Welches Buch führt dich auf die intensivste Reise?

Das wechselt. Es hängt von der Frage ab, die mich gerade umtreibt. Im Moment beschäftige ich mich mit den wirtschaftspolitischen Debatten seit dem zweiten Weltkrieg. Ich lese dazu die Biographie "John Kenneth Galbraith. His Life. His Politics. His Economics" (2005), geschrieben vom Ökonomieprofessor Richard Parker. Der Ökonom John Kenneth Galbraith lebte von 1908-2006. Die Biografie ist in Abschnitte aus Galbraiths beruflichem Werdegang gegliedert und enthält in jedem dieser Abschnitte eine Darstellung der damaligen Kontroversen unter ÖkonomInnen, aber auch über die wirtschaftspolitischen Kontroversen, die damals in den USA stattfanden. Galbraith war von Anfang an ein engagierter Gegner des Vietnamkrieges, arbeitete als Journalist für „Fortune“, als Wirtschaftsprofessor, aber auch für die Roosevelt Administration, war ein enger Berater von Kennedy und zeitweise US-Botschafter in Indien. Bei den neoklassischen Mainstream-Ökonomen war er sehr umstritten, gleichzeitig scheute er nicht vor Kontroversen mit den damals aufkommenden „Neukeynesianern“ zurück. Er war ein vielgelesener Publizist zu Wirtschaftsfragen und schrieb sogar Reden für US-Präsidenten.   

Worum ging es bei diesen Kontroversen?

Während im wirtschaftstheoretischen Mainstream die Meinung dominiert, dass sich der Markt quasi selber reguliert, war Galbraith überzeugt, dass der Kapitalismus nur mit einem starken und regulierenden Staat existieren kann. Der Staat muss eine wichtige Gegenmacht gegenüber den mächtigen Konzernen sein. Er ist zum Beispiel für die Stabilität des Finanzsystems zuständig. Galbraith und andere Ökonomen stritten in den Sechzigern unter anderem darüber, was der Staat tun muss, um den Kapitalismus vor der Eigendynamik der Kapitalisten zu schützen. Während die Neoklassiker den Wettbewerb ins Zentrum ihrer Überlegungen stellen, meinte Galbraith, dass es immer weniger Wettbewerb in Branchen mit grossem technischem Fortschritt gibt, weil immer weniger Konzerne den  

Markt beherrschen. Grosse Konzerne sind auf stabile Märkte angewiesen, und für die Stabilität der Märkte braucht es den Staat. Ein grosser Teil der industriellen Produktion ist zwar immer noch kapitalistisch, aber nicht mehr auf die gleiche Weise wie sich das die Wirtschaftstheoretiker – auch Marx – im 19. Jahrhundert vorgestellt haben.

Wie geraten die Märkte aus dem Lot?

Es war schon immer klar, dass es im Kapitalismus starke Konjunkturzyklen gibt. Einerseits war Marx der Auffassung, dass Kapitalismus auf die Dauer an seinen eigenen Krisen zugrunde gehen wird, andererseits versuchten Neoklassiker mit ihren Denkmodellen zu beweisen, dass der Markt sich selbst regulieren kann und selbst wieder in ein Gleichgewicht zurückfindet. Die Neoliberalen haben eine sehr viel dynamischere Vorstellung: Es wird immer wieder grosse Umbrüche geben, aber Eingriffe des Staates verschlimmern das Ganze, die Welt wird sich der Dynamik der Märkte und technischen Entwicklung einfach anpassen müssen. Keynes hinterfragte ebenso die Gleichgewichtsthese und sah in der Intervention des Staates die einzige Möglichkeit, schwere und langandauernde Krisen von katastrophalen Entwicklungen abzuhalten. Im Übrigen stellte er sich gegen den damals so genannten „militärischen Keynesianismus“, wo der US-Staat riesige Summen für die Aufrüstung und die militärische Expansion ausgab und damit die Wirtschaft ankurbelte, anstatt mit der Bekämpfung von Armut und Finanzierung eines guten Gesundheitssystem für alle. 

Worin liegt dein Erkenntnisinteresse bei dieser Lektüre?

