Welches Buch führt Sie auf die intensivste Reise?

Einer meiner Lieblingsautoren ist Umberto Eco. Schon als Jugendlicher begeisterte mich "Der Name der Rose". Der Krimi spielt im 14. Jahrhundert. Ein scharfsinniger Franziskanermönch und sein junger Gefolgsmann versuchen eine Mordserie in einer mittelalterlichen Benediktinerabtei aufzuklären. Sie entdecken gelebte und ungelebte Lüste, bahnbrechende Werke aus alter Zeit und einen Bibliothekar, der Wissen für gefährlich hält. Der Plot des Buches funktioniert, es ist packend geschrieben und voller literarischer Anspielungen. Der Roman versetzt mich ins Spätmittelalter mit seinen politischen, sozialen und religiösen Konflikten. So ging es mir auch mit dem Roman "Das Foucaultsche Pendel". Er handelt von gefährlichen Eigendynamiken, die Verschwörungstheorien entfachen können. Auch alle späteren Werke von Eco vermochten mich mitzureissen.

Seit ich mich häufiger in New York aufhalte, interessiere ich mich vermehrt für die Werke von Intellektuellen der Vereinigten Staaten wie Jonathan Franzen. In seinem Roman "The Corrections" zeichnet er das Porträt der Familie Lambert und die familiären Herausforderungen in den postmodernen USA.

Diese Romane entwerfen alle eher eine schreckliche Welt, eine Dystopie. Sie vertraten die Schweiz in den Verhandlungen zur Agenda 2030. Diese könnte man als Utopie bezeichnen.

Ich verliere mich nicht in Dystopien, ich lese auch Bücher zum Schmunzeln.
Die Agenda 2030 nenne ich eine "realistische Utopie". Sie ist geleitet von der Vision einer gerechteren Welt, in der alle Menschen ein gutes Leben führen können und gleichzeitig die natürlichen Grenzen der Erde respektiert werden. 

Der Weg zur Realisierung dieser Vision wird mit den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung und ihren 169 Unterzielen vorgegeben. Sie sind ambitiös. Aber sie sind erreichbar, wenn alle dazu beitragen. Immerhin haben sich im letzten September 193 Staaten verpflichtet, die Ziele bis 2030 zu erreichen. Mehr als 140 Staats- und Regierungschefs waren persönlich präsent zur Verabschiedung der Agenda – so viele wie noch nie an einem UNO-Gipfeltreffen in New York.

Wie war es möglich, für ein solch umfassendes Programm für nachhaltige Entwicklung eine Mehrheit zu finden?

Einerseits durch das geeignete politische Momentum, andererseits durch eine neuartige Form der Verhandlungsführung. Zunächst kam eine zwischenstaatliche Arbeitsgruppe zusammen, in der 70 Länder vertreten waren. Sie war auch offen für die Zivilgesellschaft, Wissenschaft und die Wirtschaft. Am Anfang wurde eine Auslegeordnung gemacht und Fachleute gaben Inputs. Auf dieser Grundlage erstellten die Verhandlungsleiter die Verhandlungsvorlage und erst danach gingen die Verhandlungen über den Zielkatalog richtig los. Das war faszinierend, manchmal aber auch frustrierend. Bei vielen Beobachtern und Verhandlern kam immer wieder das Gefühl auf, man werde sich nie einigen.

Was hat den Ausschlag gegeben, dass es doch noch geklappt hat?

Es gab an vielen Fronten Konflikte, Barrieren und Verhandlungsblockaden. Die Stimmung war so, dass die Länder hier unbedingt ein Resultat wollten. Sie waren bereit, dafür Kompromisse zu machen. Dass die Agenda rechtlich unverbindlich ist, spielte wohl auch eine Rolle. Die beiden Verhandlungsleiter gingen methodisch geschickt vor. Dem bereits verhandelten Vorschlag der offenen Arbeitsgruppe konnten sich die Länder in den anschliessenden zwischenstaatlichen Verhandlungen nicht einfach entziehen. So ging es danach eher noch um Gewichtungen. Wo die Verhandlungen am schwierigsten waren, wurde in Kleingruppen um Lösungen gerungen. Die Schweiz leitete diejenigen Gruppen zum Thema Wasser sowie zu Monitoring und Überprüfung der Finanzierung.
Nach fast drei Jahren des Ringens und Feilschens konnten die Verhandlungen am 2. August 2015 endlich abgeschlossen werden. Zur Überraschung von Ländern wie den USA wollten grosse Ländergruppen den Vorschlag der offenen Arbeitsgruppe nicht mehr antasten, weshalb dieser am Schluss von der Generalversammlung fast vollständig übernommen wurde.

