Fair unterwegs mit Matthias Leisinger, Experte für Nachhaltigkeit von Tourismusunternehmen
Welches Buch führt dich auf die intensivste Reise?
Da fällt mir spontan "Schiffbruch mit Tiger" vom kanadischen Autor Yann Martke ein. Es ist eine Art Dschungelbuch für Erwachsene. Die Geschichte handelt von einer Familie in Pondicherry, die ihren Zoo aus wirtschaftlichen Gründen aufgeben muss und Familie und Tiere auf ein japanisches Schiff zur Überfahrt nach Kanada verfrachten. Der Frachter geht in einem Sturm unter. Nur Pi, der halbwüchsige Sohn des Zoodirektors, ein Zebra, ein Orang-Utan, eine Tüpfelhyäne und ein bengalischer Tiger namens "Richard Parker" entkommen in einem Rettungsboot. Pi, eigentlich Piscine Molitor Patel, erzählt als Erwachsener die Geschichte seiner Jugend und seines Überlebenskampfs in der Retrospektive. Nachdem die Hyäne bereits das Zebra und der Tiger bereits die Hyäne und den Orang Utan gefressen haben, erkennt Pi, dass er, wenn er überleben will, den Tiger dressieren muss. Es ist spannend und berührend geschrieben, lässt die Atmosphäre und die Wetterwechsel ebenso wie die Ambivalenz zwischen Freundschaft und Angst zwischen Tiger und Pi miterleben und zwischendurch in spektakuläre Natur eintauchen. Ich habe das Buch innerhalb eines Tages verschlungen.
Verschaffst du dir hie und da eine Auszeit mit Büchern?
Wenn ich beruflich unterwegs bin, lese ich gerne auch mal einen Krimi zur Ablenkung. Sonst mag ich Bücher mit historischem und politischen Bezug, wie zum Beispiel den "Roman eines Schicksallosen" des ungarischen Literaturnobelpreisträgers Imre Kertéz, der den Alltag im KZ Auschwitz aus der Perspektive eines 15-Jährigen beschreibt, mit seinem Humor und Sarkasmus. Ein solches historisches Reisebuch der anderen Art nimmt mich ganz aus dem Alltag hinaus und setzt diesen in eine neue Perspektive. Ich rege mich dann nicht mehr auf, wenn der Bus fünf Minuten zu spät fährt, sondern werde mir bewusst, wie privilegiert wir mit unseren Luxusproblemen sind. Ich suche mir gerne Bücher aus, die mich entführen und mir etwas vermitteln. Ich freue mich, wenn ich etwas über das Zeitgeschehen lernen kann.
Seit 12 Jahren arbeitest du bei Kuoni und versuchst dort auch eine neue Perspektive ins Geschäft hineinzubringen.
Das kann man so sagen. Ich versuche Themen auf die Agenda zu setzen, die nicht per se immer zuoberst auf der Agenda des Unternehmens sind. Die Herausforderung besteht darin,
das Verständnis dafür zu schaffen, dass Themen wie Soziale Verantwortung, Umweltschutz oder die faire Ausgestaltung der Wertschöpfungskette wichtige Faktoren für den langfristigen Geschäftserfolg sind. Es geht sicher um andere Perspektiven, auch Werthaltungen. Aber es geht vor allem auch darum, zusammen mit den Mitarbeitenden des Unternehmens pragmatische Lösungen zu suchen.
Für den so genannten Business Case, also den Vorteil der Nachhaltigkeitsveranwortung für den Geschäftsverlauf, werden seit über einem Jahrzehnt immer wieder wissenschaftliche Belege vorgelegt. Sie zeigen auch, dass der Business Case nur realisiert wird, wo diese Verantwortung wirklich ernst gemeint und nicht bloss Tünche ist.
Genau deshalb ist es so wichtig, diese Sozial- und Umweltverantwortung richtig in die Kernprozesse des Unternehmens zu integrieren. Eine schöne Stabstelle oder ein Projekt reichen nicht. Jedes Nachhaltigkeitsthema hat Konsequenzen für den Einkauf, das Marketing, das Personalwesen und muss wie andere Themen zu einem Bestandteil der Entscheidungen in den Kernprozessen werden. Das braucht Ausdauer, gute Argumente, Schulung, Sensibilierung, internen Dialog.
Gibt es ein Highlight, wenn Du auf deine Tätigkeit bei Kuoni zurückblickst?
