Falsch verstandene industrielle Entwicklung
Ich habe mich stets beklagt, dass etwas falsch läuft mit unserer Entwicklungsstrategie in Südafrika. Der Fokus ist auf die Städte gerichtet, während die ländlichen Gebiete noch immer unter Armut und Vernachlässigung leiden. Das Resultat: Millionen von Menschen ziehen auf der Suche nach einem Auskommen aus ländlichen Gebieten in die Städte und vergrössern die an den Stadträndern wuchernden Slums. Zu spät entdecken sie, dass die Strassen von Johannesburg nicht mit Gold gepflastert sind und Arbeitslosigkeit an der Tagesordnung ist. Selbst in städtischen Gebieten sind die bedürftigsten Mitglieder unserer Gesellschaft nur in der Rhetorik der Politiker ein Thema. In der Praxis gibt es nur ganz wenige Berührungspunkte.
Riesige finanzielle Mittel werden für die Versorgung der nationalen Eliten aufgewendet, damit diese ihren masslosen Geschmack auf Kosten der grossen Mehrheit der Arbeiter und der Arbeitslosen in den Ghettos befriedigen können. "Entwicklung" wird somit nur mit dem Bau von pompösen Konsumtempeln (Shopping Malls, Luxushotels usw.) gleichgesetzt, während die Produktionsstätten schrumpfen (z.B. weil die billigen chinesischen Produkte die einheimischen Fabriken eingehen lassen). Ein krasses Beispiel dieser falsch verstandenen industriellen Entwicklung ist der Gautrain – eine Luxus-Schnellbahn, die die 80 Kilometer zwischen Johannesburg und Pretoria via OR Tambo International Airport abdeckt. Man erhofft sich dadurch eine Entlastung der verkehrsreichsten Autobahn Afrikas.
Gross war die Aufregung im Februar 2009, als 150 geladene Gäste den Zug für die erste Fahrt bestiegen. Die in Derby, England, gefertigten Wagons sind weiträumig, komfortabel und bieten grosszügige Platz- und Sitzverhältnisse. Paul Mashatile, Premier der Provinz Gauteng, verkündete anschliessend freudestrahlend: "Jeder Fahrgast erlebte eine schnelle und angenehme Fahrt." Obschon dieses Projekt bis heute die Unsumme von 35 Milliarden Rands verschlungen hat (circa 4,2 Milliarden Franken), schämen sich die Behörden nicht, klar zu deklarieren, dass der Zug nie als alternatives Massentransportmittel gedacht war. Die Tatsache, dass keine seiner Haltestellen und Bahnhöfe in den schwarzen Townships liegen, beweist, dass er für die Schönen und Reichen gedacht ist, die sich zwischen den beiden Städten bewegen.
Gauteng als Motor der südafrikanischen Industrie- und Finanzbranche aber braucht ein Massentransportmittel im Dienst der Ärmsten, die zum grossen Teil Einwohner dieser Region sind. Sie werden durch das veraltete und störungsanfällige Bahnsystem und die unzuverlässigen und gefährlichen Minibus-Taxis, nicht oder nur schlecht bedient. Die bislang in den Bau des Gautrains gesteckten 35 Milliarden Rands hätten viel effizienter in ein Transportsystem investiert werden können, das mehr Menschen zugute gekommen wäre, als bloss den kleinen Eliten, die heute davon profitieren. Es mutet pervers an, dass diese immensen nationalen Ressourcen zum Vorteil einer Pendler-Elite verwendet werden, die über andere Transportalternativen verfügt.
Eine weitere Geschichte ist die Vergabe der Gautrain-Verträge und -Aufträge an politisch nahe stehende Firmen und Einzelpersonen in einer kapitalistischen Vetternwirtschaft, die Milliarden von Rand umsetzt. Wie wollte man es jemandem übel nehmen, der denkt, dass der Gautrain einzig zum Zweck konzipiert wurde, den Profiteuren des Black Economic Empowerment noch mehr Geld in die Taschen zu spülen und die politischen Seilschaften noch stärker abzusichern.
Die politischen Führer berufen sich auf die in der Bauphase geschaffenen 93’000 Arbeitsstellen und auf die über 3’000 neuen Arbeitsplätze bei Inbetriebnahme der Bahn. Doch die Arbeitsstellen beim Bau sind temporärer Natur. Und nur ein Narr wäre darüber begeistert, dass eine Investition von circa 4,2 Milliarden Franken lumpige 3’000 Stellen hervorgebracht hat!
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Zakes Mda (eigentlich Zanemvula Kizito Gatyeni Mda), geboren 1948, gehört zu Südafrikas bekanntesten Romanciers und Theaterautoren. Aufgewachsen in Soweto und in Lesotho, emigrierte er 1963 in die USA und studierte in Ohio. 1995 kehrte er nach Südafrika zurück. Neben dem Schreiben ist er auch als Dramaturg am Johannesburg Market Theatre und als Maler, Komponist und Filmemacher tätig, züchtet Bienen und leitet den Southern African Multimedia AIDS Trust in Sophiatown, Johannesburg. Seine Romane sind in zahlreiche Sprachen übersetzt. Auf Deutsch sind seine Romane «Der Walrufer» und «Die Madonna von Excelsior» beim Unionsverlag erschienen. Zakes Mda’s Werk wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Heute unterrichtet er an Universitäten in den USA und in Südafrika und lebt in Johannesburg und Ohio.
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Dieser Beitrag erschien in "Eine Welt" Nr. 2/2009 vom Juli 2009. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion "Eine Welt". Bild: www.ohio.edu;