Dient diese Form der Verhandlungsführung als Vorbild für künftige Verhandlungen?

Die Idee der offenen Arbeitsgruppe mit dynamischer Verhandlungsführung hat sich seither verbreitet. In Rom wird zurzeit zum Beispiel nach diesem Muster über die Überprüfung der Agenda 2030 im Bereich der Ernährung und Landwirtschaft verhandelt. Allgemein wird nicht-staatlichen Akteuren in UNO-Verhandlungen, etwa zu Entwicklung oder Menschenrechten, inzwischen mehr Platz eingeräumt.

Klingt fair. Aber was heisst für Sie fair unterwegs sein?

Es bedeutet, selbst diese Nachhaltigkeitsziele auch zu leben, überall, wo wir etwas beeinflussen können: Den ökologischen Fussabdruck klein halten. Unternehmen bevorzugen, die fair arbeiten und in denen zu fairen Bedingungen gearbeitet wird. Öffentliche Verkehrsmittel nutzen. Privat versuche ich so zu leben. Beruflich ist mein ökologischer Fussabdruck immens. Vor allem die Fliegerei ist das Problem. Immerhin wird der CO2-Ausstoss unserer Flüge kompensiert.

In der Agenda 2030 findet der Tourismus besondere Erwähnung. Warum?

Beim Tourismus kommen alle 17 Ziele zusammen. Soziale Ziele wie Arbeitsbedingungen oder Gleichberechtigung von Frauen, ökologische Ziele wie Wasser und Artenschutz. Tourismusunternehmen sollten die Ziele als Leitplanken verstehen, an denen sie sich orientieren. Für einige engagierte Betriebe ist das nicht neu. Aber es geht nicht nur um einzelne Betriebe, sondern um nachhaltige Produktionsmuster in der ganzen Branche. Das betrifft auch Dinge wie das Beschaffungswesen oder der Umgang mit Abfall. Der Konsum soll ebenfalls nachhaltiger werden.

Ein Ziel lautet, nachhaltigen Tourismus zu fördern. Das kann man mit verschiedenen Ohren hören: Die einen hören "Nachhaltigkeit fördern im Tourismus", die anderen hören vor allem "Tourismus fördern". Was meinen Sie dazu?

Der Tourismus, wie er heute praktiziert wird, muss vor allem seinen ökologischen Fussabdruck reduzieren und die sozialen Bedingungen verbessern. Daran muss sich jedes Tourismusunternehmen messen. Ideal wäre, wenn nur noch Formen von Tourismus gefördert würden, die tatsächlich zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen.

Worin liegen die Stärken der Agenda 2030?

Die Agenda 2030 gilt universell für alle Länder, alle Akteure – auch wenn die Verantwortung letzlich bei den Regierungen liegt. Das ist ein Fortschritt. Es geht nicht mehr bloss darum, dass reiche Länder Entwicklungshilfe an arme Länder geben. Sondern die Industrieländer müssen jetzt ihre eigene Wirkung auf die Welt anschauen. Da gibt es einigen Nachholbedarf.
Eine zweite Stärke liegt im integrativen Charakter: Die soziale, die wirtschaftliche und die ökologische Dimensionen sowie die 17 Ziele und 169 Unterziele bilden ein Ganzes. Wird ein Unterziel gefördert, zum Beispiel Ernährung, so beeinflusst dies automatisch auch andere Ziele, zum Beispiel im Bereich Wasser. Bislang wurde in mehr oder weniger isolierten Bereichen gedacht und gearbeitet. Die Agenda zwingt uns, dieses Silodenken zu überwinden und andere Herangehensweisen zu lernen.

Die Agenda 2030 liegt auf dem Tisch. Eine Schweizer Strategie dazu liegt vor. Gleichzeitig diskutiert das Parlament über drastische Kürzungen im Entwicklungs- und Bildungsbereich. Haben Sie in den Verhandlungen zur "Agenda 2030" am Volk vorbeipolitisiert?

Es gab noch nie einen so offenen und so globalen Konsultations- und Verhandlungsprozess. Überall auf der Welt gab es Befragungen, was die Menschen wollen. Natürlich kann man sich fragen, welche Reichweite ein solcher Prozess trotz Offenheit tatsächlich hat. In der Schweiz hat sich ein zwar kleiner, aber interessierter Teil der Bevölkerung von Anfang an aktiv eingebracht. Auch jetzt besteht noch die Möglichkeit: In den nächsten zwei Jahren wird die Schweiz beschliessen, welche Massnahmen sie ergreift, um zur Erfüllung der Ziele beizutragen. Durch die Mitarbeit aller erhält die Agenda 2030 mehr Gewicht und Legitimität. Die Schweiz ist hier Vorreiterin, denn sie hat das immer schon so gemacht. In anderen Ländern ist das schwieriger, weil eine solche aktive Beteiligung des Volkes neu ist.