Ein Highlight war sicher die Lancierung der ersten fairen Reise, die durch die Partnerschaft unseres Unternehmens mit dem Staatssekretariat für Wirtschaft, mit euch und mit der südafrikanischen Organisation Fair Trade Tourism möglich wurde. Es ist ein Beispiel für die wichtige Bedeutung, die NGOs im Nachhaltigkeitsprozess spielen können. ich konnte beobachten, dass die Dialogbereitschaft auf beiden Seiten zugenommen hat. Mit dem Roundtable Menschenrechte im Tourismus ist eine weitere Multistakeholderinitiative entstanden, die vom Willen angetrieben ist, gemeinsam Lösungen zu erarbeiten. Das erfordert das Bewusstsein, dass man mehr erreicht, wenn man die Bedürfnisse der anderen Seite wahr- und ernstnimmt, als durch Konfrontation.
Mit Stolz erfüllt mich die gesamte Entwicklung der Nachhaltigkeit bei Kuoni der letzten zwölf Jahre: 2003 begannen wir mit der ISO 14’000 Zertifizierung fürs Umweltmanagment, dann bauten wir ein Nachhaltigkeits-Managementsystem für die Schweiz, dann für die ganze Gruppe auf. Wir versuchten in der Folge Themen wie Umweltverantwortung, faire
Arbeitsbedingungen und Kinderschutz konsequent in die Wertschöpfungskette zu integrieren. Hierzu hat Kuoni auch einen wichtigen Beitrag durch den Aufbau des Travelife Systems geleistet, eine Zertifizeriung für Hotels. Das Verständnis für Corporate Responsibility auf allen Stufen des Unternehmens ist in den Jahren stetig gewachsen, die Verankerung im Unternehmen auf allen Hierarchiestufen weit fortgeschritten.
Ein heikles Thema sind immer wieder die Arbeitsbedingungen. Zum Beispiel beim Hotelpersonal, das immer öfter von Subunternehmen unter Vertrag genommen wird, oder bei Busfahrern.
Es gibt bei den Hotels eine steigende Tendenz zum Outsourcing. Dabei verlieren die Reiseveranstalter zunehmend die Kontrolle über die Arbeitsbedingungen in der Wertschöpfungskette. Eine Lösung kann sein, sich darauf zu konzentrieren "good at best practice" zu sein, sich also im Branchenvergleich am vorbildlichsten Verhalten zu orientieren. Das Branchenproblem ist der Preisdruck: nicht mehr die beste Qualität ist gefragt sondern das Billigste. Um dieser Tendenz entgegenzutreten, muss man Themen verlinken: Nicht nur von Menschenrechten und Arbeitsbedingungen reden, sondern von Produktqualität und von Sicherheit der Kunden. Wenn Themen so verknüpft werden, ist es einfacher, sie intern zu verkaufen und in bestehende Safety- oder Produktstrategien zu integrieren.
Funktioniert das auch, wenn es um die Überwindung der gewerkschaftsfeindlichen Haltung geht?
Nicht die ganze Tourismusbranche ist gewerkschaftsfeindlich, es kommt auf die Rahmenbedingungen im jeweiligen Land an. In einigen Ländern ist ja die Einrichtung von Betriebsräten gar vorgeschrieben, in anderen Ländern wie etwa den Malediven müssen Gewerkschafter mit Repressalien der Regierung rechnen. Die Piloten in Deutschland sind gut organisiert, wie der Streik letzthin wieder gezeigt hat, die Hotelangestellten in England weniger. Der Tourismus schafft Arbeit im Tieflohnsektor, die häufig von Arbeitsmigranten mit unsicherem Aufenhaltsstatus geleistet wird. Wir haben viel darüber diskutiert, wie man als Arbeitgeber attraktiv sein kann. Auch hier ist Aufklärung wichtig. Es gibt Studien, die belegen, dass sich gute Arbeitsbedingungen in guter Produktqualität äussern. Und gute Arbeitgeber haben auch loyalere Mitarbeitende, die zudem weniger oft krank sind. Die Fragmentierung der Branche mit dem Outsourcing ist ein Systemproblem. Da stellt sich zunehmend die Frage, wie weit die Verantwortung des Hotels reicht, und die des Reiseveranstalters. Die Herausforderungen werden grösser.
Zum Thema fair unterwegs sein: Wo brennt bei dir das Hauptfeuer?
Bei mir ist der Begriff eng verknüpft mit lokaler Verbundenheit und Austausch mit der lokalen Bevölkerung – soweit es sprachlich möglich ist. Ich bevorzuge kleine, im Besitz der Einheimischen befindliche Hotels, weil das die lokale Wirtschaft stärkt. Reisende haben einen grossen Einfluss mit ihrem Verhalten vor Ort. Sie können lokale Lebensmittel konsumieren, regionales Essen geniessen. Ich probiere gerne Neues aus, Reisen sind für mich auch mit kulinarischen Entdeckungen verbunden. Soweit ich kann, verzichte ich auch auf Flugreisen und reise innerhalb eines Landes lieber mit dem Zug. Da komme ich auch einfacher mit den Menschen in Kontakt.
