Fair unterwegs mit Manon Schick, Kämpferin für die Menschenrechte
Welches Buch führt Sie auf die schönste Reise?
Das ist schwierig allgemein zu beantworten, im Moment ist es Nancy Hustons „Das Engelsmal“. Dabei geht es um eine Dreiecksbeziehung zwischen der Deutschen Soffie, die den Pariser Starflötisten mit dem ungarisch-jüdischen Instrumentenbauer Andras betrügt. Die Geschichte spielt wenige Jahre nach dem zweiten Weltkrieg, es geht dabei auch um die Frage der Freiheit der Länder im Osten und den Algerienkrieg. Mir gefallen Bücher, bei denen es nicht nur um eine Familien- oder Liebesgeschichte geht, sondern auch ein historisch-politischer Hintergrund aufscheint.
Haben Sie Geschichte studiert?
Ja, und ich habe eine Arbeit über die Schweizer Frauen im zweiten Weltkrieg geschrieben. Es nahm mich wunder, welchen Platz sie einnahmen in der Gesellschaft. Im Gegensatz zu den direkt in den Krieg involvierten Ländern mussten die Schweizerinnen selten Aufgaben in klassischen Männerdomänen einnehmen. Frauen hatten in der Schweiz wenig Zugang zum öffentlichen Leben, und sie haben im Verlaufe des Kriegs keine Rechte dazugewinnen können.
Was bedeutet für Sie fair unterwegs zu sein?
Auch auf Reisen ist für mich die Respektierung der Menschenrechte wichtig – egal ob ich privat oder beruflich unterwegs bin. Mir ist wichtig, dass die Menschen respektiert werden und ihre Rechte durchsetzen können. Deshalb wähle ich auch, in welchem Land ich Ferien verbringen will: Unterstütze ich damit die Repression?
Da wird die Auswahl aber eng: In den meisten Ländern werden Menschenrechte verletzt – lesen wir in den Berichten von Amnesty International.
Auch in Ländern, in denen Menschenrechte verletzt werden, kann ich mir noch
überlegen, wie ich reise, welche Angebote ich buche und welche Wirkung diese Wahl hat. Nur aus wenigen Ländern kommt ein Boykottaufruf wie der aus Burma, wo Aung San Suu Kyi und ihre AnhängerInnen zum Boykott aufriefen. Dort sind nicht nur grosse Hotels im Besitz der Clans der Militärjunta, sondern viele touristische Infrastrukturen wurden auch mit Fronarbeit der Bevölkerung erstellt.
Es gibt Stimmen, die behaupten, nach den Wahlen in Burma sei jetzt alles anders und der Boykott aufgehoben.
Nichts hat sich geändert. Aung San Suu Kyi wurde zwar freigelassen, aber es gibt immer noch Hunderte von politischen Häftlingen in den Kerkern. Die Regierung hat überhaupt nichts verbessert. Es war eine reine Farce zur Beruhigung des Auslands. Bei einem Boykott besteht natürlich immer das Risiko, dass die Bevölkerung für die Verfehlungen der Regierung bestraft wird, es gilt abzuwägen, wie man die Menschenrechte am besten verteidigt. Aber jetzt ist noch nicht der Zeitpunkt gekommen, den Boykott in Burma einfach aufzuheben.
Anders in Tunesien. Dort sagten mir die MenschenrechtsverteidigerInnen: Kommt, aber kommt nicht einfach als Strandtouristen, diskutiert mit den Menschen im Land. Leider reisen viele Menschen mit verschlossenen Augen.
Ist es denn so einfach, mit Leuten in einen offenen Kontakt zu treten, wo sie mit Repressionen für abweichende Meinungen bedroht sind?
Das kann schwierig sein. Oft spricht man ja die Sprache der Leute nicht, manchmal verhindern auch die Reiseleiter den Kontakt. Wo ich hinreise, kenne ich meistens jemanden. Aber einmal reiste ich nach Syrien, wo jemand meiner Familie arbeitet. Nicht das Sprachverständnis war das Hauptproblem – es übersetzte immer jemand, aber die Angst der SyrierInnen, von Politik zu sprechen. Man sollte die Leute nicht mit Aussagen in der Art von „der Präsident sollte abtreten“ in Gefahr bringen.
Ist es nicht eine zu hohe Anforderung an die Reisenden, die Menschenrechtsauswirkungen ihrer Reisen abschätzen zu können? Woher weiss ein Tourist, welches Hotel einem Familienmitglied der Militärs oder der Regierung gehört?
Zu wenige ziehen die Menschenrechtsfrage überhaupt in Betracht. Einige achten sich immerhin auf die Umweltauswirkungen ihrer Reise. Aber es ist auch klar, dass die Reisenden nicht die ganzen Recherchen selber machen können oder wollen. Man muss ihnen helfen dabei. Die Verantwortung liegt hier bei den Reiseveranstaltern und den Hotels. Sie müssen sich um die Menschenrechtsfragen kümmern. Sinnvoll können auch Labels sein. Es ist wie bei den Supermärkten. Ich möchte nicht, dass sie Früchte aus Südspanien ins Regal legen, für deren Produktion Migranten wie Sklaven geschunden wurden. Ich möchte sicher sein, dass die Orangen, die zur Auswahl stehen, aus menschenrechtlich unbedenklicher Produktion stammen. Die Supermärkte können sich nicht einfach hinter dem Argument von Angebot und Nachfrage verschanzen. Es gibt Produkte, die gar nicht zur Auswahl stehen sollten.
