Fair unterwegs mit Ursula Brunner, Bananenfrau der ersten Stunde
Welches Buch führt Sie auf die schönste Reise?
Ich habe viele Bücher, die ich immer wieder lese. Besonders gerne lese ich Biografien, vor allem von Frauen, die es schafften, nebst ihren Pflichten als Mutter-, Hausfrau, Berufsfrau noch zusätzliche Aufgaben zu übernehmen. Die Bücher von Dorothee Sölle waren für mein Leben wegweisend. Aber auch Biografien von Männern wie Martin Luther King oder Albert Schweizer. Die lese ich fast jährlich und sie faszinieren mich immer aufs Neue. Auch belletristische Werke begleiten mich, zum Beispiel "Hannas Töcher" von Marianne Fredriksson. Immer interessiert mich die Frage, was den Menschen so bewegt und antreibt, dass er über seine eigenen Grenzen hinauswächst. Ich lese gerne Literatur über den zweiten Weltkrieg. Über Menschen, die Widerstand geleistet haben und dabei zum Teil umgekommen sind. Diese Bücher geben mir Kraft und Einsichten und Erkenntnisse.
Wie würden Sie denn die Frage beantworten, was Menschen dazu treibt, über die eigenen Grenzen hinauszuwachsen? Und was Sie dazu getrieben hat?
Ich weiss es nicht. Es sind wohl Situationen, Umstände. Für mich ist es das Wort und der Begriff der Gerechtigkeit. Das hat mich schon als junger Mensch geleitet. Schon früh musste ich eingreifen, wenn Unrecht geschah, fragen "Warum tun Sie das?". Es ist wichtig, sich nicht damit zu begnügen, es einfach selber gut zu haben. Ich wuchs in einem sehr sozialen Elternhaus auf, meine Mutter war immer wohltätig. Der zweite Weltkrieg begann, als ich vierzehn war und endete, als ich zwanzig war. Es war eine eindrückliche Zeit. Meine Eltern luden Polen und Franzosen ein, die in der Schweiz als Flüchtlinge lebten. Wir hatten eine ältere Schwester, die in Luzern in Hotels arbeitete, wo jüdische Flüchtlinge lebten. Sie brachte immer wieder Flüchtlinge übers Wochenende nach Hause mit. Viele behaupteten bei der Diskussion um die nachrichtenlosen Vermögen, man habe damals nicht gewusst, was in Deutschland geschah. Das stimmt nicht. Man hat es gewusst! Ich habe mich immer gewundert über das Schweigen vor dem Unrecht. Warum standen wir nicht hin? Darum finde ich Biografien mutiger Menschen so wichtig.
Wie haben Sie sich nach dem Krieg engagiert?
Ich habe schnell nach Kriegsende geheiratet und lebte als Pfarrfrau in Frauenfeld. Da lebten einige aus Deutschland geflohene Ehepaare, wo der eine Partner aus Ostpreussen oder Pommern war, der andere Schweizer. Ich erinnere mich, wie ich als 21-jährige Pfarrfrau zu den ersten Weihnachten Adventskränze buk und sie per Velo verteilte.
Wie sind Sie auf die Banane gekommen?
Erst Ende der 60er-Jahre haben wir mitbekommen, wie die Weltwirtschaft immer nur für die Reichen funktioniert. Darum waren die Bananen so billig. Es gab dazu auch einen Film*. Wir waren sieben Frauen mit dem gleichen Gedanken. Wir sagten "Nein, eine solche Welt wollen wir nicht." Am 20. Oktober 1973 begannen wir mit den ersten Aktionen und fragten die Leute. "Habt ihr auch schon darüber nachgedacht, warum die Bananen so billig sind?" Viele reagierten mit: "Geht doch nach Moskau", oder "Bleibt lieber bei Kind und Mann!". Doch einige fanden die Idee gut und wichtig. Nach einem Fernsehbericht über die Aktion erhielten wir viele Reaktionen. So begannen wir mit Vorträgen und Dokumentationen. Wir wussten damals ja selber noch nicht viel. Aber wir entdeckten immer mehr von dem haarsträubenden Unrecht. Als vordringliche Aufgabe sahen wir die Bewusstseinsbildung. Damit hatten wir auch guten Erfolg. Nach 12 Jahren hatten wir so in der ganzen Schweiz Bananenfrauen. Wir verkauften erst Chiquita und Dôle-Bananen mit 15 Rappen Aufpreis. 1976 ging ich erstmals nach Zentralamerika auf eine Plantage und danach während 20 Jahren immer wieder. Ich verhandelte mit Gewerkschaften und Regierungen und forderte Bananen, die nicht über die Transnationalen Konzerne gehandelt sind. Immer wieder erlitten die Gewerkschaften Gewalt von der Chiquita oder Monsanto. 1986/86 lief der Contra-Krieg gegen die sandinistische Regierung in Nicaragua. Das Land konnte seine Bananen nicht mehr in die USA exportieren. Da sahen wir die Chance. Wir importierten die Bananen und vertrieben sie in Drittweltläden und kleineren Bioläden. 1987 gründeten wir einen Verein. Bisher waren wir eine Bewegung, aber wir mussten jetzt so viel verhandeln und waren marktwirtschaftlich gefordert. Das Projekt für Bananen aus dem gerechten Handel (Gebana – Gerechter Bananenhandel) war unglaublich gut. Wir zahlten einen guten Preis und einen Aufpreis von 15 Rappen für Entwicklungsprojekte. Mal eine Kinderkrippe, ein kleines Spital. Wir hatten eine gute Zusammenarbeit zwischen der Direktion der Plantage und der Regierung sowie mit Oxfam, welche die Projekte durchführte.
