fairunterwegs: Die ökumenische Kampagne 2022 befasst sich mit der Klimagerechtigkeit. Was bedeutet das konkret?   

Stefan Salzmann: Klimagerechtigkeit bedeutet, dass Länder, die die Hauptverantwortung an der Erderwärmung tragen, in der Verantwortung stehen, global für die Folgen und Schäden des Klimawandels einzustehen. Von den Auswirkungen des Klimawandels sind vorrangig Länder betroffen, welche wenig zum Problem beigetragen haben und nicht über die finanziellen Mittel für nötige Schutzmaßnahmen und Anpassungskosten verfügen. Ausserdem müssen zukünftige Generationen das Problem lösen, obschon sie heute nicht die politischen Entscheidungen fällen. Es gibt also geografische und zeitliche Aspekte von Klimagerechtigkeit. 

Welche Auswirkungen des Klimawandels sind im globalen Süden bereits spürbar?  

Auswirkungen sind lokal verschieden. Küstenregionen sind vom Meeresspiegelanstieg oder von immer stärker werdenden extremen Wettern (z.B. Taifune auf den Philippinen) betroffen. In trockenen und halbtrockenen Gebieten steigt die Wahrscheinlichkeit von Dürren. Verschobene Jahreszeiten beeinflussen den Zeitpunkt des Regenfalls für Bewässerung. In Bergregionen ist im Herbst nicht mehr genug Schmelzwasser da und durch das Abschmelzen von Gletschern und Permafrost steigen die Gefahren von Wasserknappheit und Hangrutschen.  

Welche Auswirkungen hat der Klimawandel auf die Menschen, die im Süden im Tourismus arbeiten?  

Dies hängt von den lokalen Auswirkungen der Klimaerwärmung ab. Extreme Wetterereignisse halten die Touristinnen davon ab, Reisen anzutreten. Dürren führen zu Ernteausfällen – ich stelle es mir sehr schwierig vor, Gästen in teuren Hotels volle Buffets zu präsentieren und gleichzeitig die Familie hungernd zu wissen.  

Im Rahmen der ökumenischen Kampagne fordert ihr dazu auf, der Bundesrätin Frau Sommaruga eine Postkarte zu schicken. Wo hat die Schweizer Mobilitäts- und Tourismuspolitik Verbesserungspotenzial in Sachen Klimagerechtigkeit?   

In der Mobilität geht es um «weniger» und «anders». Unsere Gesellschaft ist zu mobil, das betrifft auch das Reisen. Eine Woche Ferien auf den Malediven unterstützt deren Einnahmen durch den Tourismus und führt gleichzeitig zum Untergang der Inseln – im wahrsten Sinne des Wortes. Eine Flugticketabgabe wäre ein erster Schritt, der zu Verhaltensänderungen beitragen könnte und ausserdem ein Mittel, verursachgergerecht zu mehr Beiträgen für die Klimafinanzierung zu kommen. 

«Anders» reisen bedeutet für mich, die Wahl des Verkehrsmittels zu überdenken. In Europa kommt man im Zug überall hin. Aber buchen sie mal ein Ticket von Zürich nach Glasgow – ich habe das getan letzten November, um an die Klimakonferenz zu fahren. Erst nach mehreren Telefonaten und Besuchen am Schalter wusste bei der SBB jemand, dass die SBB diese Tickets gar nicht ausstellen kann. Man müsste den Leuten das Zugfahren einfacher machen – denn Zugfahren ist eigentlich eine entspannte Art des Reisens. Wann hat man im Alltag schon mal mehrere Stunden freie Zeit am Stück 

"Aus lokaler Sicht stelle ich es mir sehr schwierig vor, Gästen in teuren Hotels volle Buffets zu präsentieren und gleichzeitig die Familie hungernd zu wissen."

Unser Anliegen ist es, einen nachhaltigen und fairen Tourismus zu fördern. Wo liegen Deiner Meinung nach die grössten Chancen des Tourismus zu mehr Klimagerechtigkeit beizutragen?  

Interkontinentale Reisen sind etwas Tolles! Es braucht aber Zeit, sich auf das Besondere einzulassen. Ein Trip für 10 Tage reicht dafür nicht. Interkontinentale Reisen, alle 10 Jahre auch mal per Flugzeug, sollen mehr Wertschätzung bekommen. 

Gleichzeitig gibt es in der Nähe vieles zu entdecken. In der Corona Pandemie waren die Hotels im Tessin ausgebucht und niemand hat im Nachhinein gefunden, dass die Ferien nicht gut waren. Ein klimagerechter Tourismus setzt Ressourcen sparsam ein, nutzt öffentlichen Verkehr und erfreut sich an lokalen Besonderheiten – z.B. kulinarische Spezialitäten oder an einer intakten Alpenlandschaft. 

«In der Fastenaktion geht es um Verzicht», schreibt ihr. Doch das Wort Verzicht meiden Politikerinnen wie der Teufel das Weihwasser. Wie kann man der Gesellschaft den Verzicht – zum Beispiel weniger weit reisen – schmackhaft machen?  

«Verzicht» ist die eine Seite der Medaille. Schauen wir uns die andere an – da steht «Gewinn». Man kann zum Beispiel durch den Verzicht auf mehr Einkommen «Zeit» gewinnen. Mehr Zeit bedeutet weniger Stress, mehr Momente mit lieben Menschen und Hobbys, Sport, Velotouren. Der Corona-Lockdown hat uns zur Entschleunigung gezwungen – und viele haben das langsamere Tempo im Alltag als positiv empfunden. Es ist klar, dass diese Pandemie auch viele Sorgen verursacht hat – ich möchte hier nur auf den Aspekt Zeit hinweisen. 

Weniger Reisen ist für mich nicht mal zwingend. «Anders Reisen» reicht bereits, langsamer, mit Zeit für die schönen Dinge entlang des Weges. Es gibt so viel zu sehen, die Welt, in der wir leben, hat viel zu bieten. Alle, die das erleben, werden eine positive Erfahrung machen und nicht von «Verzicht» sprechen im Nachhinein. Diese Geschichten können wir erzählen, ohne von «Verzicht» und «Entbehrung» zu reden und ohne schlechtes Gewissen beim Gegenüber zu provozieren – diese positiven Aspekte sind meiner Meinung nach der Schlüssel.  

«Verzicht» ist die eine Seite der Medaille. Schauen wir uns die andere an – da steht «Gewinn». 

Und noch die Bonusfrage: Für viele heisst Ferien machen Energie tanken – was sagst Du als Experte für Energiepolitik dazu? 

Dem gebe ich 100% recht. Energie tanken kann verschiedene Aspekte haben. Schlaf und körperliche Erholung zum Beispiel. Um hier ein Maximum herauszuholen, entscheide ich mich dazu, nicht viel Reisestress auf mich zu nehmen. Ruhe und Abgeschiedenheit sowie ein gemütliches Zimmer finde ich in der Schweiz an vielen Orten. Manchmal brauche ich aber auch neue Kopf-Energie. Das bedeutet Abwechslung und Aktivität, körperliche Anstrengung kann dazu ein gutes Mittel sein. Am liebsten mache ich dann Hochtouren in den Bergen oder Skitouren im Winter. Ich komme müde, aber voller Energie wieder ins Flachland zurück.