Welches Buch führt dich auf die intensivste Reise?

Da kann ich mich nicht entscheiden und nenne daher zwei. Das erste ist Nils Holgerssons wunderbare Reise mit den Wildgänsen, das die schwedische Autorin und Literaturnobelpreisträgerin Selma Lagerlöf 1906 verfasste. Nils, ein vierzehnjähriger Bub, wird als Strafe für einen bösartigen Streich in einen kleinen Wichtelmann verzaubert. Allerlei Umstände bringen Nils dazu, sich den Wildgänsen auf ihrer Reise durch Schweden anzuschliessen, auf der er das Land mit seiner Geschichte, Kultur und Schönheit kennenlernt, manches Abenteuer bestreitet und sich mit moralischen Fragen auseinandersetzt. Indem er Barmherzigkeit, Mut und Loyalität zeigt, wird Nils wieder zum Menschen.

Was hat dich fasziniert daran?

Es sind die Landschaften, das für mich unvergessliche "gewürfelte Tuch", das er im Flug über das flache Schonenland sieht, mit den Roggen-, Rüben-, Stoppelfeldern, den Buchenwäldern, Höfen und Gärten: Er sieht aus der Ferne die Schönheit und erlebt aus der Nähe die Kargheit, wechselt immer die Perspektive. 1998 konnte ich erstmals selbständig in den Urlaub reisen. Selbstverständlich reiste ich nach Schweden. Es bestätigte für mich das Lebensgefühl, dass mir schon das Buch vermittelt hatte: Freiheit, Ruhe, viel Natur, Zugänglichkeit.

Was meinst du mit Zugänglichkeit?

Ich war seither sehr oft in Schweden. Die Einstellung der schwedischen Gesellschaft gegenüber Menschen mit Behinderung ist eine völlig andere als hier. Ich spreche inzwischen ja auch Schwedisch und weiss daher sehr gut, wie die Bevölkerung denkt und eben auch handelt. Wenn ich in Schweden irgendwo weit abgelegen eine Hütte mieten will, frage ich immer "wie viele Stufen gibt es?". Und dann kommt die Antwort: "Es hat ein paar Eingangsstufen, aber kein Problem, wir mieten eine Rampe und drinnen werden wir auch das kleine Waschbecken abmontieren, damit Sie mit dem Rollstuhl durchkommen." In der Schweiz hingegen kommt eher die Rückmeldung, "Tut uns leid, es gibt Stufen, es geht nicht." In Schweden hat der Staat die Gesetze betreffend der Zugänglichkeit für behinderte Menschen systematisch umgesetzt, und in der Gesellschaft hat ein Umdenken stattgefunden. Jeder kleine Tante-Emma-Laden verfügt über eine Rampe, jede Tankstelle bietet ein rollstuhlgängiges WC. Hotels haben induktive Höranlagen bereitgestellt, die Menschen mit Hörschwächen erlauben, akustische Signale drahtlos störungsfrei auf ihren Hörgeräten zu empfangen. Sie bieten auch Geräte, die als Wecker und Feueralarm dienen und mit Vibrationen signalisieren. In Schweden ist man punkto Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderung aber nicht nur bei den Privilegien konsequent: Wir zahlen die gleichen Preise für den Museumseintritt, dafür haben wir dann aber auch überallhin Zugang.

Ist das fair? Schliesslich verdienen viele Menschen mit Behinderung weniger.

Das kann man einwenden, aber mir gefällt das besser, als wenn kleine Rabatte gewährt, dafür aber Investitionen in die Barrierefreiheit auf die lange Bank geschoben werden. Ich zahle lieber den ganzen Preis, wenn ich dafür auch alle Teile der Ausstellung anschauen kann, die ich will, und nicht nur einige davon.

Wie sieht es denn in der Schweiz aus?