Nachhaltige Konsummuster sollen gefördert werden. Aber in der Agenda steht kaum, was damit gemeint ist. Reicht es, dass wir bio und fair einkaufen, oder bedeutet es auch, dass wir unseren Konsum zurückfahren müssen?

Dazu gibt es verschiedene Meinungen. Die einen sagen, es ist unumgänglich, dass wir weniger konsumieren. Andere glauben, dass es reicht, wenn wir Produkte konsumieren, bei denen von der Produktion bis zum Recycling alles energie- und ressourceneffizient gemacht wird. Ich meine: Es braucht noch viel Aufklärung. Wir müssen alles anschauen vom Ursprung der Rohstoffe, über das Produkt auf dem Ladentisch, bis hin zu Menge und Preis. Es darf auch nicht sein, dass nur Reiche sich nachhaltige Produkte leisten können und für die Ärmeren die Import-Massenware bleibt.
Im Tourismus braucht es mehr Angebote mit sozialem und ökologischem Mehrwert. Aber nicht nur das: Dieser Mehrwert soll auch klar ausgewiesen sein. Und schliesslich geht es auch darum, wie man das kommuniziert, wie die Reisenden und Konsumierende überhaupt sensibilisiert werden können.

Ist das fairunterwegs-Portal darauf die richtige Antwort?

Fairunterwegs ist genau der richtige Ansatz. Es müsste viel mehr Initiativen wie diese geben. Ihr macht bekannt, was es gibt. Ihr sensibilisiert für die Wirkungen des Tourismus und ihr motiviert Reisende, neue, nachhaltige Reiseformen und -angebote auszuprobieren.

Buchtipps von Botschafter Michael GerberUmberto Eco: Der Name der Rose. dtv Taschenbuch, München 2008. Aus dem Italienischen von Burkhart Kroeber. 688 Seiten. CHF 14.90, EUR 10.95 (D), 11.30 (A), ISBN 978-3-423-21079-9.

Umberto Eco: Das Foucaultsche Pendel, dtv Taschenbuch, München 1992. Aus dem Italienischen von Burkhart Kroeber. 848 Seiten. CHF 15.90, EUR 12.90 (D), 13.30 (A), ISBN 978-3-423-11581-0.
Jonathan Franzen: Die Korrekturen. Roman. Aus dem Amerikanischen von Bettina Abarbanell. Rowohlt Verlag, Reinbek 2002. Gebunden, 736 Seiten, 24,90 EUR. ISBN 9783498020866.

Seit ich mich häufiger in New York aufhalte, interessiere ich mich vermehrt für die Werke von Intellektuellen der Vereinigten Staaten wie Jonathan Franzen. In seinem Roman "The Corrections" zeichnet er das Porträt der Familie Lambert und die familiären Herausforderungen in den postmodernen USA.

Diese Romane entwerfen alle eher eine schreckliche Welt, eine Dystopie. Sie vertraten die Schweiz in den Verhandlungen zur Agenda 2030. Diese könnte man als Utopie bezeichnen.

Ich verliere mich nicht in Dystopien, ich lese auch Bücher zum Schmunzeln.
Die Agenda 2030 nenne ich eine "realistische Utopie". Sie ist geleitet von der Vision einer gerechteren Welt, in der alle Menschen ein gutes Leben führen können und gleichzeitig die natürlichen Grenzen der Erde respektiert werden. 

Der Weg zur Realisierung dieser Vision wird mit den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung und ihren 169 Unterzielen vorgegeben. Sie sind ambitiös. Aber sie sind erreichbar, wenn alle dazu beitragen. Immerhin haben sich im letzten September 193 Staaten verpflichtet, die Ziele bis 2030 zu erreichen. Mehr als 140 Staats- und Regierungschefs waren persönlich präsent zur Verabschiedung der Agenda – so viele wie noch nie an einem UNO-Gipfeltreffen in New York.

Wie war es möglich, für ein solch umfassendes Programm für nachhaltige Entwicklung eine Mehrheit zu finden?