Du sitzest im Beirat von fairunterwegs.org. Was bedeutet für dich das Portal?
Ich nutze den Riesenfundus an Information beruflich wie privat regelmässig. Und ich mache im Unternehmen immer wieder auf fairunterwegs als das Infoportal zu Nachhaltigkeit im Tourismus aufmerksam – DAS grossgeschrieben!
Buchempfehlungen:
Yann Martel: Schiffbruch mit Tiger, Roman. Übersetzung von Manfred Allie und Gabriele Kempf-Allie. Ausgezeichnet mit dem Booker Prize 2002 und dem Deutschen Bücherpreis, Kategorie Internationale Belletristik 2004. Fischer Taschenbuch, Frankfurt 2004 (19. Auflage); 381 Seiten, CHF 14.90, EUR 9,95; ISBN 978-3-596-15665-8
Imre Kertéz: Roman eines Schicksallosen. Übersetzung von Christine Viragh. Rohwolt Taschenbuch, Reinbek 1999; 286 Seiten, CHF 14.90, EUR 9,99; ISBN 978-3-499-22576-5
das Verständnis dafür zu schaffen, dass Themen wie Soziale Verantwortung, Umweltschutz oder die faire Ausgestaltung der Wertschöpfungskette wichtige Faktoren für den langfristigen Geschäftserfolg sind. Es geht sicher um andere Perspektiven, auch Werthaltungen. Aber es geht vor allem auch darum, zusammen mit den Mitarbeitenden des Unternehmens pragmatische Lösungen zu suchen.
Für den so genannten Business Case, also den Vorteil der Nachhaltigkeitsveranwortung für den Geschäftsverlauf, werden seit über einem Jahrzehnt immer wieder wissenschaftliche Belege vorgelegt. Sie zeigen auch, dass der Business Case nur realisiert wird, wo diese Verantwortung wirklich ernst gemeint und nicht bloss Tünche ist.
Genau deshalb ist es so wichtig, diese Sozial- und Umweltverantwortung richtig in die Kernprozesse des Unternehmens zu integrieren. Eine schöne Stabstelle oder ein Projekt reichen nicht. Jedes Nachhaltigkeitsthema hat Konsequenzen für den Einkauf, das Marketing, das Personalwesen und muss wie andere Themen zu einem Bestandteil der Entscheidungen in den Kernprozessen werden. Das braucht Ausdauer, gute Argumente, Schulung, Sensibilierung, internen Dialog.
Gibt es ein Highlight, wenn Du auf deine Tätigkeit bei Kuoni zurückblickst?
Ein Highlight war sicher die Lancierung der ersten fairen Reise, die durch die Partnerschaft unseres Unternehmens mit dem Staatssekretariat für Wirtschaft, mit euch und mit der südafrikanischen Organisation Fair Trade Tourism möglich wurde. Es ist ein Beispiel für die wichtige Bedeutung, die NGOs im Nachhaltigkeitsprozess spielen können. ich konnte beobachten, dass die Dialogbereitschaft auf beiden Seiten zugenommen hat. Mit dem Roundtable Menschenrechte im Tourismus ist eine weitere Multistakeholderinitiative entstanden, die vom Willen angetrieben ist, gemeinsam Lösungen zu erarbeiten. Das erfordert das Bewusstsein, dass man mehr erreicht, wenn man die Bedürfnisse der anderen Seite wahr- und ernstnimmt, als durch Konfrontation.
Mit Stolz erfüllt mich die gesamte Entwicklung der Nachhaltigkeit bei Kuoni der letzten zwölf Jahre: 2003 begannen wir mit der ISO 14’000 Zertifizierung fürs Umweltmanagment, dann bauten wir ein Nachhaltigkeits-Managementsystem für die Schweiz, dann für die ganze Gruppe auf. Wir versuchten in der Folge Themen wie Umweltverantwortung, faire
Arbeitsbedingungen und Kinderschutz konsequent in die Wertschöpfungskette zu integrieren. Hierzu hat Kuoni auch einen wichtigen Beitrag durch den Aufbau des Travelife Systems geleistet, eine Zertifizeriung für Hotels. Das Verständnis für Corporate Responsibility auf allen Stufen des Unternehmens ist in den Jahren stetig gewachsen, die Verankerung im Unternehmen auf allen Hierarchiestufen weit fortgeschritten.
