Fair unterwegs mit Sabine Hunger, Coach junger Freiwilliger
Welches Buch entführt dich auf die intensivste Reise?
Am meisten geprägt hat mich der historische Roman "Tiana, die mit den Wolken zieht" von Lucia St. Clair Robson. Tiana Rogers ist die Tochter eines schottischen Vaters und einer Cherokee Mutter. Sie wächst ganz in der Kultur und mit den Traditionen der Cherokee auf. 1829 verbringt der legendäre Sam Houston – Namensgeber der grössten Stadt von Texas – eine Zeit bei den Cherokee, um Abstand von Turbulenzen in seiner Ehe und seiner politischen Karriere zu gewinnen. Tiana und Sam verlieben sich und heiraten mit den Ritualen der Cherokee – eine sehr ungewöhnliche Ehe, war doch Sam gesetzlich noch verheiratet und Tiana eine Witwe und Mutter zweier Kinder. Im Roman werden traditionelle Rituale, Naturheilkunde und das universale Verständnis des „alles ist eins“ immer wieder eindrücklich beschrieben. Thematisiert wird aber auch der Einfluss der Weissen auf die Cherokee-Kultur. Ich lese den Roman immer, wenn es mir nicht gut geht. Die Schönheit der elementaren Lebensweise tut mir gut, und ich finde zu einer inneren Ruhe, weil mich das universelle Verständnis wieder sehr zu mir selbst bringt.
Aber in der Geschichte der Cherokee gibt es doch auch düstere Seiten.
Ja klar, das Buch endet mit dem sogenannten langen Marsch der Tränen. Anfangs der 1830er-Jahre wurde in den Appalachen Gold gefunden. Präsident Jackson ordnete unter der Losung "keine Indianer östlich des Mississippi" eine Vertreibungspolitik an, die 1938/39 mit diesem Marsch endet, bei dem ein Viertel der 60’000 Vertriebenen von fünf südöstlichen Völkern starben. Auch Tiana kommt bei diesem Marsch ums Leben. Ich habe viel über Frauen gelesen, die in ihren jeweiligen Kulturen Rollenträgerinnen werden. Tiana wird zum Beispiel Heilerin – gegen ihren Willen und mit viel Respekt vor der Aufgabe. Ich glaube, dass Frauen gerade in Krisensituationen besonders viel für den Zusammenhalt und das Überleben der Gemeinschaft beitragen, auch müssen. Ich schätze bei den historischen Romanen den
lebendigen Blick in die Geschichte und was davon heute wieder oder immer noch präsent ist. Aktuell wehren sich tausende von Mitgliedern der amerikanischen Urvölker gegen die von Präsident Trump genehmigte Ölpipeline durch ihr Land. Das berührt mich sehr tief und ich fühle mich auch stark verbunden. Ich kann nachvollziehen, wie es sich anfühlt, wenn die Heimat so zerschnitten wird. Ich selbst bin als Bauerntochter im Safiental aufgewachsen. Die Natur- und Bodenverbundenheit ist mir in die Wiege gelegt worden und prägt mich heute noch.
Dieses Gefühl scheint die Gemeinden im Safiental auch bei ihrer weitsichtigen Tourismusentwicklung zu leiten.
Ja, im Safiental gibt es ein starkes Gemeindewesen. Während sich zum Beispiel Flims rasch touristisch entwickelte, lag Safien lange sehr verschlafen da. Anfang der Neunzigerjahre fürchtete man im Safiental, den Anschluss verpasst zu haben. Doch in den letzten Jahren hat sich einiges verändert und es kommen viel mehr Gäste.
Wir haben im Safiental sehr aktiv die eigene Entwicklung überdacht. Wir wollen kein Museum sein, sondern eine lebendige Talschaft, in der es auch touristische Angebote gibt. Ich glaube, gerade dass wir lange wenig touristisch erschlossen waren, bewahrte die Natur, und jetzt ist es genau das, was die Leute bei uns suchen und finden.
Was heisst für dich fair unterwegs sein?
Es hat für mich eine soziale und eine Umweltkomponente. Bei der Umwelt geht es um Kreislaufdenken und den Umgang mit den vorhandenen, begrenzten Ressourcen. Also auch die Frage, wie reise ich, wie lebe ich vor Ort und wie gehe ich mit all den neuen Erkenntnissen um. Die soziale Komponente richtet sich mehr auf meine Beziehung zu den Menschen, die ich unterwegs treffe. Ich stelle mir da auch die Frage, wie viele neue
Beziehungen ich pflegen kann und will. Und zwar bewusst. Fair unterwegs ist für mich nicht einfach urlauben, herumjetten und Fotos schiessen, sondern – und da spannt sich der Bogen zum Buch – behutsamer, achtsamer Umgang mit der Natur und den Menschen als gelebte Realität, wie ich sie weitergeben möchte.