Einerseits durch das geeignete politische Momentum, andererseits durch eine neuartige Form der Verhandlungsführung. Zunächst kam eine zwischenstaatliche Arbeitsgruppe zusammen, in der 70 Länder vertreten waren. Sie war auch offen für die Zivilgesellschaft, Wissenschaft und die Wirtschaft. Am Anfang wurde eine Auslegeordnung gemacht und Fachleute gaben Inputs. Auf dieser Grundlage erstellten die Verhandlungsleiter die Verhandlungsvorlage und erst danach gingen die Verhandlungen über den Zielkatalog richtig los. Das war faszinierend, manchmal aber auch frustrierend. Bei vielen Beobachtern und Verhandlern kam immer wieder das Gefühl auf, man werde sich nie einigen.

Was hat den Ausschlag gegeben, dass es doch noch geklappt hat?

Es gab an vielen Fronten Konflikte, Barrieren und Verhandlungsblockaden. Die Stimmung war so, dass die Länder hier unbedingt ein Resultat wollten. Sie waren bereit, dafür Kompromisse zu machen. Dass die Agenda rechtlich unverbindlich ist, spielte wohl auch eine Rolle. Die beiden Verhandlungsleiter gingen methodisch geschickt vor. Dem bereits verhandelten Vorschlag der offenen Arbeitsgruppe konnten sich die Länder in den anschliessenden zwischenstaatlichen Verhandlungen nicht einfach entziehen. So ging es danach eher noch um Gewichtungen. Wo die Verhandlungen am schwierigsten waren, wurde in Kleingruppen um Lösungen gerungen. Die Schweiz leitete diejenigen Gruppen zum Thema Wasser sowie zu Monitoring und Überprüfung der Finanzierung.
Nach fast drei Jahren des Ringens und Feilschens konnten die Verhandlungen am 2. August 2015 endlich abgeschlossen werden. Zur Überraschung von Ländern wie den USA wollten grosse Ländergruppen den Vorschlag der offenen Arbeitsgruppe nicht mehr antasten, weshalb dieser am Schluss von der Generalversammlung fast vollständig übernommen wurde.

Dient diese Form der Verhandlungsführung als Vorbild für künftige Verhandlungen?

Die Idee der offenen Arbeitsgruppe mit dynamischer Verhandlungsführung hat sich seither verbreitet. In Rom wird zurzeit zum Beispiel nach diesem Muster über die Überprüfung der Agenda 2030 im Bereich der Ernährung und Landwirtschaft verhandelt. Allgemein wird nicht-staatlichen Akteuren in UNO-Verhandlungen, etwa zu Entwicklung oder Menschenrechten, inzwischen mehr Platz eingeräumt.

Klingt fair. Aber was heisst für Sie fair unterwegs sein?

Es bedeutet, selbst diese Nachhaltigkeitsziele auch zu leben, überall, wo wir etwas beeinflussen können: Den ökologischen Fussabdruck klein halten. Unternehmen bevorzugen, die fair arbeiten und in denen zu fairen Bedingungen gearbeitet wird. Öffentliche Verkehrsmittel nutzen. Privat versuche ich so zu leben. Beruflich ist mein ökologischer Fussabdruck immens. Vor allem die Fliegerei ist das Problem. Immerhin wird der CO2-Ausstoss unserer Flüge kompensiert.

In der Agenda 2030 findet der Tourismus besondere Erwähnung. Warum?

Beim Tourismus kommen alle 17 Ziele zusammen. Soziale Ziele wie Arbeitsbedingungen oder Gleichberechtigung von Frauen, ökologische Ziele wie Wasser und Artenschutz. Tourismusunternehmen sollten die Ziele als Leitplanken verstehen, an denen sie sich orientieren. Für einige engagierte Betriebe ist das nicht neu. Aber es geht nicht nur um einzelne Betriebe, sondern um nachhaltige Produktionsmuster in der ganzen Branche. Das betrifft auch Dinge wie das Beschaffungswesen oder der Umgang mit Abfall. Der Konsum soll ebenfalls nachhaltiger werden.

Ein Ziel lautet, nachhaltigen Tourismus zu fördern. Das kann man mit verschiedenen Ohren hören: Die einen hören "Nachhaltigkeit fördern im Tourismus", die anderen hören vor allem "Tourismus fördern". Was meinen Sie dazu?

Der Tourismus, wie er heute praktiziert wird, muss vor allem seinen ökologischen Fussabdruck reduzieren und die sozialen Bedingungen verbessern. Daran muss sich jedes Tourismusunternehmen messen. Ideal wäre, wenn nur noch Formen von Tourismus gefördert würden, die tatsächlich zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen.

Worin liegen die Stärken der Agenda 2030?

