Wilhelm wird in Deutschland das Schiff namens Goetzen in seine Einzelteile zerlegt und in die Kolonie Deutsch-Ostafrika an den Tanganjikasee transportiert. Drei deutsche Werftarbeiter reisen mit und bauen gemeinsam mit Einheimischen in Tansania die Görlitz wieder zusammen. Der Roman handelt von diesen Werftarbeitern. Sie stammen aus der aktiven Arbeiterbewegung und reisen mit dem damals üblichen Menschenbild nach Afrika. Es ist eine typische Kolonialgeschichte. Der Tanganjikasee wurde von den britischen, belgischen und deutschen Kolonialisten beansprucht. Das Handelsschiff hätte eine freundschaftliche Verbindung schaffen sollen. Stattdessen wurden die Kolonialherren vor Ort in den ersten Weltkrieg verwickelt. Vor dem Rückzug der deutschen Truppen erging an die Werftarbeiter der Befehl, wichtige Teile des Schiffs einzufetten und es zu versenken, damit die Engländer es nicht in die Hände bekamen. 1924 wurde das Schiff von den Briten gehoben, und seither verkehrt es unter dem Namen Liemba als einziges fahrendes Passagierschiff auf dem Tanganjikasees.
Hast Du ein Faible für historische Romane?
Durchaus. Das Buch zeigt die Kolonialgeschichte, den Konflikt mit den Einheimischen und die Werftarbeiter, die plötzlich zu Kolonialisten werden. Es zeigt die Absurdität des Krieges. Ich habe das selbst auf Samoa erlebt: Sowohl die Briten wie die Deutschen hatten in einer Bucht ihr Kriegsschiff geankert, als ein Taifun aufzog. Welches der Schiffe würde sich retten können? Das britische Schiff zog als erstes ins offene Meer. Als der Sturm vorüber war, kehrte es unversehrt zurück, während das deutsche zerschollen war. Die Briten setzten ihre Fahne in die Bucht und waren nun die Herrscher.
Fasziniert dich die Absurdität der Rollen, welche die Menschen im Kolonialismus einnehmen?
Der Kolonialismus war geprägt von einem bestimmten Menschenbild. Aber ich frage mich, ob sich dieses nach der Entkolonialisierung wirklich geändert hat. Es ist zwar nicht politisch korrekt, von "Herrenrasse" oder "Negern" zu sprechen, aber beim Reisen wirkt dieses kolonialistische Denken weiterhin. Viele Reisende interessieren sich kaum für die Einheimischen, diese haben sie bloss zu bedienen, sie bringen schliesslich das Geld.
Der Kolonialismus interessiert mich aber auch reisetechnisch: Wie zum Beispiel die Kolonialherren von Hamburg in den Südpazifik nach Samoa reisten.
Und schliesslich begegne ich dem Kolonialismus immer aufs Neue: Die Art, wie die ehemaligen Untertanen aus dem Maghreb von den Franzosen angesehen und behandelt werden. Das massive Ausmass an Landgrabbing durch Unternehmen, das Hunger verursacht. Die Hungerlöhne, die den Textilarbeiterinnen bezahlt werden. Das ist nicht weniger schlimm als der Kolonialismus.
Der reisetechnische Aspekt interessiert dich ja auch als Reiseprofi.
Ich bin früher sehr gerne gereist und das hat mich zum Schweizerischen Studentischen Reisedienst SSR geführt. Damals waren Reisen sehr teuer, trotzdem habe ich viele unternommen: Etwa in den Südpazifik und nach China. Es war die erste Zeit, in der man als Individualreisender nach China reisen konnte, zuvor waren nur Gruppenreisen zugelassen. Wir hatten kein Visum, um von Hongkong nach China zu gelangen. Aber wir hatten einen Freund in Nanjing. Auf seinen Rat hin schlossen wir uns einer Reisegruppe nach Guandong an und liessen uns an der Grenze ein Tagesvisum ausstellen. Danach verabschiedeten wir uns von der Gruppe und reisten allein weiter. In China wurden wir an einem Bahnhof festgehalten und dem Bahnhofvorstand vorgeführt. Er fragte uns, was wir hier zu suchen hätten. Auf unsere Antwort, wir seien Reisende, schimpfte er: "Ihr seid Schmarotzer der Gesellschaft. Sonst hättet ihr keine Zeit zum Reisen!" Schon nur die Tatsache, dass man sich frei nehmen kann und Geld für eine Reise hat, empfand er als Affront.
Was hast du beim SSR gemacht?
