Welches Buch entführt dich auf die schönste Reise?

Ich lese normalerweise ein Buch erst, wenn ich auf der Reise bin. Gerne lese ich Bücher mit historischem Hintergrund. Dann kann ich das, was ich erlebe, in Bezug zur Romanfigur setzen. Meistens werde ich mit dem Lesen nicht fertig, bis die Reise zuende ist, also verlängert das Buch meine Ferien und lässt sie ausklingen.
Gepackt hat mich Nagib Machfus’ Kairo Trilogie: Zwischen den Palästen / Palast der Sehnsucht / Zuckergässchen. Er beschreibt das Spannungsfeld einer Gesellschaft, die von den Traditionen geprägt und mit der Moderne konfrontiert ist. Sie muss sich wandeln, aber wie weit kann der Wandel gehen, wo gibt es Grenzen? Einem westlichen Leser wie mir bringt das die ägyptische Kultur näher. Ich kann mich an sie herantasten.

Wann warst du in Ägypten?

Meine Frau ist Ägypten-Fan, also unternahmen wir 1994 zum zehnten Hochzeitstag eine Ägyptenreise. Ich war baff, sowohl von Kairo als Stadt wie von den Tempeln. Es ist unglaublich, welche Geschichte dahinter steht. Ich habe Tempel in Griechenland oder Sizilien gesehen, aber was in Ägypten gebaut wurde ist einfach gewaltig. Und in die Stadt Kairo taucht man am besten einfach ein und lässt sich treiben.

Was fasziniert dich am Reisen?

Ich habe bereut, dass ich kein Arabisch spreche. Denn für mich sind beim Reisen die Begegnungen mit den Leuten das, was mich am meisten fasziniert. Was sie denken, was sie bewegt, beschäftigt, ihnen Freude macht. Je besser man sich in ihre Lage versetzen kann, desto spannender und bereichernder ist die Begegnung. Man lernt dabei nicht nur etwas über sie, sondern auch über sich selbst.

Hast du dafür ein Beispiel?

Auf Reisen konnte ich merken, dass weder die Schweiz noch Europa der Nabel der Welt sind. Anderswo gibt es klar andere Realitäten, und was für uns hier sehr wichtig ist, kann anderswo belanglos sein. Der Vergleich mit einer anderen Kultur öffnet neue Denkansätze, zeigt neue Möglichkeiten, die eigene Kultur zu sehen. Oft bin ich nach einer Reise dankbar für die politische Kultur der Schweiz. Sie ist nur möglich dank einem hohen Bildungsstand und einem Wohlstand, der mit einer gewissen Kritikfähigkeit einhergeht. Anderseits sehe ich auch, dass wir hier sehr vom Materialismus geprägt sind. In vielen Ländern fehlt das soziale Auffangnetz der Institutionen. Dafür spielen die Familien- und Freundschaftsbande eine viel wichtigere Rolle. Die sozialen Netze sind sehr stark, sie müssen das abfedern, was bei uns die Rolle des Staates ist. Das hat auch eine schöne Dimension: Die Menschen müssen sich viel mehr mit anderen auseinandersetzen. Die Offenheit für einander ist präsenter als in unserem durchorganisierten Alltag.

Wie fair bist du unterwegs?

Es gibt keinen absoluten Begriff der Fairness. Unterwegs achte ich auf die Mittel der Mobilität. Ich bin im Alltag am liebsten mit dem Velo unterwegs. Ich finde es bezüglich dem Verhältnis von Effizienz, Geschwindigkeit, Gesundheit und Umweltbelastung optimal. Als Geschäftsleiter der Stiftung Max Havelaar Schweiz ist mir der Konsum sehr wichtig. Ich frage mich beim Einkauf von Lebensmitteln und anderem: Wo kommt das Produkt her? Wer hat daran gearbeitet? Kann ich hinter dem Produkt stehen?

Eine ganze Menge Fragen!