Vor zehn Jahren reiste ich mit dem HOPLAA nach Peru und lebte dort während eines Jahres an drei Standorten. Dieser Aufenthalt hat mich nachhaltig geprägt. Ich fand Vieles nicht fair. Die Bahn zum Machu Picchu zum Beispiel wurde von einer ausländischen Firma betrieben und kostete umgerechnet 200 US Dollar. Mit 200 Dollar konnte ich damals in Peru zwei Monate leben, ohne das Gefühl zu haben, auf irgendetwas zu verzichten. Der verschwenderischen Art des Unterwegsseins habe ich mich bewusst entzogen, und Machu Picchu habe ich nicht gesehen. Dafür schreibe ich noch heute regelmässig meinen Kollegen und wir tauschen uns über Arbeitsalltag, Lieder, Bücher und Politik aus. Für mich ist das nachhaltiger als Fotos von Machu Picchu.
Heute bin ich gerne in den Alpen unterwegs. Ich wandere, mache Skitouren und betreibe Alpinismus. Dabei steht für mich das Draussen- und Teil-der-Natur-sein im Vordergrund. Ich erinnere mich weniger an Gipfel als an Schneehühner, Adler, die Alpenflora und spezielle Licht/Sonnen/Nebelbilder. An Dinge und Momente, die sind und wieder vergehen. Ich geniesse den Moment als stille Beobachterin.
Reisende scheinen oft darauf aus zu sein, Erinnerungen zu besitzen, an einem Ort gewesen zu sein, Fotos gemacht zu haben. Das hat mit fair unterwegs sein nichts zu tun, sondern mit Konsum. Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass auch ich gerne Fotos mache. Ich versuche das möglichst in den Alltag einzubauen und Momente festzuhalten, die den Alltag zu einer Reise machen.
Fair unterwegs erstreckt sich ja auch auf den Alltag. Ich habe zum Beispiel je länger je weniger Lust, jedes Wochenende etwas zu unternehmen. Ich geniesse es, einfach zu Hause zu sein. Ich versuche meinen Alltag für mich bewusst zu leben, sodass ich darin Neues entdecken kann. Das, was vielleicht andere auf den Reisen suchen.
Du coachest ja junge Menschen, die Erfahrungen in anderen Kulturen suchen
Genau. Die jungen Erwachsenen wollen in eine andere Kultur eintauchen. Meine Rolle ist es aufzuzeigen, was das für sie und für andere bedeuten kann und in welche Rollen sie hineinkommen können. Es geht um Bewusstsein und Achtsamkeit. Wenn jemand ein dreimonatiges Praktikum leisten und danach ein Jahr lang möglichst viele andere Orte besuchen will, ist das seine Sache. Aber ich thematisiere, was die Reise vor Ort und bei uns selbst auslöst und bewirken kann. Wir treffen uns nach dem Einsatz nochmals an einem Weekend und tauschen uns darüber aus, wie die Erfahrungen verarbeitet werden und wie wir dafür sorgen können, dass sie nicht so schnell verfliegen und vom Alltag überdeckt werden. Auch Zusammenhänge zwischen unserem Leben hier und dem Elend, dass die jungen Leute manchmal in einem Südland sehen, werden thematisiert. Und es geht auch immer um die Fragen: "In welcher ‹Kultur› bin ich zuhause? Was ist mir wichtig, vielleicht auch erst durch die andere Erfahrung wichtig geworden?"
Von welchen Erfahrungen berichten die Freiwilligen?
Man kommt am Einsatzort mit viel weniger aus als hier. Sie vermissen, wenn sie zurückkommen, die Lebendigkeit, die Spontaneität, die Lebensfreude und auch die Einfachheit. Dann sprechen wir über die Frage: Welche Erfahrung können hier ebenfalls gelebt werden? Und wie? Man muss ja nicht dauernd reisen, um sich wieder an die Lebensfreude zu erinnern! Eine Aufgabe kann ja sein, in seinem Umfeld diese Lebensfreude zu pflegen und zu leben. Wenn ein paar der Freiwilligen zurückkommen und gleich wieder die nächste Reise planen, frage ich sie: Was vermisst du hier? Was treibt dich dazu an, immer wieder in den Flieger zu steigen?
Und was antworten sie?