In den Achtzigerjahren war ich ein paar Jahre als Reiseleiter tätig, danach wechselte ich in die Infoabteilung. Meine Aufgabe dort entsprach im Grunde dem, was ihr bei fairunterwegs.org heute im grösseren Massstab und weit qualifizierter macht: Der SSR organisierte unter anderem Guppenreisen in Länder oder Gegenden, wo man individuell nicht hinkam, zum Beispiel in die ehemalige Sowjetunion , nach Kuba oder in andere sozialistische Länder. Er war auch einer der erste Anbieter von Reisen nach Ladakh. Für die Kunden erstellten wir Reisedokumentationen mit einer Presseschau zum Land und Literatur aus den Ländern. Die Reisenden wurden von erfahrenen Reiseleiterinnen und Reiseleitern an sogenannten Infotreffen auf die Reisen vorbereitet, das war eine Spezialität des SSR. Gründungsmitglieder des SSR waren neben dem Verband Schweizerischer StudentInnenschaften (VSS) die Studierendenverbände der verschiedenen Schweizer Universitäten und Hochschulen, diese waren auch Genossenschafter – also Miteigentümer der Genossenschaft SSR Reisen – und konnten so ihre Stimme einbringen. Die Nähe zu den Hochschulen war denn auch der Nährboden für die kritische Auseinandersetzung mit dem Tourismus beim SSR. Schliesslich war der SSR einer der Gründungsmitglieder des arbeitskreises tourismus & entwicklung (akte). Ich selbst wurde als Verantwortlicher der Infostelle dann in den Vorstand von akte delegiert.
Was bedeutete akte für dich?
Beim SSR wurde ich anfangs der 1990er Jahre Umweltbeauftragter. Ich hatte vom Team beim SSR guten Rückhalt, weil alle sehr für die Auswirkungen des Tourismus sensibilisiert waren. Aber ansonsten stiess ich mit diesen Themen insbesondere in der Reisebranche auf wenig Resonanz. akte war für mich eine Referenz und eine Möglichkeit, mich auszutauschen. Auch heute ist akte noch ganz wichtig. Schliesslich ist akte die einzige Fachstelle der Schweiz, die sich kompetent und unabhängig von Branche oder Entwicklungspolitik kritisch mit dem Tourismus auseinandersetzt. Das war für mich auch einer der Gründe, weshalb ich bis lange nach meiner Zeit beim SSR im Vorstand von akte geblieben bin. Letztlich war ich über zwei Jahrzehnte Vorstandsmitglied. Im Übrigen wurde die Genossenschaft SSR Reisen 2001 liquidiert und der Liquidationserlös zu einem grossen Teil in die eigens gegründete Stiftung SST, Schweiz. Stiftung für Solidarität eingebracht. Die Stiftung, die ich präsidiere, fördert seit ihrer Gründung mit einem namhaften jährlichen Beitrag u. a. auch den arbeitskreis tourismus & entwicklung (akte).
Der SSR war auch Mitglied des Schweizer Reise-Verbands (SRV), bei dem die Berührungsängste mit der kritischen NGO noch sehr gross waren. Umgekehrt war für akte ein Vertreter der Reisebranche im Vorstand lange undenkbar – obwohl ich doch selbst eigentlich ein Vertreter dieser Branche war. Jedenfalls initiierte ich als SRV-Mitglied gemeinsam mit dem damaligen Hotelplan-Umweltbeauftragten Kaspar Hess die Fachstelle Umwelt und Soziales des SRV. Inzwischen ist die Reisebranche – wenn auch mit Vorbehalt – offener gegenüber den Themen geworden, die akte anspricht, und der SRV ist im akte-Vorstand vertreten.
Was bedeutet für dich fair unterwegs sein?
"Fair" halte ich für einen problematischen Begriff, weil kein Konsens darüber besteht, was "fair" ist und was nicht. Für mich geht es um Anstand und Gerechtigkeit. Um einen anständigen Umgang mit wem oder was auch immer ich zu tun habe. Auf Augenhöhe begegnen ist dabei ein Stichwort, nicht auf die Kosten anderer Menschen, künftiger Generationen oder der Natur leben.
Und bist du anständig unterwegs?
Es gilt Mass zu nehmen: Meine Stellung gegenüber der Stellung anderer. Ich versuche das im Alltag und auf Reisen umzusetzen, aber ich lebe auch nicht die reine Lehre. Wir konsumieren, wir sind mobil, wir leben in einer Gesellschaft, die unanständig lebt, wenn man es im globalen Zusammenhang anschaut. Beim Reisen wird das augenfällig. Bereits hier in der Schweiz haben wir ein Wohlstandsgefälle. Wenn wir aber in einem Resort in einem der ärmeren Länder des Südens Ferien machen, wird das Wohlstands- und Konsumgefälle zwischen uns und der ansässigen Bevölkerung oft extrem.