Die Agenda 2030 gilt universell für alle Länder, alle Akteure – auch wenn die Verantwortung letzlich bei den Regierungen liegt. Das ist ein Fortschritt. Es geht nicht mehr bloss darum, dass reiche Länder Entwicklungshilfe an arme Länder geben. Sondern die Industrieländer müssen jetzt ihre eigene Wirkung auf die Welt anschauen. Da gibt es einigen Nachholbedarf.
Eine zweite Stärke liegt im integrativen Charakter: Die soziale, die wirtschaftliche und die ökologische Dimensionen sowie die 17 Ziele und 169 Unterziele bilden ein Ganzes. Wird ein Unterziel gefördert, zum Beispiel Ernährung, so beeinflusst dies automatisch auch andere Ziele, zum Beispiel im Bereich Wasser. Bislang wurde in mehr oder weniger isolierten Bereichen gedacht und gearbeitet. Die Agenda zwingt uns, dieses Silodenken zu überwinden und andere Herangehensweisen zu lernen.

Die Agenda 2030 liegt auf dem Tisch. Eine Schweizer Strategie dazu liegt vor. Gleichzeitig diskutiert das Parlament über drastische Kürzungen im Entwicklungs- und Bildungsbereich. Haben Sie in den Verhandlungen zur "Agenda 2030" am Volk vorbeipolitisiert?

Es gab noch nie einen so offenen und so globalen Konsultations- und Verhandlungsprozess. Überall auf der Welt gab es Befragungen, was die Menschen wollen. Natürlich kann man sich fragen, welche Reichweite ein solcher Prozess trotz Offenheit tatsächlich hat. In der Schweiz hat sich ein zwar kleiner, aber interessierter Teil der Bevölkerung von Anfang an aktiv eingebracht. Auch jetzt besteht noch die Möglichkeit: In den nächsten zwei Jahren wird die Schweiz beschliessen, welche Massnahmen sie ergreift, um zur Erfüllung der Ziele beizutragen. Durch die Mitarbeit aller erhält die Agenda 2030 mehr Gewicht und Legitimität. Die Schweiz ist hier Vorreiterin, denn sie hat das immer schon so gemacht. In anderen Ländern ist das schwieriger, weil eine solche aktive Beteiligung des Volkes neu ist.

Nachhaltige Konsummuster sollen gefördert werden. Aber in der Agenda steht kaum, was damit gemeint ist. Reicht es, dass wir bio und fair einkaufen, oder bedeutet es auch, dass wir unseren Konsum zurückfahren müssen?

Dazu gibt es verschiedene Meinungen. Die einen sagen, es ist unumgänglich, dass wir weniger konsumieren. Andere glauben, dass es reicht, wenn wir Produkte konsumieren, bei denen von der Produktion bis zum Recycling alles energie- und ressourceneffizient gemacht wird. Ich meine: Es braucht noch viel Aufklärung. Wir müssen alles anschauen vom Ursprung der Rohstoffe, über das Produkt auf dem Ladentisch, bis hin zu Menge und Preis. Es darf auch nicht sein, dass nur Reiche sich nachhaltige Produkte leisten können und für die Ärmeren die Import-Massenware bleibt.
Im Tourismus braucht es mehr Angebote mit sozialem und ökologischem Mehrwert. Aber nicht nur das: Dieser Mehrwert soll auch klar ausgewiesen sein. Und schliesslich geht es auch darum, wie man das kommuniziert, wie die Reisenden und Konsumierende überhaupt sensibilisiert werden können.

Ist das fairunterwegs-Portal darauf die richtige Antwort?

Fairunterwegs ist genau der richtige Ansatz. Es müsste viel mehr Initiativen wie diese geben. Ihr macht bekannt, was es gibt. Ihr sensibilisiert für die Wirkungen des Tourismus und ihr motiviert Reisende, neue, nachhaltige Reiseformen und -angebote auszuprobieren.

Buchtipps von Botschafter Michael GerberUmberto Eco: Der Name der Rose. dtv Taschenbuch, München 2008. Aus dem Italienischen von Burkhart Kroeber. 688 Seiten. CHF 14.90, EUR 10.95 (D), 11.30 (A), ISBN 978-3-423-21079-9.

Umberto Eco: Das Foucaultsche Pendel, dtv Taschenbuch, München 1992. Aus dem Italienischen von Burkhart Kroeber. 848 Seiten. CHF 15.90, EUR 12.90 (D), 13.30 (A), ISBN 978-3-423-11581-0.
Jonathan Franzen: Die Korrekturen. Roman. Aus dem Amerikanischen von Bettina Abarbanell. Rowohlt Verlag, Reinbek 2002. Gebunden, 736 Seiten, 24,90 EUR. ISBN 9783498020866.