Viele meinen, man sei in der Schweiz bei der Behindertengleichstellung schon weit. Aber sie irren sich, wir erleben hier etliche Diskrimierungen. So gibt es zum Beispiel bei vielen kulturellen Veranstaltungen zwar Plätze für Menschen im Rollstuhl, aber nur in der obersten Preiskategorie. Oder das einzig rollstuhlgängige Zimmer vieler Hotels ist das in der Luxuspreisklasse. Ich finde: Ist tatsächlich nur ein Deluxe-Zimmer rollstuhlgängig, sollte es Menschen mit Behinderung zum Normalpreis angeboten werden. Bei der SBB erhalten wir für das Generalabonnement zwar eine Vergünstigung, zahlen aber ansonsten normale Preise und erleben trotzdem viele Einschränkungen. Nur so genannte Stützpunktbahnhöfe verfügen über Hebebühnen. Manche Ausstiege sind zu hoch oder zu weit vom Bahnsteig entfernt, Rampen sind zu steil oder zu lang. Beim Tram ist es dasselbe. Das Behindertengleichstellungsgesetz schreibt vor, dass der öffentliche Verkehr bis 2024 barrierefrei sein muss. In den letzten elf Jahren ist in dieser Richtung aber wenig passiert, vor vier Jahren mussten wir verhindern, dass man die Frist sogar noch auf 2038 verlängert.

Du erwähnst Hotels. Sieht es im Schweizer Tourismus nicht besser aus?

Im Schweizer Tourismus scheint man noch nicht begriffen zu haben, dass mit Investitionen in die Zugänglichkeit für Menschen mit Behinderung auch das wachsende Marktsegment der betagten und verhältnismässig begüterten Menschen mit motorischen und anderen Einschränkungen besser erschlossen werden kann. Sonst würde man sicher mehr vorwärtsmachen. Es gibt zwar Angebote für die Rollatorengeneration, aber es gäbe auch viele Betagte und jüngere Menschen im Rollstuhl, die gerne Urlaub machen würden und auch das Geld dazu hätten. Während andere Destinationen zum Teil beeindruckende Angebote und ganze Kataloge bieten, dominiert hier noch die Vermeidungstaktik: Statt nach Lösungen wird nach Schlupflöchern gesucht, um keine barrierefreien Angebote kreieren zu müssen. 

Das schlägt wohl aufs Gemüt.

Man fühlt sich manchmal schon wie überflüssiger Ballast, als blosser Kostenfaktor.

Du engagierst sich für die Verbesserung dieser Situation bei Procap Reisen & Sport. Was bietet ihr?

Bei Procap Reisen & Sport bieten wir betreute Einzel- und Gruppenreisen im In- und Ausland. Die Gruppenreisen sind ein Renner, aber wir haben enorm Mühe, in der Schweiz Destinationen zu finden, wo unsere Gruppen hinreisen können und akzeptiert sind. Auch individuelle Ferien sind bei uns buchbar, sowohl für Menschen mit aber auch ohne Handicap.

Wie gut akzeptieren Menschen mit körperlichen solche mit geistigen Behinderungen?

Das ist natürlich auch von Mensch zu Mensch verschieden. Wir haben aber in der Regel gar nicht die Möglichkeit, uns oder andere auszugrenzen, weil es schlicht zu wenig betreute Angebote gibt. Ich bin froh, wenn ich eines finde, das bezüglich Destination und Zeit stimmt.

Du wolltest zwei Bücher vorstellen. Welches ist das zweite?