Ich bin auf der Suche nach interessanten Ansätzen für aktuelle Probleme. Dazu gehört die Care Economy, der riesige Wirtschaftsbereich, bei dem es um die direkte Sorge für und Versorgung von Menschen geht, sowohl in ihrer bezahlten oder unbezahlten Form. Mehrheitlich sind hier Frauen tätig,

als Private, aber auch als Angestellte von Spitex, Spitälern, Kinderkrippen oder als Servicepersonal und Raumpflegerinnen im Hotel oder im Detailhandel. In der Produktion von Gütern kann man die Arbeitsproduktivität der Arbeitenden durch Einsatz von Maschinen und Robotern erhöhen, und damit können auch höhere Löhne bezahlt werden. Aber in der Pflege helfen Maschinen wenig, da ist Zeitaufwand Teil der Leistung. Die Steigerung der Arbeitsproduktivität bedeutet hier, dass Pflegende gewisse Hilfestellungen nicht mehr erbringen, immer schneller arbeiten, und für Gespräche keine Zeit haben. Und es bedeutet, dass sich die Löhne im Vergleich zur Güterindustrie verschlechtern.
Dieses grundlegende Problem wird vom starken Franken verschärft, von dem der Tourismus besonders betroffen ist. Die Dienstleistungen müssen erbracht werden, wo die Gäste sind, die Arbeit kann nicht einfach ins Ausland ausgelagert werden. Die Gäste haben beschränkte Budgets und können nicht immer mehr zahlen, aber an den Löhnen der Angestellten in Tourismus, Gastro und Hotellerie kann auch nicht beliebig gespart werden. Auch nicht an den Betriebskosten generell. Da stellen sich Fragen der anständigen Löhne, oder wie Ihr sagt, der Fairness und wie diese ökonomisch möglich ist.

Du gibst das Stichwort: Was heisst für Dich fair unterwegs sein?

Für mich geht es dabei um Ökologie und um den Anstand gegenüber den Dienstleistenden. Ich bin arbeitshalber öfter in Berlin und in Wien. Wenn möglich fahre ich mit dem Zug. Aber ich leide unter Rückenproblemen. Die Zugfahrt nach Wien ist sehr lange und für mich manchmal zu anstrengend. Dann muss ich fliegen. Und das ist ökologisch gesehen nun wirklich sehr problematisch.
In Berlin wähle ich das Hotel nach der Qualität der Betten, weil das für meinen Rücken wichtig ist. Aber wie sind dort die Angestellten bezahlt? Wie ökologisch ist

der Betrieb? Da habe ich keine Ahnung. Ich weiss einiges über Landwirtschaft, aber kaum etwas über Tourismus. Keine Ahnung, wie die Bedingungen in Wien sind, ich bin dort bei einer Freundin untergebracht. Ich benutze die öffentlichen Verkehrsmittel. Aber ich weiss auch, dass beim Railjet, dem ICE zwischen Wien und Zürich, Personal abgebaut wurde. Manchmal rede ich mit den Angestellten, um zu hören, wie der Alltag für sie aussieht.
Fair unterwegs sein heisst für mich auch, zu beobachten, wie sich die Bedingungen für das Zugpersonal in den letzten Jahren verändert haben. Oder für die Tourismusangestellten. Im Gastgewerbe beispielsweise fallen die Lohnkosten zum Gesamtpreis stark ins Gewicht. Es halten sich nur noch die schicken Restaurants mit Haute Cuisine-Gerichten, für die höhere Preise verlangt werden können. Nur so kann die Arbeit bezahlt werden. Die Beizen mit der einfachen Kost verschwinden. Oder sie werden als Franchisebetriebe geführt, in denen MigrantInnen zum Gotteslohn schuften.
Welche Rahmenbedingungen bräuchte es für die arbeitsintensiven Bereiche?
Bevor wir Lösungen finden, müsste zunächst anders über das Problem nachgedacht werden. Die Mehrheit der Wirtschaftsfachleute arbeitet mit irreführenden nationalen Kennzahlen und Durchschnittswerten. Das verstellt den Blick auf die zunehmend ungleiche Verteilung zwischen Wirtschaftsbranchen und Regionen als Resultat technischen Fortschritts in gewissen Bereichen. Die Gewinnmargen sind im Gastgewerbe und im Detailhandel niedrig. Auch Kooperativen kämpfen in arbeitsintensiven Bereichen um genügend hohe Erträge, um existenzsichernden Einkommen gewährleisten zu können.