UNO-Leitsätze zur Verantwortung der Unternehmen für die Menschenrechte sind ja zurzeit in Vernehmlassung.
Aber sie werden nicht bindend sein. Guter Wille ist positiv, aber man kann sich nicht nur auf den guten Willen stützen. Die Unternehmen wollen Geld verdienen. Billigere Lösungen überzeugen sie schneller als teurere. Deshalb sind verbindliche Regelungen für alle oft der bessere Weg. Die Leitsätze von des UNO-Beauftragten John Ruggie zu Unternehmen und Menschenrechten sind nicht ausreichend, aber sie sind ein erster Schritt. Es gibt ein wachsendes Bewusstsein bei den Unternehmern für ihre soziale Verantwortung. Bei einigen geht es nur ums Image, aber andere engagieren sich aus echter Überzeugung.
Amnesty International hat sich auch schon für die Beachtung von Meschenrechtsfragen beim Reisen engagiert.
Wir haben vor ein paar Jahren zu Tunesien eine Aktion gemacht. Wir wollten bei den Reisebüros Faltblätter auflegen, aber die Antworten waren nicht immer positiv. Die Veranstalter haben Angst, die Leute mit Menschenrechtsfragen abzuschrecken. Aber unsere Boschaft ist ja: Nicht einfach hinreisen – hinschauen!
Hat sich die Lobbyarbeit von Amnesty in den letzten Jahren gegenüber den klassischen Briefaktionen für politische Häftlinge von früher geändert?
Die Aktionen für individuelle Leute sind immer noch die Basis unserer Lobbyarbeit. Aber wir führen globale Kampagnen, zum Beispiel die gegen die Todesstrafe, gegen Folter, für die Rechte von Frauen oder aktuell gerade die Kampagne „Für ein Leben in Würde“, bei der es darum geht, Menschen für den Zusammenhang zwischen Armut und fehlenden Menschenrechten zu sensibilisieren. Wir werden dadurch nicht zu einer Entwicklungsorganisation. Aber Menschenrechte werden mit der Armut verletzt. Und Regierungen diskriminieren ganze Bevölkerungsteile, die deswegen ihre Lebensstrategien schlechter wählen können. Sie geraten in Armut – und die Armen wiederum werden am ehesten diskriminiert. Es ist ein Teufelskreis. In der Slovakei werden zum Beispiel Roma-Kinder in Schulen für Behinderte eingeschult. Damit nimmt man ihnen die Chance auf eine richtige Ausbildung, was ihre späteren Arbeitschancen raubt, sodass sie schliesslich in den Ghettos neben der Stadt landen. Dort gibt es oft keine Strassennamen. Sie können also für eine Bewerbung nicht einmal eine Adresse angeben oder müssen eine erfinden. Es ist schwierig, aus dieser Spirale herauszukommen.
Anhand der Beispiele scheint es aber doch, dass Amnesty die politischen Zusammenhänge jetzt stärker beleuchtet als früher.
Amnesty International war immer politisch – wenn auch nie parteipolitisch. Sich für das Recht einzusetzen, seine Meinung kund zu tun, auch wenn es die Regierung stört, ist politisch. Wir wurden schon immer gerne dafür kritisiert, wir seien zu politisch. Etwa wenn wir ein Ende der Folter in den Vereinigten Staaten verlangen, oder die Schliessung der Gefangenenlager in Guantanamo.
Wie bewerten sie den Beitrag des fairunterwegs-Reiseportals für die Sensibilisierung von Reisenden?
Diese Art der Kommunikation funktioniert und ist ein wichtiger Schritt, aber es werden noch zu wenige Leute erreicht. Die Sensibilisierung muss auch bei der Mehrheit der Reisenden ankommen, sie müssen lesen, mit welchem Verhalten sie welchen Beitrag zur Nachhaltigeit und zur besseren Achtung der Menschenrechte leisten können.
Amnesty erreicht mit 45’000 Mitgliedern und über 100’000 SpenderInnen zwar schon viele, aber meistens sind es auch schon sensibilisierte Menschen, die sich aktiv in Gruppen engagieren. Wir versuchen via Plakatkampagne neue Leute zu erreichen. Auf einem Plakat steht zum Beispiel „Wer den Bundesrat kritisiert, riskiert Folter und Gefängnis“. Und als Auflösung in kleinerer Schrift „In der Schweiz kaum denkbar, in Burma Realität“. Wichtig ist, ohne moralischen Zeigefinger zu kommunizieren.
Ihr Wunsch an Reisende?
Zu oft hätte man die Möglichkeit, zu hören, wenn die Leute etwas sagen wollen, und verschliesst sich, weil man einfach keine Lust hat. Weil man sich in den Ferien aufs Ausspannen eingestellt hat. Ausspannen ist zwar legitim, aber trotzdem: Augen und Ohren auf!