Das zweite ist "Das Schneekind" von Nicolas Vanier. 1994-1995 durchquerte Nicolas mit seiner Frau und seiner 18-monatigen Tochter zu Pferd die Rocky Mountains und das Yukon-Territorium. Sie schliefen in einer selbstgebauten Hütte und fuhren danach mit Hundeschlitten 2’500 Kilometer bis nach Alaska. "Das Schneekind" handelt von dieser Reise und bringt etwas von der Faszination für den Winter und den Norden herüber. Ich wollte auch dieses Schneekind sein! Im 2011 und 2013 nahm ich an einer Husky-Tour in Schweden teil. Es war ein unvergessliches Erlebnis. Wir waren mit dem Guide vier Personen und 13 Hunde. Die Präsenz der Tiere war für einmal dominanter als die der Menschen. Der Guide war erstmals mit einem Gast mit Handicap unterwegs, inzwischen ist er zu einem guten Freund geworden. Das eine Mal lebten wir in einem Raum von etwa eineinhalb auf vier Metern, in einer Hütte, die ein Kilometer vom Wasser entfernt lag. Während einer Woche war ich ohne Rollstuhl, und trotzdem war es für mich die pure Freiheit. Die Welt gehörte mir. Wir waren dort nachhaltig unterwegs, mit Hunden, ohne Schneemobil, über der Baumgrenze, wo wir das Wild kaum störten. Ich bin keine Person, die einfach nichtstun kann, aber dort konnte ich stundenlang einfach im Schlitten sitzen und den Wind fühlen und dem Schneegestöber zuschauen, das  von den Ästen kam. Und eigentlich bin ich auch kein besonderer Tierfan. Aber bei den Huskys war es anders. Für sie ist es das Grösste, mit dem Schlitten rumzurennen, und sie brachten mich an Orte, an die ich sonst nie mehr hingelangen könnte. Normalerweise geht nach den Touren der Guide Heiko zu ihnen und sie lassen sich von ihm das Geschirr ausziehen. Aber die Hunde merkten, dass mit mir etwas anders war. Sie kamen zu mir und schauten nach, ob alles in Ordnung war. Schon ab dem ersten Tag konnte ich sie beim Namen rufen, und sie liefen herbei und liessen sich sogar das Geschirr von mir abnehmen. Es schien etwas wie ein beidseitiges Verständnis zwischen ihnen und mir zu geben. Wenn man denkt, wie viel Sensibilisierungsarbeit es braucht in der menschlichen Gesellschaft, um das herüberzubringen, was die Hunde einfach sofort spürten!

Du bist ja viel auf Reisen! Auch für den Sport.

Oft habe ich deswegen ein schlechtes Gewissen. Mein ökologischer Fussabdruck ist ein Desaster. Ich vernachlässige die Nachhaltigkeit dem Sport zuliebe, und denke gleichzeitig: So wie ich es mir mit dem Thema Nachhaltigkeit halte, so halten es andere mit dem Thema Barrierefreiheit. Aber ich versuche daheim meinen Alltag möglichst ökologisch zu gestalten und bin praktisch nur mit dem Handbike unterwegs!
Sport war immer schon mein Lebenselixier. Derzeit trainiere ich mit meiner Para-Badminton-Doppelpartnerin auf das grosse Ziel hin, es an die Paralympics in Tokyo 2020 zu schaffen. Ich leiste ein 30-Prozent-Pensum bei Procap Reisen & Sport und neun Trainingssessions pro Woche. In Tokyo wird Para-Badminton erstmals als olympische Disziplin ausgetragen.

Unter Sportlerinnen wird Fairness in der Regel hochgehalten. Wie sieht es aus beim Umgang mit den GastgeberInnen?

Fairness ist eine Charakterstärke. Wer sie ausgebildet hat, lebt sie auf dem Platz genauso wie den Menschen gegenüber, die uns empfangen. Ich versuche mich überall anzupassen, obwohl es sicher immer wieder geschehen kann, dass ich in ein Fettnäpfchen trete. Schwierig finde ich das Feilschen. Ich möchte einerseits nicht brutal den Preis drücken, andererseits weiss ich, dass ich nicht einfach hohe Preise zahlen sollte, weil ich damit auch etwas von der Kultur kaputtmache. Aber wo liege ich richtig? Im Übrigen finde ich ja einiges an Informationen darüber, wie ein Land tickt, in den Medien. Wichtig für mich ist es, mit offenem Geist und Herzen zu reisen, zu spüren und zu erleben. Dann wird das Reisen zu einer Lebensschule, die mich formt, und das finde ich interessant und erfüllend. 