Aber immerhin müssen Kooperativen keine grossen Gewinnanteile an Investoren abgeben.

Ja, das ist das Problem der Rentenökonomie und der Konzentration von Hotel- Spital- und Homecareanbietern. Die Gewinnmargen sind klein, wenige Topmanager und Besitzer verdienen viel und alle andere wenig. Wir leben zudem in einem System, wo mit Franchising,

Kreditkarten, Internetverkäufen und so weiter immer mehr Geld zu Personen geleitet wird, die dafür nichts tun. Sie installieren eine Art privatisierte Umsatzsteuer, eine neue Art von Rentenökonomie.

Zurück zu den Rahmenbedingungen: Angenommen, das Schweizer Volk würde sich dazu entschliessen, die für die Gesellschaft notwendige aber unrentable Care-Arbeit auch anständig zu vergüten. Müsste der Staat dazu nicht von den rentablen Wirtschaftszweigen Geld abziehen, um es zur Subventionierung dieser Care-Arbeit einzusetzen?

Nein, das ist ein Lieblingsmärchen der Mainstreamökonomie. Durch Kredite wird von privaten Banken ständig neu Geld geschöpft und durch die Zentralbank abgesichert. Historisch gesehen haben Zentralbanken auch für den Staat irre Mengen von Geld geschöpft, wenn es um die Finanzierung von Kriegen und Palästen ging. Der neoliberale Traum ist, dass die Zentralbank nur noch für die Privatwirtschaft und für die Geldstabilität ihrer Geschäfte da ist, nicht für die ganze Gesellschaft. Warum dürfen nur Banken gerettet werden und nicht übermässig verschuldete Staaten oder Haushalte?

Fraglich nur, wie nachhaltig solche Stützungsversuche funktionieren.

Die jetzige Politik ist das Gegenteil von nachhaltig. Im Moment geht es mir mehr um das Verständnis des Problems: Der Überfluss der Produktion von Gütern gegenüber der Verknappung im öffentlichen Bereich, und der Überfluss von Gütern gegenüber der Verknappung personenbezogener Dienstleistungen. Ersteres thematisierte schon Galbraith, letzteres wird noch kaum thematisiert. Das Gastgewerbe und der Detailhandel sollen den Umsatz mit gleich vielen oder weniger Arbeitskräften erhöhen. Das führt zum Beispiel dazu, dass in den Peripherien die Läden und Gasthöfe verschwinden und Jobs wegfallen. Regionalpolitisch ist das eine akute Frage. Im Bergell habe ich mit Ansässigen

geredet, dort ist die Abwanderung dramatisch. Durch Gemeindefusionen spart man öffentliche Arbeitsplätze ein. Spitäler und Schulen werden geschlossen. Die ökonomische Dynamik dahinter: Je mehr technologischer Fortschritt, desto teurer die Arbeit und desto weniger sind die Menschen bereit, diese zu bezahlen. Bis jetzt konnten zudem die ständig sinkenden Güterpreise durch Billigimporte garantiert werden. Oder wie der griechische Ökonom Varoufakis es formulierte: "Das aktuelle Wirtschaftsmodell ist Wall Street und Walmart". Auf die Dauer kann das so nicht weiter gehen.  
Die Gesellschaft kommt nicht um die Frage herum, wie sie die gesellschaftlich notwendige Arbeit bezahlen will. In der Landwirtschaft wurde das schon länger erkannt, denn hier gibt es eine stärkere Lobby. Da ist vor Jahrzehnten klar formuliert worden: Ein Bauerfamilie soll auf ein anständiges Einkommen kommen. Das wird durch Direktzahlungen ermöglicht. So etwas könnte man sich in abgewandelter Form auch im Tourismus überlegen, wo es regionalpolitisch Sinn macht.  
Aber nochmals: Wie soll das finanziert werden?
Geld ist nicht knapp, sondern wird wirtschaftspolitisch knapp gemacht, aber tatsächlich geht es um den Umgang mit der Knappheit von natürlichen Ressourcen und von menschlicher Arbeitskraft und um die Stabilität des Wirtschaftssystems. Das muss der Ausgangspunkt für geld- und finanzpolitische Überlegungen sein. Die Nationalbank könnte anstatt Euros aufzukaufen auch den Schweizer Franken beispielsweise für den Tourismus verbilligen. Das wäre genauer zu diskutieren.
Der Tourismusbranche sprichst du mit solchen Subventionierungsvorschlägen aus der Seele. Findest du es denn unter den gegebenen Rahmenbedingungen unrealistisch, von den Tourismusunternehmen zu fordern, dass sie mehr Verantwortung für die Sozial- und Umweltwirkung ihrer Geschäfte übernehmen, wie wir es tun?
Im kapitalistischen Wirtschaftssystem braucht es immer Gegenmächte, damit es anständig läuft. Als Organisation der Zivilgesellschaft ist es schon richtig, das von den Unternehmen zu fordern. Gleichzeitig braucht es aber eine Debatte darüber, was es bedeutet, wenn wir den Tourismus in der Schweiz wollen. Und was passieren muss, damit der Tourismus nachhaltig und fair stattfinden kann und dann auch stattfindet. Auch für letzteres braucht es 

