Fattaneh Haj Seyed Javadi: In der Abgeschiedenheit des Schlafs. Erzählungen
(Dar chalvat-e chab, 2002. Aus dem Persischen von Susanne Baghestani)
Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 2004.
311 Seiten Fr. 35.80 / Euro 19.80
ISBN 3-458-17222-X
Von der 1945 geborenen iranischen Autorin, die mit ihrem Roman „Der Morgen der Trunkenheit“ grosse Erfolge im In- und Ausland feiern konnte, liegt nun ein Band Erzählungen vor. Sie schildert Männer und Frauen in der Mitte des Lebens, die zurückblicken auf vergangene Jahre mit ihren Schicksalsschlägen, Träumen und Illusionen. Über allen acht Texten liegt Nostalgie und die Melancholie von Enttäuschungen nutzlos vergangener Zeit, unerfüllter Wünsche. Sensibel zeichnet Javadi ihre Charaktere und schafft stimmungsvolle Lebensbilder.
Ein Beispiel dafür ist die Titelgeschichte „In der Abgeschiedenheit des Schlafs“. Die Ich-Erzählerin wälzt sich in ihren Laken und träumt von ihrem Liebsten. Die liebevoll gezeichneten Traumbilder evozieren ihre Kinder- und Mädchentage in Isfahan, wo sie zu einem Nachbarjungen Zuneigung fasst. Als die Freundschaft zwischen den jungen Leuten ruchbar wird, stellt sich ihr geliebter Bruder gegen die Ich-Erzählerin, da die Verbindung in den Augen beider Familien unpassend ist. Schliesslich findet die Hochzeit doch statt. Wenige Monate nach der Hochzeit erleidet das junge Paar einen Autounfall, bei dem der Mann stirbt und die Frau schwer verletzt wird. Wieder genesen, flieht sie ins Ausland zu ihrem inzwischen verheirateten Bruder, um der Trauer zu entkommen. Schliesslich geht sie eine Vernunftehe mit einem Landsmann ein, bekommt Zwillinge. Sie erlebt diese zweite Ehe als Verrat an ihrem ersten Mann. Als ihr Sohn heiratet, erzählt sie ihren Kindern von ihrer ersten Liebe und von dem verhängnisvollen Unfall. Sie erkennt, wie sehr sie ihrem zweiten Ehemann und ihren Kinder Unrecht getan hatte durch ihre „Treue“ zu ihrem verstorbenen Geliebten. Dennoch nimmt diese Erzählung ein versöhnliches Ende.
Wie in der Titelgeschichte haben Familie und Ehe einen zentralen Stellenwert in Javadis unspektakulären, ruhig fliessenden Erzählungen. Doch in den Seelen der Protagonisten brodelt es. Unfälle, Krieg und Mord sind als Schicksalsschläge allgegenwärtig und bringen viel Leid. Die Ich-Erzähler der Geschichten sind einmal Frauen, dann Männer – beengend und bedrückend sind ihre Berichte. Die geschilderten Missverständnisse und unglücklichen häuslichen Verhältnisse stehen in scharfem Gegensatz zur äusseren Form und werfen so ein indirektes Licht auf die gesellschaftlichen Gegebenheiten. Weitgehend ausgeklammert sind die politischen und gesellschaftlichen Veränderungen im Iran.
Ruth Macauley
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