Welches Buch entführt dich auf die schönste Reise?

Ich bin eine Vielleserin und lese meist mehrere Bücher parallel, Fachliteratur neben Belletristik. Ich versuche mich in der Schweizer Literatur auf dem Laufenden zu halten. Aber ich habe eine Lieblings-Schriftstellerin: Maja Beutler. Ihre Texte führen mitten ins Leben und sind immer auch Widerstand gegen den Tod, dem sie als Krebspatientin immer wieder das Leben abringt. Ihr Roman "Fuss fassen" zeugt davon, aber auch ihr neuestes Buch "Schwarzer Schnee". Es ist beeindruckend, wie sie alle Tonlagen des Menschseins beherrscht.
Daneben lese ich gerne Autorinnen der früheren DDR: z. B. Monika Maron, In "Flugasche" schrieb sie 1981 über Bitterfeld, "die schmutzigste Stadt Europas". In der DDR wurde es versäumt, die Industrieanlagen zu modernisieren, wodurch Bitterfeld zu einem Sinnbild für die marode Ausstattung der Wirtschaft und für gefährliche Umweltverschmutzung wurde. Jetzt, 20 Jahre nach dem Mauerfall hat sie "Bitterfelder Bogen, Ein Bericht" veröffentlicht. Er erzählt vom Aufbruch und der Wiederauferstehung einer ganzen Region. Der weltweit grösste Solarzellen-Hersteller steht heute in Bitterfeld.

Was liest Du vor einer Reise?

Wenn ich reise, nehme ich immer mindestens ein Buch einer Autorin des Landes mit, in das ich reise. Und ausserdem lese ich vorher den Amnesty-Bericht.

Vermiest dir der Amnesty-Bericht nicht den Urlaub?

Ich will vorbereitet sein auf das, was mich dort erwartet. Es gibt Länder, in die ich aufgrund der Menschenrechtssituation nicht reisen würde, zumindest nicht in die Ferien. Ich reise ja auch beruflich, da kann man nicht immer auswählen.

Wie nachhaltig reisest Du?

Meine Arbeit ist ökologisch paradox: Ich fliege an die Umweltkonferenzen in New York, Südafrika oder Bali! Ich kann im Moment diesen Widerspruch nicht auflösen. Immerhin fahre ich kürzere Strecken zum Beispiel nach Berlin, wo ich öfters bin, immer mit dem Zug. Aber ich habe mein CO2-Konto längst überzogen.

Kompensierst du deinen Flug?

Wenn ich für den Bund reise, kompensiert der den Flug. Ich selbst kompensiere meine eigenen Flüge nicht, mein Verhältnis zur Kompensation ist gespalten. Es ist im Endeffekt ein Ablasshandel: Ich zahle ein paar Franken für irgendein Projekt möglichst in einem fernen Land, wo’s billiger ist als in der Schweiz und habe dann den Eindruck, es sei jetzt wieder alles in Ordnung und ich könne ohne schlechtes Gewissen weiterfliegen. Ich setze mich deshalb für eine globale Kerosinsteuer ein.

Was heisst für dich fair unterwegs sein?

Auf meine individuellen Reisen bezogen heisst es für mich, respektvoll, rücksichtsvoll zu sein gegenüber den Menschen im Gastland, und gegenüber ihren Lebensgrundlagen. Aber auch, ihre Traditionen zu achten.

Wie weit gehst du dabei? Wärest du bereit, deine Rechte als Frau zugunsten von Traditionen einzuschränken?

Für mich hat das nicht mit Traditionen, sondern mit Diskriminierung zu tun. Ich war zum Beispiel einmal im Niger, um Wasserprojekte der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit zu besichtigen. Bei den Gesprächen waren nie Frauen da, immer wurde alles von den Männern präsentiert. Also fragte ich nach, wo die Frauen seien, die von der Wasserkrise besonders betroffen sind. Am Schluss holten sie überall die Frauen dazu, die Red und Antwort standen. Das hat für mich auch mit Respekt zu tun: Respekt gegen Frauen statt Diskriminierung.

fair unterwegs sein hat ja auch mit der Nutzung der Ressourcen und mit dem Klima zu tun.