politischen Druck, damit vorhandene ökonomische Spielräume genutzt werden.
Dabei betrachte ich jetzt eher den Inlandtourismus. Ihr arbeitet ja hauptsächlich zum Outgoing Tourismus.

Und was hältst du vom fairunterwegs-Reiseportal?

Gut, dass es das gibt. Viele informieren sich gerne über Webseiten. Ihr zeigt ihnen gangbare Wege, wie sie besser unterwegs sein können – wobei das Fliegen ein kritischer Punkt bleibt. Ihr könnt auf fairunterwegs auch das Verständnis für die Rahmenbedingungen fördern.       
Richard Parker: John Kenneth Galbraith. His Life. His Politics. His Economics.Paperback. University Of Chicago Press 2006. 862 Seiten, 17.25 US$, ISBN 978-0226646770. In der Schweiz auch als eBook erhältlich.

Das wechselt. Es hängt von der Frage ab, die mich gerade umtreibt. Im Moment beschäftige ich mich mit den wirtschaftspolitischen Debatten seit dem zweiten Weltkrieg. Ich lese dazu die Biographie "John Kenneth Galbraith. His Life. His Politics. His Economics" (2005), geschrieben vom Ökonomieprofessor Richard Parker. Der Ökonom John Kenneth Galbraith lebte von 1908-2006. Die Biografie ist in Abschnitte aus Galbraiths beruflichem Werdegang gegliedert und enthält in jedem dieser Abschnitte eine Darstellung der damaligen Kontroversen unter ÖkonomInnen, aber auch über die wirtschaftspolitischen Kontroversen, die damals in den USA stattfanden. Galbraith war von Anfang an ein engagierter Gegner des Vietnamkrieges, arbeitete als Journalist für „Fortune“, als Wirtschaftsprofessor, aber auch für die Roosevelt Administration, war ein enger Berater von Kennedy und zeitweise US-Botschafter in Indien. Bei den neoklassischen Mainstream-Ökonomen war er sehr umstritten, gleichzeitig scheute er nicht vor Kontroversen mit den damals aufkommenden „Neukeynesianern“ zurück. Er war ein vielgelesener Publizist zu Wirtschaftsfragen und schrieb sogar Reden für US-Präsidenten.   

Worum ging es bei diesen Kontroversen?

Während im wirtschaftstheoretischen Mainstream die Meinung dominiert, dass sich der Markt quasi selber reguliert, war Galbraith überzeugt, dass der Kapitalismus nur mit einem starken und regulierenden Staat existieren kann. Der Staat muss eine wichtige Gegenmacht gegenüber den mächtigen Konzernen sein. Er ist zum Beispiel für die Stabilität des Finanzsystems zuständig. Galbraith und andere Ökonomen stritten in den Sechzigern unter anderem darüber, was der Staat tun muss, um den Kapitalismus vor der Eigendynamik der Kapitalisten zu schützen. Während die Neoklassiker den Wettbewerb ins Zentrum ihrer Überlegungen stellen, meinte Galbraith, dass es immer weniger Wettbewerb in Branchen mit grossem technischem Fortschritt gibt, weil immer weniger Konzerne den  

Markt beherrschen. Grosse Konzerne sind auf stabile Märkte angewiesen, und für die Stabilität der Märkte braucht es den Staat. Ein grosser Teil der industriellen Produktion ist zwar immer noch kapitalistisch, aber nicht mehr auf die gleiche Weise wie sich das die Wirtschaftstheoretiker – auch Marx – im 19. Jahrhundert vorgestellt haben.