Sie wollen das Andere erleben, anderswo gewesen sein. Ich staune oft, was 25-Jährige alles schon gesehen haben. Ich glaube, es hat mit dem Bedürfnis zu tun, immer wieder neu zu starten und sich neu erfinden zu können. Oder auch mit der Lust an der Freiheit, neue Rollen auszuprobieren und Masken aufzusetzen. Es kann auch die Unverbindlichkeit sein, die sie leben möchten. Ich glaube, das ist auch das, was ich mit fair Leben meine: Es hat viel mit Verbindlichkeit zu tun, damit, sich bewusst auf etwas einzulassen und das auch zu pflegen.
Fairunterwegs möchte auch Junge inspirieren, eine neue Reisekultur zu entwickeln. Wie gefällt dir das Portal?
Sehr gut! Bei der Vorbereitung der Freiwilligen von HOPLAA lasse ich sie immer über fairunterwegs.org den CO2-Ausstoss ihrer Flüge berechnen und nachschauen, was sie bei der Vorbereitung und im Zielland im Sinne einer neuen fairunterwegs-Reisekultur tun können.
Tiana – die mit den Wolken zieht. Bastei Lübbe, Köln 1995. 827 Seiten, ISBN 978-3404123902. Das Buch ist nur noch antiquarisch erhältlich.
lebendigen Blick in die Geschichte und was davon heute wieder oder immer noch präsent ist. Aktuell wehren sich tausende von Mitgliedern der amerikanischen Urvölker gegen die von Präsident Trump genehmigte Ölpipeline durch ihr Land. Das berührt mich sehr tief und ich fühle mich auch stark verbunden. Ich kann nachvollziehen, wie es sich anfühlt, wenn die Heimat so zerschnitten wird. Ich selbst bin als Bauerntochter im Safiental aufgewachsen. Die Natur- und Bodenverbundenheit ist mir in die Wiege gelegt worden und prägt mich heute noch.
Dieses Gefühl scheint die Gemeinden im Safiental auch bei ihrer weitsichtigen Tourismusentwicklung zu leiten.
Ja, im Safiental gibt es ein starkes Gemeindewesen. Während sich zum Beispiel Flims rasch touristisch entwickelte, lag Safien lange sehr verschlafen da. Anfang der Neunzigerjahre fürchtete man im Safiental, den Anschluss verpasst zu haben. Doch in den letzten Jahren hat sich einiges verändert und es kommen viel mehr Gäste.
Wir haben im Safiental sehr aktiv die eigene Entwicklung überdacht. Wir wollen kein Museum sein, sondern eine lebendige Talschaft, in der es auch touristische Angebote gibt. Ich glaube, gerade dass wir lange wenig touristisch erschlossen waren, bewahrte die Natur, und jetzt ist es genau das, was die Leute bei uns suchen und finden.
Was heisst für dich fair unterwegs sein?
Es hat für mich eine soziale und eine Umweltkomponente. Bei der Umwelt geht es um Kreislaufdenken und den Umgang mit den vorhandenen, begrenzten Ressourcen. Also auch die Frage, wie reise ich, wie lebe ich vor Ort und wie gehe ich mit all den neuen Erkenntnissen um. Die soziale Komponente richtet sich mehr auf meine Beziehung zu den Menschen, die ich unterwegs treffe. Ich stelle mir da auch die Frage, wie viele neue
Beziehungen ich pflegen kann und will. Und zwar bewusst. Fair unterwegs ist für mich nicht einfach urlauben, herumjetten und Fotos schiessen, sondern – und da spannt sich der Bogen zum Buch – behutsamer, achtsamer Umgang mit der Natur und den Menschen als gelebte Realität, wie ich sie weitergeben möchte.
Vor zehn Jahren reiste ich mit dem HOPLAA nach Peru und lebte dort während eines Jahres an drei Standorten. Dieser Aufenthalt hat mich nachhaltig geprägt. Ich fand Vieles nicht fair. Die Bahn zum Machu Picchu zum Beispiel wurde von einer ausländischen Firma betrieben und kostete umgerechnet 200 US Dollar. Mit 200 Dollar konnte ich damals in Peru zwei Monate leben, ohne das Gefühl zu haben, auf irgendetwas zu verzichten. Der verschwenderischen Art des Unterwegsseins habe ich mich bewusst entzogen, und Machu Picchu habe ich nicht gesehen. Dafür schreibe ich noch heute regelmässig meinen Kollegen und wir tauschen uns über Arbeitsalltag, Lieder, Bücher und Politik aus. Für mich ist das nachhaltiger als Fotos von Machu Picchu.