Was tun?
Es wird einen gesellschaftlichen Transformationsprozess geben, der wohl über Jahrzehnte dauern wird, auf dem Hintergrund von Klimaveränderung, sozialer Ungleichheit und Nord-Süd-Gefälle. Da kommt man nicht darum herum. Deshalb gibt es ja auch die Agenda 2030 als internationalen Konsens. Die 17 Ziele und 169 Unterziele sind die Beschreibung des Transformationsprozesses, der alle Bereiche betrifft.
Passt deine Tätigkeit als Nachhaltigkeitsverantwortlicher der Basler Kantonalbank da hinein?
Ich mache bei der Bank im Kern das Gleiche wie früher in einer anderen Branche. Auch hier geht es darum, problematische Effekte des Geschäfts zu vermeiden oder wenigstens zu mindern. Die Banken haben zurzeit ein schlechtes Ansehen, aber sie sind unbestreitbar ein wichtiger Teil der Volkswirtschaft und für diese auch unentbehrlich. Genau dadurch haben sie aber auch eine grosse Verantwortung, gerade der Finanzplatz Schweiz als riesige Wirtschaftsmacht. Auch wenn viele das nicht glauben wollen und sicher nicht alles Gold ist, was glänzt: die Finanzbranche bewegt sich sehr dynamisch, gerade auch was ihr Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung anbelangt. Aber man muss anerkennen, dass dies ein Prozess ist, der lange Jahre dauern wird. Wir haben ja mit akte in 40 Jahren den Tourismus auch nicht verändert und trotzdem viel Wirkung erzielt. Wichtig ist für mich, dass meine berufliche Tätigkeit meinen Werten und Überzeugungen entspricht.
fairunterwegs möchte den Transformationsprozess beim Reisen fördern. Wie gefällt dir das Portal?
Wenn ich an meine früheren Reisen denke: Da fand ich nirgends Informationen in der Konzentration, wie sie heute auf fairunterwegs.org einfach abrufbar ist. Es ist ein Glück, dass es das Netz gibt. Vor dem Interview besuchte ich extra nochmals das Portal. Da schliesst sich irgendwie der Kreis zu meiner Tätigkeit als Verantwortlicher der Infostelle beim SSR: Aus vielen Perspektiven Hintergrund liefern. Das finde ich das absolut Wertvolle am Portal. So konzentriert an einem Ort, das könnte man gar nie zusammengoogeln!
Alex Capus: Eine Frage der Zeit. Roman. btb-Verlag, 2009 (14. Aufl.), 304 Seiten, CHF 14.90, EUR 9.99, ISBN 978-3-442-73911-0
Hast Du ein Faible für historische Romane?
Durchaus. Das Buch zeigt die Kolonialgeschichte, den Konflikt mit den Einheimischen und die Werftarbeiter, die plötzlich zu Kolonialisten werden. Es zeigt die Absurdität des Krieges. Ich habe das selbst auf Samoa erlebt: Sowohl die Briten wie die Deutschen hatten in einer Bucht ihr Kriegsschiff geankert, als ein Taifun aufzog. Welches der Schiffe würde sich retten können? Das britische Schiff zog als erstes ins offene Meer. Als der Sturm vorüber war, kehrte es unversehrt zurück, während das deutsche zerschollen war. Die Briten setzten ihre Fahne in die Bucht und waren nun die Herrscher.
Fasziniert dich die Absurdität der Rollen, welche die Menschen im Kolonialismus einnehmen?
Der Kolonialismus war geprägt von einem bestimmten Menschenbild. Aber ich frage mich, ob sich dieses nach der Entkolonialisierung wirklich geändert hat. Es ist zwar nicht politisch korrekt, von "Herrenrasse" oder "Negern" zu sprechen, aber beim Reisen wirkt dieses kolonialistische Denken weiterhin. Viele Reisende interessieren sich kaum für die Einheimischen, diese haben sie bloss zu bedienen, sie bringen schliesslich das Geld.
Der Kolonialismus interessiert mich aber auch reisetechnisch: Wie zum Beispiel die Kolonialherren von Hamburg in den Südpazifik nach Samoa reisten.