Wie geraten die Märkte aus dem Lot?

Es war schon immer klar, dass es im Kapitalismus starke Konjunkturzyklen gibt. Einerseits war Marx der Auffassung, dass Kapitalismus auf die Dauer an seinen eigenen Krisen zugrunde gehen wird, andererseits versuchten Neoklassiker mit ihren Denkmodellen zu beweisen, dass der Markt sich selbst regulieren kann und selbst wieder in ein Gleichgewicht zurückfindet. Die Neoliberalen haben eine sehr viel dynamischere Vorstellung: Es wird immer wieder grosse Umbrüche geben, aber Eingriffe des Staates verschlimmern das Ganze, die Welt wird sich der Dynamik der Märkte und technischen Entwicklung einfach anpassen müssen. Keynes hinterfragte ebenso die Gleichgewichtsthese und sah in der Intervention des Staates die einzige Möglichkeit, schwere und langandauernde Krisen von katastrophalen Entwicklungen abzuhalten. Im Übrigen stellte er sich gegen den damals so genannten „militärischen Keynesianismus“, wo der US-Staat riesige Summen für die Aufrüstung und die militärische Expansion ausgab und damit die Wirtschaft ankurbelte, anstatt mit der Bekämpfung von Armut und Finanzierung eines guten Gesundheitssystem für alle. 

Worin liegt dein Erkenntnisinteresse bei dieser Lektüre?

Ich bin auf der Suche nach interessanten Ansätzen für aktuelle Probleme. Dazu gehört die Care Economy, der riesige Wirtschaftsbereich, bei dem es um die direkte Sorge für und Versorgung von Menschen geht, sowohl in ihrer bezahlten oder unbezahlten Form. Mehrheitlich sind hier Frauen tätig,

als Private, aber auch als Angestellte von Spitex, Spitälern, Kinderkrippen oder als Servicepersonal und Raumpflegerinnen im Hotel oder im Detailhandel. In der Produktion von Gütern kann man die Arbeitsproduktivität der Arbeitenden durch Einsatz von Maschinen und Robotern erhöhen, und damit können auch höhere Löhne bezahlt werden. Aber in der Pflege helfen Maschinen wenig, da ist Zeitaufwand Teil der Leistung. Die Steigerung der Arbeitsproduktivität bedeutet hier, dass Pflegende gewisse Hilfestellungen nicht mehr erbringen, immer schneller arbeiten, und für Gespräche keine Zeit haben. Und es bedeutet, dass sich die Löhne im Vergleich zur Güterindustrie verschlechtern.
Dieses grundlegende Problem wird vom starken Franken verschärft, von dem der Tourismus besonders betroffen ist. Die Dienstleistungen müssen erbracht werden, wo die Gäste sind, die Arbeit kann nicht einfach ins Ausland ausgelagert werden. Die Gäste haben beschränkte Budgets und können nicht immer mehr zahlen, aber an den Löhnen der Angestellten in Tourismus, Gastro und Hotellerie kann auch nicht beliebig gespart werden. Auch nicht an den Betriebskosten generell. Da stellen sich Fragen der anständigen Löhne, oder wie Ihr sagt, der Fairness und wie diese ökonomisch möglich ist.

Du gibst das Stichwort: Was heisst für Dich fair unterwegs sein?

