Fazit zum Millenniumsgipfel: Ein Moment des Nachdenkens vor dem Schlussspurt
"Wir müssen es tun, wir wollen es tun und wir können es tun", ermahnte Joseph Deiss, der Präsident der Uno-Generalversammlung, die Vertreter/innen von über 140 Ländern zu Beginn des Uno-Gipfels, an welchem sie diese Woche Bilanz über die Millenniumsziele zogen. Die Ziele erreichen "müssen" und dies auch "können" – davon war in diesen Tagen oft die Rede. Aber sie auch erreichen wollen und dazu gar griffige Massnahmen beschliessen? Davon ist in der Schlusserklärung wenig zu lesen.
In den Reden der Staatsoberhäupter wurde zwar immer wieder auf die Notwendigkeit des politischen Willens hingewiesen, aber von konkreten Massnahmen wurde nur selten gesprochen. Mehrfach wurde beklagt, die Auswirkungen der Finanz-, Klima- und Hungerkrisen würden vor allem die Ärmsten betreffen, was ungerecht sei. Von den reichen Ländern war dann aber zu hören, dass die Gelder für Entwicklungszusammenarbeit nicht unerschöpflich seien und es gelte, auch im eigenen Land den Wohlstand zu erhalten. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel verlangte etwa, dass beschränkte Mittel resultatsorientierter eingesetzt werden und dass die Entwicklungsländer doch bitte endlich die Anforderungen "guter Regierungsführung" erfüllen möchten.
Aufgeschlossener zeigte sich da der britische Entwicklungsminister Mitchell, der daran erinnerte, dass es nicht reiche, bloss von den Entwicklungsländern mehr Transparenz zu fordern. Es gelte auch, die eigenen Versprechen für mehr Geld einzuhalten und dafür zu sorgen, dass der internationale Privatsektor zu mehr Transparenz in seinen Finanzflüssen finde.
Grossbritannien zumindest werde 2013 das Uno-Ziel von 0,7% für Entwicklungszusammenarbeit erreichen. Ob es die reiche Schweiz bis 2015 auch noch auf 0,5% schaffen wird, wie vom Bundesrat kurz vor dem Gipfel versprochen?
Neue Quellen für zusätzliche Mittel
An einem von Frankreich, Japan, Belgien und Spanien organisierten Side-Event herrschte Einigkeit, dass es zur Halbierung der Armut bis 2015, zusätzlich zu den versprochenen Hilfsgelder, innovative Finanzierungsmechanismen brauche. Die 60 Mitglieder der sogenannten "leading group", die sich mit der Machbarkeit solcher Mechanismen beschäftigen, haben zwar noch keinen Konsens, welcher Mechanismus nun der Beste sei. Aber immerhin werden mit der von Frankreich und Brasilien bereits eingeführten Flugticketabgabe über 1,5 Milliarden Dollar pro Jahr eingenommen, die in einen Uno-Fonds zur Bekämpfung von Malaria und HIV/Aids fliessen.
Der französische Aussenminister Kouchner rief die Anwesenden auf, sich umgehend für eine Besteuerung von Finanztransaktionen einzusetzen. Eine Besteuerung von 0,005% würde schätzungsweise über 40 Milliarden Dollar freisetzen. Und das seien ja lediglich 5 Cents von 1000 Dollar, was dem Finanzsektor doch zuzumuten sei.
Wie auch immer ein künftiger Finanzierungsmechanismus aussehen wird, klar scheint nach dem Millenniumsgipfel: eine der möglichen Varianten wird eingeführt, wie von Hilfswerken wie Fastenopfer seit Jahren gefordert. Da wäre die Schweiz gut beraten, sich von ihrer diesbezüglichen Verhinderungsstrategie abzuwenden und sich angesichts ihrer mageren Entwicklungshilfe-Quote von noch nicht einmal 0,5% beherzt hinter dieses Anliegen zu stellen.
Mehr Gerechtigkeit bei den Steuern
Auch in einer anderen, oft angesprochenen Herausforderung wird die Schweiz weiter unter Druck kommen, wenn sie nicht bald ihre Strategie ändert: kaum jemand bestritt hier in New York, dass es für Entwicklungsländer zentral sei, selber Steuern zu erheben. Natürlich bedeutet dies einerseits, Regierungsführung und Steuerwesen in den Ländern des Südens zu verbessern. Es bedeutet aber auch, dass Steuerschlupflöcher für Private und für transnationale Unternehmen gestopft werden müssen. Auch hier tritt die Schweiz auf die Bremse: sie möchte den Informationsaustausch in Steuersachen, welche sie im Rahmen der OECD vereinbart hat, den Entwicklungsländern nicht gewähren. Und sie weigert sich bis heute, den Entwicklungsländern, anders als den Ländern der EU, die Zinsbesteuerung von in der Schweiz liegendem Privatkapital zu gewähren. Bundesrätin Micheline Calmy-Rey hatte dies jedoch bereits 2008 im Rahmen einer Uno-Konferenz für Entwicklungsfinanzierung in Doha in Aussicht gestellt.
Wie weiter nach dem Uno-Gipfel?
War der Gipfel diese Woche in New York angesichts der mageren Resultate nichts als verschwendete Zeit und verschleudertes Geld, das besser in direkte Hilfe geflossen wäre? Keineswegs! Denn die Konferenz zwang alle Uno-Mitglieder individuell und die Uno als Ganzes, einen Schritt zurückzutreten und Bilanz zu ziehen. Dabei wurde klar, dass es zusätzliche Anstrengungen braucht, wenn die Millenniumsziele bis 2015 doch noch erreicht werden sollen.
Zudem gab es – unter anderen auch durch unsere Aussenministerin – durchaus kritische Stimmen, die dazu aufriefen, die Entwicklungsproblematik insgesamt zu überdenken. Dies bedeutet nicht, dass sich die Staatengemeinschaft nun von den Millenniumszielen verabschieden sollte. Aber es bedeutet, dass die Weltgemeinschaft angesichts der keineswegs überwundenen Finanz-, Klima- und Hungerkrisen vor grundsätzliche Herausforderungen gestellt ist. Sie muss ihre globalen Gouvernanzstrukturen anpassen, sie muss dafür sorgen, dass die Menschenrechte überall und für alle gelten und sie muss alle Mittel zur Verfügung stellen, damit die Armut in der Welt ausgemerzt werden kann.
Das alles ist möglich. Es braucht aber den entsprechenden politischen Willen. Oder wie Pascal Lamy, der WTO-Generaldirektor, sagte: "Wollen heisst können". Es ist noch nicht zu spät, aber es ist mindestens fünf vor zwölf – bis 2015 dauert es nur noch fünf Jahre.