Und schliesslich begegne ich dem Kolonialismus immer aufs Neue: Die Art, wie die ehemaligen Untertanen aus dem Maghreb von den Franzosen angesehen und behandelt werden. Das massive Ausmass an Landgrabbing durch Unternehmen, das Hunger verursacht. Die Hungerlöhne, die den Textilarbeiterinnen bezahlt werden. Das ist nicht weniger schlimm als der Kolonialismus.
Der reisetechnische Aspekt interessiert dich ja auch als Reiseprofi.
Ich bin früher sehr gerne gereist und das hat mich zum Schweizerischen Studentischen Reisedienst SSR geführt. Damals waren Reisen sehr teuer, trotzdem habe ich viele unternommen: Etwa in den Südpazifik und nach China. Es war die erste Zeit, in der man als Individualreisender nach China reisen konnte, zuvor waren nur Gruppenreisen zugelassen. Wir hatten kein Visum, um von Hongkong nach China zu gelangen. Aber wir hatten einen Freund in Nanjing. Auf seinen Rat hin schlossen wir uns einer Reisegruppe nach Guandong an und liessen uns an der Grenze ein Tagesvisum ausstellen. Danach verabschiedeten wir uns von der Gruppe und reisten allein weiter. In China wurden wir an einem Bahnhof festgehalten und dem Bahnhofvorstand vorgeführt. Er fragte uns, was wir hier zu suchen hätten. Auf unsere Antwort, wir seien Reisende, schimpfte er: "Ihr seid Schmarotzer der Gesellschaft. Sonst hättet ihr keine Zeit zum Reisen!" Schon nur die Tatsache, dass man sich frei nehmen kann und Geld für eine Reise hat, empfand er als Affront.
Was hast du beim SSR gemacht?
In den Achtzigerjahren war ich ein paar Jahre als Reiseleiter tätig, danach wechselte ich in die Infoabteilung. Meine Aufgabe dort entsprach im Grunde dem, was ihr bei fairunterwegs.org heute im grösseren Massstab und weit qualifizierter macht: Der SSR organisierte unter anderem Guppenreisen in Länder oder Gegenden, wo man individuell nicht hinkam, zum Beispiel in die ehemalige Sowjetunion , nach Kuba oder in andere sozialistische Länder. Er war auch einer der erste Anbieter von Reisen nach Ladakh. Für die Kunden erstellten wir Reisedokumentationen mit einer Presseschau zum Land und Literatur aus den Ländern. Die Reisenden wurden von erfahrenen Reiseleiterinnen und Reiseleitern an sogenannten Infotreffen auf die Reisen vorbereitet, das war eine Spezialität des SSR. Gründungsmitglieder des SSR waren neben dem Verband Schweizerischer StudentInnenschaften (VSS) die Studierendenverbände der verschiedenen Schweizer Universitäten und Hochschulen, diese waren auch Genossenschafter – also Miteigentümer der Genossenschaft SSR Reisen – und konnten so ihre Stimme einbringen. Die Nähe zu den Hochschulen war denn auch der Nährboden für die kritische Auseinandersetzung mit dem Tourismus beim SSR. Schliesslich war der SSR einer der Gründungsmitglieder des arbeitskreises tourismus & entwicklung (akte). Ich selbst wurde als Verantwortlicher der Infostelle dann in den Vorstand von akte delegiert.
Was bedeutete akte für dich?
Beim SSR wurde ich anfangs der 1990er Jahre Umweltbeauftragter. Ich hatte vom Team beim SSR guten Rückhalt, weil alle sehr für die Auswirkungen des Tourismus sensibilisiert waren. Aber ansonsten stiess ich mit diesen Themen insbesondere in der Reisebranche auf wenig Resonanz. akte war für mich eine Referenz und eine Möglichkeit, mich auszutauschen. Auch heute ist akte noch ganz wichtig. Schliesslich ist akte die einzige Fachstelle der Schweiz, die sich kompetent und unabhängig von Branche oder Entwicklungspolitik kritisch mit dem Tourismus auseinandersetzt. Das war für mich auch einer der Gründe, weshalb ich bis lange nach meiner Zeit beim SSR im Vorstand von akte geblieben bin. Letztlich war ich über zwei Jahrzehnte Vorstandsmitglied. Im Übrigen wurde die Genossenschaft SSR Reisen 2001 liquidiert und der Liquidationserlös zu einem grossen Teil in die eigens gegründete Stiftung SST, Schweiz. Stiftung für Solidarität eingebracht. Die Stiftung, die ich präsidiere, fördert seit ihrer Gründung mit einem namhaften jährlichen Beitrag u. a. auch den arbeitskreis tourismus & entwicklung (akte).