Der faire Bananenhandel ist eine Erfolgsgeschichte geworden.
Ja, als 1991 die Sandinisten in Nicaragua abgewählt wurden, kehrten die Neoliberalen aus Miami zurück und innert zweier Jahre waren die Bananenplantagen völlig ausgedörrt, weil sie nichts mehr investierten. Wir fanden unabhängige Produzenten in Costa Rica. Danach hat sich viel verändert. Mit dem Havelaar Label hielten die Bananen Einzug bei den Grossverteilern Coop und Migros. Wir konnten "unsere" Bananen nicht belabeln lassen. Also gaben wir 1997 dem Verein neue Statuten und nannten ihn Terrafair – Verein zur Förderung und Unterstützung des Fairen Handels. Gebana wurde zu einer Aktiengesellschaft, die den Fairen Handel u.a. mit Sojabohnen aus Brasilien und Trockenfrüchten wie Mango, Ananas, Datteln aus Afrika weiterführte. Eine Zeit lang sass ich dort noch im Verwaltungsrat. Das Geschäft mit solchen Produkten ist riskant, Gebana hat viel vorfinanziert, manchmal war die Ernte schlecht. Erst vor eineinhalb Jahren schrieb die Gebana das erste Mal schwarze Zahlen.
Wäre der faire Handel nicht auch ein gutes Modell für den Tourismus?
Ich weiss nicht so recht, was das in dieser Branche beinhalten würde. Aber grundsätzlich finde ich das total wichtig. Ihr müsst Zeichen setzen, dass der Tourismus nicht einfach so weitergehen kann wie er angefangen hat. Positivbeispiele aufzeigen, wo es besser läuft.
Sie haben letzten Oktober eine Projektreise in die Dominikanische Republik organisiert.
Die Dominikanische Republik wählte ich als Reiseziel, weil mein Sohn seit sechs Jahren dort arbeitet. Er ist Ankäufer von Kakao und hat sich sehr für faire Handelsbedingungen eingesetzt. Jetzt arbeiten bis zu 1’400 Produzenten nach Fairhandelsrichtlinien. Mein Sohn und ich haben intensiv Erfahrungen miteinander ausgetauscht. Er hatte – wie ich – auch einen kritischen Blick auf den fairen Handel und das Label. Die KonsumentInnen verlangen immer Eindeutigkeit. Aber vor Ort ist vieles zweideutig und voller Schwierigkeiten. Die KonsumentInnen wollen Gewähr, dass es den Bananenbauern jetzt besser geht. Aber das braucht Zeit und ein subtiles Vorgehen, sonst geht der Schuss hinten raus. Labels können der Kundschaft auch Sand in die Augen streuen. Man kann nicht alles kontrollieren. Der gerechte Handel ist eine Notwendigkeit. Wenn wir ihn nicht verwässern wollen, müssen wir als Kundschaft wach bleiben und uns nicht einfach auf die Ruhebank setzen und auf Labels vertrauen. Im Moment ist die Nachfrage nach Fairtrade-Kakao gleich Null. Also müssen die 1’400 Produzenten wieder konventionell verkaufen und die Vergünstigungen fallen dahin. Coop verkauft zwei bis drei Fairtrade-Schokoladen und der Rest sind teure Luxusschokoladen. Ohne Druck der KonsumentInnen geht nichts, wir müssen den Druck aufrechterhalten.
Wie fair waren Sie unterwegs in der Dominikanischen Republik?
Ich bin bis dahin nicht auf den Gedanken gekommen, dass sich auch dort Fragen nach den Bedingungen in den Hotels oder den Folgen der Fliegerei stellen. Als mich Christine Plüss, die Geschäftsleiterin des arbeitskreises tourismus & entwicklung, darauf aufmerksam machte, war die Reise schon zu weit geplant. Aber wir haben den TeilnehmerInnen zumindest nahe gelegt, den CO2-Ausstoss des Fluges zu kompensieren. Nächsten November organisieren wir wieder eine Projektreise. Da werden wir das anders aufgleisen können.
Da könnten sie das fairunterwegs-Reiseportal als Ressource für Ihre Planung nutzen.
Ich bin ein alter Mensch und war erst vor zehn Jahren erstmals am Computer. Heute benutze ich ihn für Briefe und Mails, aber nur ganz selten gehe ich aufs Internet. Deshalb bin ich leider auch noch nie auf Ihrer Seite gewesen.
Büchervorschläge:
- Albert Schweizer: Zwischen Wasser und Urwald. Erlebnisse und Beobachtungen eines Arztes im Urwalde Äquatorialafrikas, Verlag C.H. Beck (2008), 151 Seiten, SFr. 18.90, Euro 9.95, ISBN: 978-3406374883
- Dorothee Sölle: Und ist noch nicht erschienen, was wir sein werden. Stationen feministischer Theologie, Kreuz Verlag, 2006, ISBN 3-7831-2689-4
- Gerd Presler: Martin Luther King jr. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Rowohlt, Reinbek 2005, ISBN 3-499-50333-6
- Marianne Fredriksson: Hannas Töchter, Fischer Taschenbuch 2009, ISBN: 3-596-51080-5
Film: "Bananera Libertad" von Peter von Gunten (1971), zeigt die Gegensätze zwischen den harten Bedingungen in den Bananenplantagen und den billigen Bananen, die in Europa verkauft wurden und werden.