Ein heikles Thema sind immer wieder die Arbeitsbedingungen. Zum Beispiel beim Hotelpersonal, das immer öfter von Subunternehmen unter Vertrag genommen wird, oder bei Busfahrern.
Es gibt bei den Hotels eine steigende Tendenz zum Outsourcing. Dabei verlieren die Reiseveranstalter zunehmend die Kontrolle über die Arbeitsbedingungen in der Wertschöpfungskette. Eine Lösung kann sein, sich darauf zu konzentrieren "good at best practice" zu sein, sich also im Branchenvergleich am vorbildlichsten Verhalten zu orientieren. Das Branchenproblem ist der Preisdruck: nicht mehr die beste Qualität ist gefragt sondern das Billigste. Um dieser Tendenz entgegenzutreten, muss man Themen verlinken: Nicht nur von Menschenrechten und Arbeitsbedingungen reden, sondern von Produktqualität und von Sicherheit der Kunden. Wenn Themen so verknüpft werden, ist es einfacher, sie intern zu verkaufen und in bestehende Safety- oder Produktstrategien zu integrieren.
Funktioniert das auch, wenn es um die Überwindung der gewerkschaftsfeindlichen Haltung geht?
Nicht die ganze Tourismusbranche ist gewerkschaftsfeindlich, es kommt auf die Rahmenbedingungen im jeweiligen Land an. In einigen Ländern ist ja die Einrichtung von Betriebsräten gar vorgeschrieben, in anderen Ländern wie etwa den Malediven müssen Gewerkschafter mit Repressalien der Regierung rechnen. Die Piloten in Deutschland sind gut organisiert, wie der Streik letzthin wieder gezeigt hat, die Hotelangestellten in England weniger. Der Tourismus schafft Arbeit im Tieflohnsektor, die häufig von Arbeitsmigranten mit unsicherem Aufenhaltsstatus geleistet wird. Wir haben viel darüber diskutiert, wie man als Arbeitgeber attraktiv sein kann. Auch hier ist Aufklärung wichtig. Es gibt Studien, die belegen, dass sich gute Arbeitsbedingungen in guter Produktqualität äussern. Und gute Arbeitgeber haben auch loyalere Mitarbeitende, die zudem weniger oft krank sind. Die Fragmentierung der Branche mit dem Outsourcing ist ein Systemproblem. Da stellt sich zunehmend die Frage, wie weit die Verantwortung des Hotels reicht, und die des Reiseveranstalters. Die Herausforderungen werden grösser.
Zum Thema fair unterwegs sein: Wo brennt bei dir das Hauptfeuer?
Bei mir ist der Begriff eng verknüpft mit lokaler Verbundenheit und Austausch mit der lokalen Bevölkerung – soweit es sprachlich möglich ist. Ich bevorzuge kleine, im Besitz der Einheimischen befindliche Hotels, weil das die lokale Wirtschaft stärkt. Reisende haben einen grossen Einfluss mit ihrem Verhalten vor Ort. Sie können lokale Lebensmittel konsumieren, regionales Essen geniessen. Ich probiere gerne Neues aus, Reisen sind für mich auch mit kulinarischen Entdeckungen verbunden. Soweit ich kann, verzichte ich auch auf Flugreisen und reise innerhalb eines Landes lieber mit dem Zug. Da komme ich auch einfacher mit den Menschen in Kontakt.
Du sitzest im Beirat von fairunterwegs.org. Was bedeutet für dich das Portal?
Ich nutze den Riesenfundus an Information beruflich wie privat regelmässig. Und ich mache im Unternehmen immer wieder auf fairunterwegs als das Infoportal zu Nachhaltigkeit im Tourismus aufmerksam – DAS grossgeschrieben!
Buchempfehlungen:
Yann Martel: Schiffbruch mit Tiger, Roman. Übersetzung von Manfred Allie und Gabriele Kempf-Allie. Ausgezeichnet mit dem Booker Prize 2002 und dem Deutschen Bücherpreis, Kategorie Internationale Belletristik 2004. Fischer Taschenbuch, Frankfurt 2004 (19. Auflage); 381 Seiten, CHF 14.90, EUR 9,95; ISBN 978-3-596-15665-8
Imre Kertéz: Roman eines Schicksallosen. Übersetzung von Christine Viragh. Rohwolt Taschenbuch, Reinbek 1999; 286 Seiten, CHF 14.90, EUR 9,99; ISBN 978-3-499-22576-5