Welches Buch führt Sie auf die schönste Reise?

Vor vielen Jahren habe ich ein Buch gelesen, das mir jetzt in den Sinn gekommen ist, da wir von Reisen reden. Es ist das Buch "Verbotene Reise", auf Französisch "Oasis interdites" von Ella Maillart. Sie wurde 1903 in der Schweiz als Tochter eines Pelzhändlers und einer sehr unabhängigen, sportlichen Dänin geboren. 1935 unternahm Ella Maillart im Auftrag des "Petit Parisien", einer Zeitschrift, die sich auf Berichte aus abgelegenen Gebieten spezialisiert hatte, eine Reise nach China. Sie sollte dort zur Mandschurei recherchieren, die damals unter japanischer Besatzung stand. Auf ihrem Weg traf sie den englischen Journalisten und Buchautor Peter Fleming. Sie wollte etwas über das verbotene Gebiet Turkistan herausfinden und von dort über Sinkiang und Karakorum nach Indien trekken. Ein Freund riet ihr, über Tibet und Tsaidam zu reisen, denn diese Strecke sei so schwierig, dass die chinesische Regierung es nicht für nötig befunden hatte, sie zu verbieten. Dies tat sie. Wenn man bedenkt, in welcher Zeit Ella Maillart den Mut aufgebracht hat, als Frau in reiner Männergesellschaft eine so schwierige Route zu gehen – das ist schon bewundernswert.

Was hat Sie vor allem fasziniert: China oder der Mut von Maillart?

Beides. Schon als Jugendliche hat mich China fasziniert. Mein Vater reiste 1973 mit einer Austauschdelegation nach China. Ich war dreizehn. Er kam zurück, erzählte von der Reise, zeigte mir Fotos und überzeugte mich davon, dass Chinesisch die Zukunft sei. Ich nahm Chinesischstunden und verbrachte dann während meines Studiums in Bern insgesamt ein Jahr in China. Die Reise von Ella Maillart machte ich damals nicht, es ist aber immer noch ein Wunsch von mir, die Seidenstrasse zu bereisen.

Ella Maillart reiste ohne jeden Komfort. Und Sie?

Ich war mit dem Zug unterwegs. Nach Möglichkeit übernachtete ich in den Hotels, in denen die Einheimischen übernachteten. Im Zug wurde ich auch angesprochen und eingeladen. So konnte ich Gast bei einer Familie sein. Das war ein unglaubliches Erlebnis.

Waren die Achtzigerjahre nicht eine wundervolle Zeit fürs Reisen?

Man hatte das Gefühl, wirklich etwas entdecken zu können. Es war noch nicht alles so vororganisiert. Es gibt auch heute unerschlossene Orte, aber es sind weniger geworden. In der letzten Zeit reise ich vor allem an Orte, mit denen ich irgendwie verbunden bin. Ich bin sehr gerne in den Bergen und in der Natur, in den Schweizer Alpen, in den Anden, im Kaukasus oder letztes Jahr sogar in der Antarktis, wo ich auch Bergsteigen und Skifahren kann. Wenn ich Fernreisen unternehme, geht es mir vor allem um den Kontakt mit fremden Kulturen und Menschen – die letztlich gar nicht so fremd sind, wenn man sich auf sie einlässt.

Was heisst für Sie fair unterwegs sein?

Im Grossen und Ganzen hat fair unterwegs sein für mich mit Anstand zu tun. Dass man sich überlegt, wie das eigene Verhalten auf die Gastgeber wirkt. Dass man sich bewusst ist, dass die Gastgeber auch Bedürfnisse haben und es nicht schätzen, wenn ihnen jeder ins Haus schaut oder Massen von Touristenbussen ins Dorf fahren und sie in ihrem Alltag stören.

Sie setzen sich für den Abbau von Regulierungen ein. Viele Probleme im Tourismus kommen aber daher, dass die Branche praktisch ohne Schranken Küsten, Berge oder sonstige besonders schöne Gebiete verbaut, sich über Umweltgesetze und die Bedürfnisse der lokalen Wirtschaft hinwegsetzt, keine Steuern zahlt, oft keine Arbeitsplätze für die Lokalbevölkerung schafft, sondern eigene Mitarbeitende ins Land bringt, und schliesslich die Gewinne aus dem Land abzieht. Oft werden dabei auch Menschenrechte verletzt.