Ich setze mich für Gerechtigkeit in den Klimaverhandlungen und beim Thema Wasser ein. Es gibt eine klimaverträgliche CO2-Ausstossmenge. Diese Menge gilt es durch die sechs Milliarden ErdbewohnerInnen zu teilen, dann haben wir das CO2-Budget für jede und jeden einzelnen. Für die Industrienationen heisst das, sie müssen drastisch und schnell reduzieren. Nur so haben die Entwicklungsländer die Möglichkeit, ihren Lebensstandard auf ein nachhaltiges Niveau zu heben. Die Klimaerwärmung verstärkt und beschleunigt die Wasserkrise. Deshalb braucht es dringend eine internationale Wasserkonvention, in der das Wasser zu einem öffentlichen Gut erklärt, Verteilungsgerechtigkeit hergestellt und die Prioritäten bei der Nutzung definiert werden. Immer wieder geht es in meinen Referaten zum Wasser auch um den Tourismus, etwa wenn ich erkläre, dass es in wasserarmen Entwicklungsländern bis zu 2,3 Millionen Liter Wasser pro Tag braucht, um einen Golfplatz grün zu halten, während in den Slums nebenan Kinder an den Folgen von fehlendem oder verschmutztem Wasser sterben. Oder dass in Tunesien, wo der Grundwasserspiegel in den letzten Jahren bedrohlich gesunken ist, das Wasser mit grossen Leitungen von den Landwirtschaftsgebieten in die Luxushotels geleitet wird. Ich versuche die Leute für ihren ökologischen Fussabdruck zu sensibilisieren, für das Wasser, das sie direkt oder virtuell über die konsumierten Güter verbrauchen.

Empfiehlst du den Leuten, sich mit fairunterwegs.org auf ihre nächste Reise vorzubereiten?

Das wäre die richtige Vorbereitung. Ich befürchte nur, dass es die tun, die ohnehin ein hohes Bewusstsein haben. All die Lastminute- und Schnäppchenreisenden, denen es egal ist, ob sie am anderen Tag in der Dominikanischen Republik oder auf den Seychellen landen, konsultieren vermutlich die Webseite weniger. Wie auch immer, ich habe mir die Seite gut angesehen: Sie ist wahnsinnig gut, reich, komplett – aber auch anspruchsvoll. Vielleicht müsste man mit den Reisebüros noch mehr verhandeln, damit dort neben den Tiefpreisangeboten auch noch die Information über fairunterwegs.org erscheinen würde.

Liegt denn das Drama nicht ohnehin bei der Gelassenheit der Mehrheit, die sich nicht aufregt über die Katastrophen, die sie eigentlich schon dabei ist, zu erleben?

In der Schule haben wir gelernt: Wenn man einen Frosch in ein Glas mit kaltem Wasser setzt und dann allmählich heisses Wasser zufügt, dann kann man den Frosch verbrühen, ohne dass er reagiert. Wenn man dem kalten Wasser aber plötzlich das heisse Wasser in einem grossen Strahl hinzufügt, reagiert er sofort. So kommt mir das auch bei uns Menschen vor: Wir argumentieren immer auf dem nächst schlechteren Level. Wir haben das Geld, das Wissen und die technischen Möglichkeiten, um die Klima- und die Wasserkrise zu überwinden. Was fehlt, ist allein der politische Wille zum Handeln!

  • Maja Beutler: Fuss fassen, Zytglogge Verlag, Bern 1989, ISBN 3- 7296-0111-3
  • Maja Beutler: Schwarzer Schnee, Zytglogge Verlag, Bern 2009, ISBN 978-3-7296-0782-8
  • Monika Maron: Flugasche, Verlag Springer, Axel, 2009, ISBN 3-941711-02-4
  • Monika Maron: Bitterfelder Bogen, Ein Bericht, S.Fischer-Verlag, Frankfurt am Main, 2009, 173 Seiten, Euro 18.95, ISBN 978-3-10-048828-2

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