Eigentlich kaufe ich nicht gerne ein. Wenn ich unterwegs auf Reisen bin, nehme ich nur das Minimum mit, was grad praktisch ist. Aus logistischen Gründen versuche ich nur mit Handgepäck zu reisen. Es ist schön zu erleben, mit wie wenig man auskommt, auch im Alltag. Das tut gut in unserer Überflutungsgesellschaft.

Als Geschäftsleiter der Stiftung Max Havelaar möchtest du ja etwas in der Gesellschaft verändern. Was braucht es, damit eine solche Änderung in Richtung Nachhaltigkeit und Fairness geschieht?

Jeder muss mit sich selber sehr ehrlich sein und in täglichen Entscheiden überlegen, was er oder sie besser machen kann. In unserer Gesellschaft entscheidet das Individuum, oder im Handel eben der Konsument, wie sich die Gesellschaft und die Welt entwickeln. Jeder muss sich bewusst sein, dass er oder sie die Änderung herbeiführen muss und diese Aufgabe nicht einfach der Politik oder der Industrie überantworten kann. Gerade in dem Marktgetriebe, wie es heute funktioniert.

Welche Chancen siehst du für den Fairtrade im Tourismus?

Tourismus ist ein sehr komplexes Produkt mit vielen Akteuren. Es sind davon viele Menschen betroffen. Tourismus hat auch einen starken gesellschaftlichen Aspekt, es treffen verschiedene Wertvorstellungen aufeinander. Das macht das Engagement für Fairen Handel im Tourismus zu einer grossen Herausforderung. Ich bin froh, dass es eine Organisation wie den arbeitskreis tourismus & entwicklung gibt, die sich dafür einsetzt. Fairtrade im Tourismus geht weit über das blosse Nachrechnen des Wasserverbrauchs hinaus. Wir dürfen Fairness ja auch nicht nur vom Norden her definieren, sondern, was ja der arbeitskreis tourismus & entwicklung immer wieder tut – der Stimme des Südens Nachachtung verschaffen und herausfinden, was die gastgebende Bevölkerung fair findet und was für sie wichtig ist.

Wie nützlich ist das fairunterwegs-Reiseportal für die Einführung des Fairen Handels im Tourismus?

Fairunterwegs ist sehr hilfreich für Menschen, die schon sensibilisiert sind und aktiv nach Innovationen und Lösungen suchen, um sich auf Reisen fairer verhalten zu können. Die Frage ist, wie wir das Thema weiter hinaustragen. Die Branche selbst ist stark gefordert. Die Tourismusunternehmen haben den grössten Einfluss auf die Ausgestaltung des Massentourismus – wobei sich die Frage stellt, ob bei einer Nachhaltigen Entwicklung der Massentourismus noch gerechtfertigt ist oder ob es neue Formen braucht. Es ist wichtig, dass der arbeitskreis tourismus & entwicklung mit den Tourismusunternehmen im Gespräch bleibt.


Die Max Havelaar-Stiftung (Schweiz) erteilt ein Gütesiegel für Produkte aus benachteiligte Regionen des Südens, die fair gehandelt sowie gemäss sozialen Standards und möglichst umweltschonend produziert werden. Die Einhaltung der internationalen Fairtrade-Standards wird von einer unabhängigen Zertifizierungsstelle kontrolliert. Das Max Havelaar-Label gibt es für Bananen, Ananas, Mango, Avocado, Fruchtsäfte, Kaffee, Tee, Schokolade, Kakao, Honig, Zucker, Reis, Blumen und Pflanzen sowie Baumwollprodukte und Textilien.


Lesetipp von Martin Rohner:

Machfus, Nagib: Die Kairo-Triologie. Zwischen den Palästen / Palast der Sehnsucht / Zuckergässchen. Unionsverlag Taschenbuch. 1776 Seiten. CHF 43.50, Euro 29.90. ISBN-10:3-293-20314-0