Was braucht es, damit sich die Situation für Menschen mit Behinderung in der Schweiz verbessert?

In erster Linie Offenheit für das Thema und die Bereitschaft, wirklich etwas umzusetzen, zu handeln. Wären sich alle bewusst, dass sie schon morgen in der gleichen Situation sein könnten wie ich, würden sie eine andere Blickweise und Haltung gegenüber Menschen entwickeln, die länger brauchen, um die vielen kleinen Alltagshürden zu überwinden. Die Schweizer Tourismusbranche sollte barrierefreie Angebote und Dienstleistungen aus einem aktualisierten Serviceverständnis heraus und nicht aus dem Wohltätigkeitsgedanken heraus angehen. Und wenn sie etwas Tolles plant, soll sie daran denken, dass es hier genug qualifizierte Stellen gibt, die ihr beratend zur Seite stehen und verhindern können, dass das Gutgemeinte zu einem Schuss in den Ofen verkommt.

Wie gefällt dir fairunterwegs.org?

Es ist eine wichtige und wertvolle Informations- und Sensibilisierungsplattform. Einige unserer Verhaltensweisen und ihre Wirkung sind uns zu wenig bewusst. Hier finde ich gebündelt Informationen, die ich sonst weit suchen müsste. Allein schon der Name gibt einen guten Anstoss, der über den Tourismus hinausgeht. Es ist etwas Grundsätzliches, wir sind tagtäglich unterwegs. Wenn wir im Kleinen im Alltag anfangen, können wir es ausdehnen und auch im Urlaub fair unterwegs sein. Das ist auch anspruchsvoll – mir gelingt es aus diversen Gründen nicht immer. Vor allem aber deshalb nicht, weil ich oft gar keine Wahlmöglichkeit habe, weil die barrierefreien Angebote schlicht Mangelware sind.

Procap: Freiwillige gesucht! Für die Begleitung auf Reisen sucht Procap Hunderte von Freiwilligen auch für Kurzeinsätze von drei bis vierzehn Tagen. Die Aufgaben, die diese bei Procap übernehmen, sind so vielfältig wie die Menschen, die sich dafür engagieren. Gemeinsam ist allen, dass sie Freude haben, andere Menschen zu unterstützen. Diese Hilfe wird mit Respekt für die betreuten Personen und auf gleicher Augenhöhe geleistet. Procap bietet Freiwilligen ein zweitägiges Seminar an, in dem sie das Grundrüstzeug für die Betreuungs- und Beziehungs- und Teamsituationen erwerben sowie eine Vorstellung von Grenzen und Übergriffen und von den verschiedenen Behinderungsarten erhalten.  
www.procap.ch

Was meinst du mit Zugänglichkeit?

Ich war seither sehr oft in Schweden. Die Einstellung der schwedischen Gesellschaft gegenüber Menschen mit Behinderung ist eine völlig andere als hier. Ich spreche inzwischen ja auch Schwedisch und weiss daher sehr gut, wie die Bevölkerung denkt und eben auch handelt. Wenn ich in Schweden irgendwo weit abgelegen eine Hütte mieten will, frage ich immer "wie viele Stufen gibt es?". Und dann kommt die Antwort: "Es hat ein paar Eingangsstufen, aber kein Problem, wir mieten eine Rampe und drinnen werden wir auch das kleine Waschbecken abmontieren, damit Sie mit dem Rollstuhl durchkommen." In der Schweiz hingegen kommt eher die Rückmeldung, "Tut uns leid, es gibt Stufen, es geht nicht." In Schweden hat der Staat die Gesetze betreffend der Zugänglichkeit für behinderte Menschen systematisch umgesetzt, und in der Gesellschaft hat ein Umdenken stattgefunden. Jeder kleine Tante-Emma-Laden verfügt über eine Rampe, jede Tankstelle bietet ein rollstuhlgängiges WC. Hotels haben induktive Höranlagen bereitgestellt, die Menschen mit Hörschwächen erlauben, akustische Signale drahtlos störungsfrei auf ihren Hörgeräten zu empfangen. Sie bieten auch Geräte, die als Wecker und Feueralarm dienen und mit Vibrationen signalisieren. In Schweden ist man punkto Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderung aber nicht nur bei den Privilegien konsequent: Wir zahlen die gleichen Preise für den Museumseintritt, dafür haben wir dann aber auch überallhin Zugang.