Der SSR war auch Mitglied des Schweizer Reise-Verbands (SRV), bei dem die Berührungsängste mit der kritischen NGO noch sehr gross waren. Umgekehrt war für akte ein Vertreter der Reisebranche im Vorstand lange undenkbar – obwohl ich doch selbst eigentlich ein Vertreter dieser Branche war. Jedenfalls initiierte ich als SRV-Mitglied gemeinsam mit dem damaligen Hotelplan-Umweltbeauftragten Kaspar Hess die Fachstelle Umwelt und Soziales des SRV. Inzwischen ist die Reisebranche – wenn auch mit Vorbehalt – offener gegenüber den Themen geworden, die akte anspricht, und der SRV ist im akte-Vorstand vertreten.
Was bedeutet für dich fair unterwegs sein?
"Fair" halte ich für einen problematischen Begriff, weil kein Konsens darüber besteht, was "fair" ist und was nicht. Für mich geht es um Anstand und Gerechtigkeit. Um einen anständigen Umgang mit wem oder was auch immer ich zu tun habe. Auf Augenhöhe begegnen ist dabei ein Stichwort, nicht auf die Kosten anderer Menschen, künftiger Generationen oder der Natur leben.
Und bist du anständig unterwegs?
Es gilt Mass zu nehmen: Meine Stellung gegenüber der Stellung anderer. Ich versuche das im Alltag und auf Reisen umzusetzen, aber ich lebe auch nicht die reine Lehre. Wir konsumieren, wir sind mobil, wir leben in einer Gesellschaft, die unanständig lebt, wenn man es im globalen Zusammenhang anschaut. Beim Reisen wird das augenfällig. Bereits hier in der Schweiz haben wir ein Wohlstandsgefälle. Wenn wir aber in einem Resort in einem der ärmeren Länder des Südens Ferien machen, wird das Wohlstands- und Konsumgefälle zwischen uns und der ansässigen Bevölkerung oft extrem.
Was tun?
Es wird einen gesellschaftlichen Transformationsprozess geben, der wohl über Jahrzehnte dauern wird, auf dem Hintergrund von Klimaveränderung, sozialer Ungleichheit und Nord-Süd-Gefälle. Da kommt man nicht darum herum. Deshalb gibt es ja auch die Agenda 2030 als internationalen Konsens. Die 17 Ziele und 169 Unterziele sind die Beschreibung des Transformationsprozesses, der alle Bereiche betrifft.
Passt deine Tätigkeit als Nachhaltigkeitsverantwortlicher der Basler Kantonalbank da hinein?
Ich mache bei der Bank im Kern das Gleiche wie früher in einer anderen Branche. Auch hier geht es darum, problematische Effekte des Geschäfts zu vermeiden oder wenigstens zu mindern. Die Banken haben zurzeit ein schlechtes Ansehen, aber sie sind unbestreitbar ein wichtiger Teil der Volkswirtschaft und für diese auch unentbehrlich. Genau dadurch haben sie aber auch eine grosse Verantwortung, gerade der Finanzplatz Schweiz als riesige Wirtschaftsmacht. Auch wenn viele das nicht glauben wollen und sicher nicht alles Gold ist, was glänzt: die Finanzbranche bewegt sich sehr dynamisch, gerade auch was ihr Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung anbelangt. Aber man muss anerkennen, dass dies ein Prozess ist, der lange Jahre dauern wird. Wir haben ja mit akte in 40 Jahren den Tourismus auch nicht verändert und trotzdem viel Wirkung erzielt. Wichtig ist für mich, dass meine berufliche Tätigkeit meinen Werten und Überzeugungen entspricht.
fairunterwegs möchte den Transformationsprozess beim Reisen fördern. Wie gefällt dir das Portal?
Wenn ich an meine früheren Reisen denke: Da fand ich nirgends Informationen in der Konzentration, wie sie heute auf fairunterwegs.org einfach abrufbar ist. Es ist ein Glück, dass es das Netz gibt. Vor dem Interview besuchte ich extra nochmals das Portal. Da schliesst sich irgendwie der Kreis zu meiner Tätigkeit als Verantwortlicher der Infostelle beim SSR: Aus vielen Perspektiven Hintergrund liefern. Das finde ich das absolut Wertvolle am Portal. So konzentriert an einem Ort, das könnte man gar nie zusammengoogeln!
Alex Capus: Eine Frage der Zeit. Roman. btb-Verlag, 2009 (14. Aufl.), 304 Seiten, CHF 14.90, EUR 9.99, ISBN 978-3-442-73911-0