Für mich geht es dabei um Ökologie und um den Anstand gegenüber den Dienstleistenden. Ich bin arbeitshalber öfter in Berlin und in Wien. Wenn möglich fahre ich mit dem Zug. Aber ich leide unter Rückenproblemen. Die Zugfahrt nach Wien ist sehr lange und für mich manchmal zu anstrengend. Dann muss ich fliegen. Und das ist ökologisch gesehen nun wirklich sehr problematisch.
In Berlin wähle ich das Hotel nach der Qualität der Betten, weil das für meinen Rücken wichtig ist. Aber wie sind dort die Angestellten bezahlt? Wie ökologisch ist

der Betrieb? Da habe ich keine Ahnung. Ich weiss einiges über Landwirtschaft, aber kaum etwas über Tourismus. Keine Ahnung, wie die Bedingungen in Wien sind, ich bin dort bei einer Freundin untergebracht. Ich benutze die öffentlichen Verkehrsmittel. Aber ich weiss auch, dass beim Railjet, dem ICE zwischen Wien und Zürich, Personal abgebaut wurde. Manchmal rede ich mit den Angestellten, um zu hören, wie der Alltag für sie aussieht.
Fair unterwegs sein heisst für mich auch, zu beobachten, wie sich die Bedingungen für das Zugpersonal in den letzten Jahren verändert haben. Oder für die Tourismusangestellten. Im Gastgewerbe beispielsweise fallen die Lohnkosten zum Gesamtpreis stark ins Gewicht. Es halten sich nur noch die schicken Restaurants mit Haute Cuisine-Gerichten, für die höhere Preise verlangt werden können. Nur so kann die Arbeit bezahlt werden. Die Beizen mit der einfachen Kost verschwinden. Oder sie werden als Franchisebetriebe geführt, in denen MigrantInnen zum Gotteslohn schuften.
Welche Rahmenbedingungen bräuchte es für die arbeitsintensiven Bereiche?
Bevor wir Lösungen finden, müsste zunächst anders über das Problem nachgedacht werden. Die Mehrheit der Wirtschaftsfachleute arbeitet mit irreführenden nationalen Kennzahlen und Durchschnittswerten. Das verstellt den Blick auf die zunehmend ungleiche Verteilung zwischen Wirtschaftsbranchen und Regionen als Resultat technischen Fortschritts in gewissen Bereichen. Die Gewinnmargen sind im Gastgewerbe und im Detailhandel niedrig. Auch Kooperativen kämpfen in arbeitsintensiven Bereichen um genügend hohe Erträge, um existenzsichernden Einkommen gewährleisten zu können.

Aber immerhin müssen Kooperativen keine grossen Gewinnanteile an Investoren abgeben.

Ja, das ist das Problem der Rentenökonomie und der Konzentration von Hotel- Spital- und Homecareanbietern. Die Gewinnmargen sind klein, wenige Topmanager und Besitzer verdienen viel und alle andere wenig. Wir leben zudem in einem System, wo mit Franchising,

Kreditkarten, Internetverkäufen und so weiter immer mehr Geld zu Personen geleitet wird, die dafür nichts tun. Sie installieren eine Art privatisierte Umsatzsteuer, eine neue Art von Rentenökonomie.

Zurück zu den Rahmenbedingungen: Angenommen, das Schweizer Volk würde sich dazu entschliessen, die für die Gesellschaft notwendige aber unrentable Care-Arbeit auch anständig zu vergüten. Müsste der Staat dazu nicht von den rentablen Wirtschaftszweigen Geld abziehen, um es zur Subventionierung dieser Care-Arbeit einzusetzen?

Nein, das ist ein Lieblingsmärchen der Mainstreamökonomie. Durch Kredite wird von privaten Banken ständig neu Geld geschöpft und durch die Zentralbank abgesichert. Historisch gesehen haben Zentralbanken auch für den Staat irre Mengen von Geld geschöpft, wenn es um die Finanzierung von Kriegen und Palästen ging. Der neoliberale Traum ist, dass die Zentralbank nur noch für die Privatwirtschaft und für die Geldstabilität ihrer Geschäfte da ist, nicht für die ganze Gesellschaft. Warum dürfen nur Banken gerettet werden und nicht übermässig verschuldete Staaten oder Haushalte?

Fraglich nur, wie nachhaltig solche Stützungsversuche funktionieren.