Ist das fair? Schliesslich verdienen viele Menschen mit Behinderung weniger.

Das kann man einwenden, aber mir gefällt das besser, als wenn kleine Rabatte gewährt, dafür aber Investitionen in die Barrierefreiheit auf die lange Bank geschoben werden. Ich zahle lieber den ganzen Preis, wenn ich dafür auch alle Teile der Ausstellung anschauen kann, die ich will, und nicht nur einige davon.

Wie sieht es denn in der Schweiz aus?

Viele meinen, man sei in der Schweiz bei der Behindertengleichstellung schon weit. Aber sie irren sich, wir erleben hier etliche Diskrimierungen. So gibt es zum Beispiel bei vielen kulturellen Veranstaltungen zwar Plätze für Menschen im Rollstuhl, aber nur in der obersten Preiskategorie. Oder das einzig rollstuhlgängige Zimmer vieler Hotels ist das in der Luxuspreisklasse. Ich finde: Ist tatsächlich nur ein Deluxe-Zimmer rollstuhlgängig, sollte es Menschen mit Behinderung zum Normalpreis angeboten werden. Bei der SBB erhalten wir für das Generalabonnement zwar eine Vergünstigung, zahlen aber ansonsten normale Preise und erleben trotzdem viele Einschränkungen. Nur so genannte Stützpunktbahnhöfe verfügen über Hebebühnen. Manche Ausstiege sind zu hoch oder zu weit vom Bahnsteig entfernt, Rampen sind zu steil oder zu lang. Beim Tram ist es dasselbe. Das Behindertengleichstellungsgesetz schreibt vor, dass der öffentliche Verkehr bis 2024 barrierefrei sein muss. In den letzten elf Jahren ist in dieser Richtung aber wenig passiert, vor vier Jahren mussten wir verhindern, dass man die Frist sogar noch auf 2038 verlängert.

Du erwähnst Hotels. Sieht es im Schweizer Tourismus nicht besser aus?

Im Schweizer Tourismus scheint man noch nicht begriffen zu haben, dass mit Investitionen in die Zugänglichkeit für Menschen mit Behinderung auch das wachsende Marktsegment der betagten und verhältnismässig begüterten Menschen mit motorischen und anderen Einschränkungen besser erschlossen werden kann. Sonst würde man sicher mehr vorwärtsmachen. Es gibt zwar Angebote für die Rollatorengeneration, aber es gäbe auch viele Betagte und jüngere Menschen im Rollstuhl, die gerne Urlaub machen würden und auch das Geld dazu hätten. Während andere Destinationen zum Teil beeindruckende Angebote und ganze Kataloge bieten, dominiert hier noch die Vermeidungstaktik: Statt nach Lösungen wird nach Schlupflöchern gesucht, um keine barrierefreien Angebote kreieren zu müssen. 

Das schlägt wohl aufs Gemüt.

Man fühlt sich manchmal schon wie überflüssiger Ballast, als blosser Kostenfaktor.

Du engagierst sich für die Verbesserung dieser Situation bei Procap Reisen & Sport. Was bietet ihr?

Bei Procap Reisen & Sport bieten wir betreute Einzel- und Gruppenreisen im In- und Ausland. Die Gruppenreisen sind ein Renner, aber wir haben enorm Mühe, in der Schweiz Destinationen zu finden, wo unsere Gruppen hinreisen können und akzeptiert sind. Auch individuelle Ferien sind bei uns buchbar, sowohl für Menschen mit aber auch ohne Handicap.