Heute bin ich gerne in den Alpen unterwegs. Ich wandere, mache Skitouren und betreibe Alpinismus. Dabei steht für mich das Draussen- und Teil-der-Natur-sein im Vordergrund. Ich erinnere mich weniger an Gipfel als an Schneehühner, Adler, die Alpenflora und spezielle Licht/Sonnen/Nebelbilder. An Dinge und Momente, die sind und wieder vergehen. Ich geniesse den Moment als stille Beobachterin.
Reisende scheinen oft darauf aus zu sein, Erinnerungen zu besitzen, an einem Ort gewesen zu sein, Fotos gemacht zu haben. Das hat mit fair unterwegs sein nichts zu tun, sondern mit Konsum. Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass auch ich gerne Fotos mache. Ich versuche das möglichst in den Alltag einzubauen und Momente festzuhalten, die den Alltag zu einer Reise machen.
Fair unterwegs erstreckt sich ja auch auf den Alltag. Ich habe zum Beispiel je länger je weniger Lust, jedes Wochenende etwas zu unternehmen. Ich geniesse es, einfach zu Hause zu sein. Ich versuche meinen Alltag für mich bewusst zu leben, sodass ich darin Neues entdecken kann. Das, was vielleicht andere auf den Reisen suchen.
Du coachest ja junge Menschen, die Erfahrungen in anderen Kulturen suchen
Genau. Die jungen Erwachsenen wollen in eine andere Kultur eintauchen. Meine Rolle ist es aufzuzeigen, was das für sie und für andere bedeuten kann und in welche Rollen sie hineinkommen können. Es geht um Bewusstsein und Achtsamkeit. Wenn jemand ein dreimonatiges Praktikum leisten und danach ein Jahr lang möglichst viele andere Orte besuchen will, ist das seine Sache. Aber ich thematisiere, was die Reise vor Ort und bei uns selbst auslöst und bewirken kann. Wir treffen uns nach dem Einsatz nochmals an einem Weekend und tauschen uns darüber aus, wie die Erfahrungen verarbeitet werden und wie wir dafür sorgen können, dass sie nicht so schnell verfliegen und vom Alltag überdeckt werden. Auch Zusammenhänge zwischen unserem Leben hier und dem Elend, dass die jungen Leute manchmal in einem Südland sehen, werden thematisiert. Und es geht auch immer um die Fragen: "In welcher ‹Kultur› bin ich zuhause? Was ist mir wichtig, vielleicht auch erst durch die andere Erfahrung wichtig geworden?"
Von welchen Erfahrungen berichten die Freiwilligen?
Man kommt am Einsatzort mit viel weniger aus als hier. Sie vermissen, wenn sie zurückkommen, die Lebendigkeit, die Spontaneität, die Lebensfreude und auch die Einfachheit. Dann sprechen wir über die Frage: Welche Erfahrung können hier ebenfalls gelebt werden? Und wie? Man muss ja nicht dauernd reisen, um sich wieder an die Lebensfreude zu erinnern! Eine Aufgabe kann ja sein, in seinem Umfeld diese Lebensfreude zu pflegen und zu leben. Wenn ein paar der Freiwilligen zurückkommen und gleich wieder die nächste Reise planen, frage ich sie: Was vermisst du hier? Was treibt dich dazu an, immer wieder in den Flieger zu steigen?
Und was antworten sie?
Sie wollen das Andere erleben, anderswo gewesen sein. Ich staune oft, was 25-Jährige alles schon gesehen haben. Ich glaube, es hat mit dem Bedürfnis zu tun, immer wieder neu zu starten und sich neu erfinden zu können. Oder auch mit der Lust an der Freiheit, neue Rollen auszuprobieren und Masken aufzusetzen. Es kann auch die Unverbindlichkeit sein, die sie leben möchten. Ich glaube, das ist auch das, was ich mit fair Leben meine: Es hat viel mit Verbindlichkeit zu tun, damit, sich bewusst auf etwas einzulassen und das auch zu pflegen.
Fairunterwegs möchte auch Junge inspirieren, eine neue Reisekultur zu entwickeln. Wie gefällt dir das Portal?
Sehr gut! Bei der Vorbereitung der Freiwilligen von HOPLAA lasse ich sie immer über fairunterwegs.org den CO2-Ausstoss ihrer Flüge berechnen und nachschauen, was sie bei der Vorbereitung und im Zielland im Sinne einer neuen fairunterwegs-Reisekultur tun können.
Tiana – die mit den Wolken zieht. Bastei Lübbe, Köln 1995. 827 Seiten, ISBN 978-3404123902. Das Buch ist nur noch antiquarisch erhältlich.