Die jetzige Politik ist das Gegenteil von nachhaltig. Im Moment geht es mir mehr um das Verständnis des Problems: Der Überfluss der Produktion von Gütern gegenüber der Verknappung im öffentlichen Bereich, und der Überfluss von Gütern gegenüber der Verknappung personenbezogener Dienstleistungen. Ersteres thematisierte schon Galbraith, letzteres wird noch kaum thematisiert. Das Gastgewerbe und der Detailhandel sollen den Umsatz mit gleich vielen oder weniger Arbeitskräften erhöhen. Das führt zum Beispiel dazu, dass in den Peripherien die Läden und Gasthöfe verschwinden und Jobs wegfallen. Regionalpolitisch ist das eine akute Frage. Im Bergell habe ich mit Ansässigen

geredet, dort ist die Abwanderung dramatisch. Durch Gemeindefusionen spart man öffentliche Arbeitsplätze ein. Spitäler und Schulen werden geschlossen. Die ökonomische Dynamik dahinter: Je mehr technologischer Fortschritt, desto teurer die Arbeit und desto weniger sind die Menschen bereit, diese zu bezahlen. Bis jetzt konnten zudem die ständig sinkenden Güterpreise durch Billigimporte garantiert werden. Oder wie der griechische Ökonom Varoufakis es formulierte: "Das aktuelle Wirtschaftsmodell ist Wall Street und Walmart". Auf die Dauer kann das so nicht weiter gehen.  
Die Gesellschaft kommt nicht um die Frage herum, wie sie die gesellschaftlich notwendige Arbeit bezahlen will. In der Landwirtschaft wurde das schon länger erkannt, denn hier gibt es eine stärkere Lobby. Da ist vor Jahrzehnten klar formuliert worden: Ein Bauerfamilie soll auf ein anständiges Einkommen kommen. Das wird durch Direktzahlungen ermöglicht. So etwas könnte man sich in abgewandelter Form auch im Tourismus überlegen, wo es regionalpolitisch Sinn macht.  
Aber nochmals: Wie soll das finanziert werden?
Geld ist nicht knapp, sondern wird wirtschaftspolitisch knapp gemacht, aber tatsächlich geht es um den Umgang mit der Knappheit von natürlichen Ressourcen und von menschlicher Arbeitskraft und um die Stabilität des Wirtschaftssystems. Das muss der Ausgangspunkt für geld- und finanzpolitische Überlegungen sein. Die Nationalbank könnte anstatt Euros aufzukaufen auch den Schweizer Franken beispielsweise für den Tourismus verbilligen. Das wäre genauer zu diskutieren.
Der Tourismusbranche sprichst du mit solchen Subventionierungsvorschlägen aus der Seele. Findest du es denn unter den gegebenen Rahmenbedingungen unrealistisch, von den Tourismusunternehmen zu fordern, dass sie mehr Verantwortung für die Sozial- und Umweltwirkung ihrer Geschäfte übernehmen, wie wir es tun?
Im kapitalistischen Wirtschaftssystem braucht es immer Gegenmächte, damit es anständig läuft. Als Organisation der Zivilgesellschaft ist es schon richtig, das von den Unternehmen zu fordern. Gleichzeitig braucht es aber eine Debatte darüber, was es bedeutet, wenn wir den Tourismus in der Schweiz wollen. Und was passieren muss, damit der Tourismus nachhaltig und fair stattfinden kann und dann auch stattfindet. Auch für letzteres braucht es 

politischen Druck, damit vorhandene ökonomische Spielräume genutzt werden.
Dabei betrachte ich jetzt eher den Inlandtourismus. Ihr arbeitet ja hauptsächlich zum Outgoing Tourismus.

Und was hältst du vom fairunterwegs-Reiseportal?

Gut, dass es das gibt. Viele informieren sich gerne über Webseiten. Ihr zeigt ihnen gangbare Wege, wie sie besser unterwegs sein können – wobei das Fliegen ein kritischer Punkt bleibt. Ihr könnt auf fairunterwegs auch das Verständnis für die Rahmenbedingungen fördern.       
Richard Parker: John Kenneth Galbraith. His Life. His Politics. His Economics.Paperback. University Of Chicago Press 2006. 862 Seiten, 17.25 US$, ISBN 978-0226646770. In der Schweiz auch als eBook erhältlich.