Wie gut akzeptieren Menschen mit körperlichen solche mit geistigen Behinderungen?

Das ist natürlich auch von Mensch zu Mensch verschieden. Wir haben aber in der Regel gar nicht die Möglichkeit, uns oder andere auszugrenzen, weil es schlicht zu wenig betreute Angebote gibt. Ich bin froh, wenn ich eines finde, das bezüglich Destination und Zeit stimmt.

Du wolltest zwei Bücher vorstellen. Welches ist das zweite?

Das zweite ist "Das Schneekind" von Nicolas Vanier. 1994-1995 durchquerte Nicolas mit seiner Frau und seiner 18-monatigen Tochter zu Pferd die Rocky Mountains und das Yukon-Territorium. Sie schliefen in einer selbstgebauten Hütte und fuhren danach mit Hundeschlitten 2’500 Kilometer bis nach Alaska. "Das Schneekind" handelt von dieser Reise und bringt etwas von der Faszination für den Winter und den Norden herüber. Ich wollte auch dieses Schneekind sein! Im 2011 und 2013 nahm ich an einer Husky-Tour in Schweden teil. Es war ein unvergessliches Erlebnis. Wir waren mit dem Guide vier Personen und 13 Hunde. Die Präsenz der Tiere war für einmal dominanter als die der Menschen. Der Guide war erstmals mit einem Gast mit Handicap unterwegs, inzwischen ist er zu einem guten Freund geworden. Das eine Mal lebten wir in einem Raum von etwa eineinhalb auf vier Metern, in einer Hütte, die ein Kilometer vom Wasser entfernt lag. Während einer Woche war ich ohne Rollstuhl, und trotzdem war es für mich die pure Freiheit. Die Welt gehörte mir. Wir waren dort nachhaltig unterwegs, mit Hunden, ohne Schneemobil, über der Baumgrenze, wo wir das Wild kaum störten. Ich bin keine Person, die einfach nichtstun kann, aber dort konnte ich stundenlang einfach im Schlitten sitzen und den Wind fühlen und dem Schneegestöber zuschauen, das  von den Ästen kam. Und eigentlich bin ich auch kein besonderer Tierfan. Aber bei den Huskys war es anders. Für sie ist es das Grösste, mit dem Schlitten rumzurennen, und sie brachten mich an Orte, an die ich sonst nie mehr hingelangen könnte. Normalerweise geht nach den Touren der Guide Heiko zu ihnen und sie lassen sich von ihm das Geschirr ausziehen. Aber die Hunde merkten, dass mit mir etwas anders war. Sie kamen zu mir und schauten nach, ob alles in Ordnung war. Schon ab dem ersten Tag konnte ich sie beim Namen rufen, und sie liefen herbei und liessen sich sogar das Geschirr von mir abnehmen. Es schien etwas wie ein beidseitiges Verständnis zwischen ihnen und mir zu geben. Wenn man denkt, wie viel Sensibilisierungsarbeit es braucht in der menschlichen Gesellschaft, um das herüberzubringen, was die Hunde einfach sofort spürten!

Du bist ja viel auf Reisen! Auch für den Sport.

Oft habe ich deswegen ein schlechtes Gewissen. Mein ökologischer Fussabdruck ist ein Desaster. Ich vernachlässige die Nachhaltigkeit dem Sport zuliebe, und denke gleichzeitig: So wie ich es mir mit dem Thema Nachhaltigkeit halte, so halten es andere mit dem Thema Barrierefreiheit. Aber ich versuche daheim meinen Alltag möglichst ökologisch zu gestalten und bin praktisch nur mit dem Handbike unterwegs!
Sport war immer schon mein Lebenselixier. Derzeit trainiere ich mit meiner Para-Badminton-Doppelpartnerin auf das grosse Ziel hin, es an die Paralympics in Tokyo 2020 zu schaffen. Ich leiste ein 30-Prozent-Pensum bei Procap Reisen & Sport und neun Trainingssessions pro Woche. In Tokyo wird Para-Badminton erstmals als olympische Disziplin ausgetragen.