Das SECO setzt sich nur für den Abbau von unnötigen Regulierungen ein. Selbstverständlich ist der schonende Umgang mit der Umwelt auch für das SECO ein wichtiges Anliegen. Dies gilt auch für die Einhaltung der Menschenrechte. Diesbezügliche Missbräuche sind zu verhindern. Zugunsten des Tourismus gilt es festzuhalten, dass die Tourismuswirtschaft immerhin weltweit die Branche ist, die am meisten Arbeitsplätze bietet. Dies ist ein wichtiger Grund, weshalb sich das SECO im Rahmen der wirtschaftlichen Entwicklungszusammenarbeit dafür einsetzt, insbesondere eine nachhaltige touristische Entwicklung in den Partnerländern zu fördern. Ziel dabei ist es, soviel wie möglich interessierte und betroffene Kreise bei der touristischen Entwicklung teilhaben zu lassen, damit möglichst eine breit abgestützte lokale Wertschöpfung erbracht werden kann und Möglichkeiten entstehen, die lokal erzielten Erträge auch wieder vor Ort zu investieren. Ferner unterstützt das SECO auch die Verbesserung der touristischen Ausbildungsmöglichkeiten und fördert deshalb Zusammenarbeitsmöglichkeiten zwischen lokalen Ausbildungsinstitutionen und den Tourismus- und Hotelfachschulen in der Schweiz.

Das SECO setzt sich auch für den Aufbau des Fairen Handels ein.

Wir erhoffen uns, damit die lokale Wertschöpfung zu steigern und die Umweltressourcen zu schonen. Wir haben ja mit Hilfe des arbeitskreises tourismus & entwicklung erreicht, dass zwei Schweizer Reiseveranstalter ihre Südafrikareisen über die Gütesiegelorganisation Fair Trade in Tourism South Africa nach den Prinzipien des Fairen Handels zertifiziert haben. Das ist ein kleiner Schritt in Richtung fairerer Handelsstrukturen.

Das SECO hat uns vor fünf Jahren mit einer Anschubfinanzierung geholfen, unser Reiseportal www.fairunterwegs.org aufzubauen, mit dem wir den Reisenden Tipps und Hintergründe liefern, damit sie fair unterwegs sein können. Wie gefällt Ihnen das Portal?

Ich finde es gut, dass ihr mit Instrumenten wie der Transportenergiebilanz den Reisenden Entscheidungshilfen liefert, wie sie nachhaltiger reisen können. Was mir aber besonders gefallen hat, ist Euer Tipp, sich Zeit zu nehmen. Das hat schon mit Nachhaltigkeit zu tun. Es ist ja auch ökologisch nicht sinnvoll, für zwei Tage Aufenthalt eine Flugreise zu unternehmen. Aber genauso wichtig ist: Nur wer sich Zeit nimmt, kann auch auf die Leute eingehen und erfahren, wie sie denken. Wer so reist, hakt nicht einfach Orte ab, sondern macht die Reise zu einem ganzheitlichen Erlebnis.

Was wäre ihr Wunsch, damit der Tourismus nachhaltiger wird?

Ich würde mir wünschen, dass man mit der Bautätigkeit vorsichtiger umgeht. Ich sah so viele Orte, die verschandelt wurden durch unschöne Projekte. Ich bin nicht dagegen, dass man baut. Aber man sollte einen gewissen Standard einhalten und nach einer vernünftigen Raumordnung bauen, statt schöne Landschaften zu zersiedeln. Hier würde ich mehr Nachhaltigkeit wünschen. Ich hoffe natürlich, dass immer mehr Fernreisende sich schon vor der Reise besser mit fremden Kulturen und exotischen Lebensräumen auseinandersetzen werden und so besser vorbereitet Reisen in Entwicklungsländer unternehmen werden. Damit können sie direkt einen Beitrag zur Nachhaltigkeit in diesen Ländern leisten und gleichzeitig vielleicht auch zusätzliche Erfahrungen wieder nach Hause nehmen. Das Reiseportal www.fairunterwegs.org ist eine gute Vorbereitung dazu.

Ella Maillart: Verbotene Reise. Von Peking nach Kaschmir. Lenos Verlag, Basel 2010, Übersetzt von Hans Reisiger, 316 Seiten, CHF 15.00, Euro 9.95 (unverbindliche Preisangaben). ISBN 978-3-85787-741-4