Unter Sportlerinnen wird Fairness in der Regel hochgehalten. Wie sieht es aus beim Umgang mit den GastgeberInnen?

Fairness ist eine Charakterstärke. Wer sie ausgebildet hat, lebt sie auf dem Platz genauso wie den Menschen gegenüber, die uns empfangen. Ich versuche mich überall anzupassen, obwohl es sicher immer wieder geschehen kann, dass ich in ein Fettnäpfchen trete. Schwierig finde ich das Feilschen. Ich möchte einerseits nicht brutal den Preis drücken, andererseits weiss ich, dass ich nicht einfach hohe Preise zahlen sollte, weil ich damit auch etwas von der Kultur kaputtmache. Aber wo liege ich richtig? Im Übrigen finde ich ja einiges an Informationen darüber, wie ein Land tickt, in den Medien. Wichtig für mich ist es, mit offenem Geist und Herzen zu reisen, zu spüren und zu erleben. Dann wird das Reisen zu einer Lebensschule, die mich formt, und das finde ich interessant und erfüllend. 

Was braucht es, damit sich die Situation für Menschen mit Behinderung in der Schweiz verbessert?

In erster Linie Offenheit für das Thema und die Bereitschaft, wirklich etwas umzusetzen, zu handeln. Wären sich alle bewusst, dass sie schon morgen in der gleichen Situation sein könnten wie ich, würden sie eine andere Blickweise und Haltung gegenüber Menschen entwickeln, die länger brauchen, um die vielen kleinen Alltagshürden zu überwinden. Die Schweizer Tourismusbranche sollte barrierefreie Angebote und Dienstleistungen aus einem aktualisierten Serviceverständnis heraus und nicht aus dem Wohltätigkeitsgedanken heraus angehen. Und wenn sie etwas Tolles plant, soll sie daran denken, dass es hier genug qualifizierte Stellen gibt, die ihr beratend zur Seite stehen und verhindern können, dass das Gutgemeinte zu einem Schuss in den Ofen verkommt.

Wie gefällt dir fairunterwegs.org?

Es ist eine wichtige und wertvolle Informations- und Sensibilisierungsplattform. Einige unserer Verhaltensweisen und ihre Wirkung sind uns zu wenig bewusst. Hier finde ich gebündelt Informationen, die ich sonst weit suchen müsste. Allein schon der Name gibt einen guten Anstoss, der über den Tourismus hinausgeht. Es ist etwas Grundsätzliches, wir sind tagtäglich unterwegs. Wenn wir im Kleinen im Alltag anfangen, können wir es ausdehnen und auch im Urlaub fair unterwegs sein. Das ist auch anspruchsvoll – mir gelingt es aus diversen Gründen nicht immer. Vor allem aber deshalb nicht, weil ich oft gar keine Wahlmöglichkeit habe, weil die barrierefreien Angebote schlicht Mangelware sind.

Procap: Freiwillige gesucht! Für die Begleitung auf Reisen sucht Procap Hunderte von Freiwilligen auch für Kurzeinsätze von drei bis vierzehn Tagen. Die Aufgaben, die diese bei Procap übernehmen, sind so vielfältig wie die Menschen, die sich dafür engagieren. Gemeinsam ist allen, dass sie Freude haben, andere Menschen zu unterstützen. Diese Hilfe wird mit Respekt für die betreuten Personen und auf gleicher Augenhöhe geleistet. Procap bietet Freiwilligen ein zweitägiges Seminar an, in dem sie das Grundrüstzeug für die Betreuungs- und Beziehungs- und Teamsituationen erwerben sowie eine Vorstellung von Grenzen und Übergriffen und von den verschiedenen Behinderungsarten erhalten.  
www.procap.ch