Basel, 09.02.2012/10.02.2012/01.03.2012, akte/ Letzten Dienstag wurde der maledivische Präsident Mohamed Nasheed unter vorgehaltener Waffe zum Rücktritt gezwungen. Damit endet der politische Frühling der Malediven, der 2008 mit der demokratischen Wahl Nasheeds begonnen hatte. Ein islamischer Frühling, zwei Jahre vor dem arabischen Frühling, bei dem sich die Bevölkerung nach dreissig Jahren leidvoller Diktatur unter Maumoon Abdul Gayoom entschieden hatte, den Weg der Demokratie zu beschreiten.

Mohamed Nasheed, ein Bürgerrechtler und im Westen ausgebildeter Journalist, hatte entgegen dem Rat vieler seiner Mitstreiter darauf verzichtet, gegen Gayoom und seine Helfershelfer vorzugehen und sie für ihre Menschenrechtsverletzungen ins Gefängnis zu bringen. Er hoffte, sein Vorgänger möge sich nach dreissig Jahren der totalen Kontrolle über das Land einfach zurückziehen. Doch es kam anders. Von Anfang an wurde Nasheed in allen seinen Regierungsprojekten von Gayoom-Anhängern ausgebremst, die weiterhin die Kontrolle über die meisten politischen und privaten Institutionen hatten. Die Tourismusbranche, die Medien und vor allem die Gerichtsbarkeit wurden immer noch von nahen Verwandten und reichen, mächtigen Unterstützern von Gayoom beherrscht.

Verlorener Kampf gegen die Kumpanei

Die Unruhen waren vor drei Wochen zum Ausbruch gekommen, als das Militär den Obersten Strafrichter und Schützling von Gayoom, Abdulla Mohamed, verhaftete und auf die militärische Basis der Insel Girifushi brachte – dieselbe Insel, auf der Präsident Nasheed seine berühmte Unterwasser-Kabinettsitzung gegen die Klimaerwärmung durchgeführt hatte. Schon seit 2005 liegt eine umfangreiche Liste von Anklagen gegen Abdulla Mohamed vor, die von politischer Parteilichkeit über Frauenhass bis zu Verbrüderung mit Schwerverbrechen enthält. Die Anschuldigungen wurden von der Kommission für Gerichtsdienste untersucht, eine Art Gerichts-Kontrollbehörde. Ein Haftbefehl wurde auch gegen den früheren Verteidigungsminister Tholhath Ibrahim ausgestellt. Anhänger der Gayoom-Regierung protestierten daraufhin täglich, unter ihnen auch Polizisten.

Die Verhaftungen führten zu einer Verbrüderung der bisher zerstrittenen Opposition von Gayoom-Anhängern und Anhängern der "Schütze den Islam"-Bewegung, die in den letzten Monaten mit öffentlichkeitswirksamen Auftritten Anhänger gewonnen hatte. Unterstützt von abtrünnigen Polizeikräften griffen sie das Hauptquartier der maledivischen Streitkräfte an. Etwa 60 bis 70 Soldaten liefen zu den Umstürzlern über, die kurz danach den staatlichen Sender übernahmen und ihn auf Television Maldives (TVM) umtauften – wie er unter der Regierung Gayoom geheissen hatte.

Am Dienstagnachmittag wurde Präsident Mohamed Nasheed gegen seinen Willen festgehalten und gezwungen, seinen Rücktritt in einer Fernsehübertragung bekanntzugeben. Er tat dies mit den Worten: "Ich trete zurück, weil ich nicht zu den Menschen gehöre, die mit Hilfe von Gewalt regieren wollen. Ich glaube, um an der Macht zu bleiben, wäre der Einsatz von Gewalt nötig, die auch der Bevölkerung schaden würde." Kurz darauf wurde Vizepräsident Mohamed Waheed Hassan Manik zum Regierungschef vereidigt. Er soll die Staatsgeschäfte leiten, bis Wahlen stattfinden, die für 2013 vorgesehen sind. Waheed lobte den "selbstlosen Einsatz der Polizei" zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung.

Repressives Vorgehen gegen die Entmachteten

Die neuen Herrscher gehen nicht so rücksichtsvoll mit ihren politischen Gegnern um wie seinerzeit Nasheed, der auch der "Mandela der Malediven" genannt wird. Die "Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung" erinnert stark an die Jahre der Diktatur. Die Polizei ging mit Schlagstöcken gegen demonstrierende AnhängerInnen der Nasheed-Regierung vor, griff die Parteizentrale der Regierungspartei Maledive Democratic Party (MDP) an und nahm Anhänger der MDP fest. Zahlreiche der friedlich Demonstrierenden mussten mit schweren Verletzungen im Spital behandelt werden, berichten Augenzeugen. Von den gewaltsamen Übergriffen berichteten auch Parlamentsabgeordnete und die Vorsitzende der MDP, Mariya Didi.

Beamte der Drogenfahndung holten Alkoholflaschen und "andere illegale Drogen" aus dem Haus von Nasheed, die sie dort angeblich gefunden hatten. Er soll des Besitzes von Alkohol und anderen Drogen, der Korruption und des Machtmissbrauchs angeklagt werden, fordern die Anhänger von Gayoom. Der neue Präsident Washeed machte gestern seine Position klar: Nasheed sei frei, das Land zu verlassen. Er werde sich aber einem Gerichtsverfahren gegen seinen entmachteten Vorgänger nicht entgegen stellen.

Doch Mohamed Nasheed will im Land bleiben. Nach vielem Leid, dass er unter der Herrschaft von Gayoom auf den Gefängnisinseln erlebt hat, und nach den zahlreichen Demütigungen durch korrumpierte Richter und unfaire Gesetze, will er weiter für eine pluralistische, freie Zivilgesellschaft kämpfen.
In einem Blogeintrag auf der Website der New York Times schrieb er gestern: "Die Probleme, denen wir auf den Malediven gegenüber stehen, sind eine Warnung für andere muslimische Staaten, die sich in einem demokratischen Wandlungsprozess befinden. Sich mit dem korrupten System der Vetternwirtschaft auseinander zu setzen, das uns das frühere Regime hinterlassen hat, fühlt sich bisweilen wie ein Ringkampf mit einer Hydra an: Kaum hat man an ihr einen Kopf abgeschnitten, wachsen zwei nach. Mit Geduld und Beharrlichkeit kann das Biest besiegt werden. Doch die Malediven mögen den aufkeimenden Demokratien anderswo eine Lektion sein: Der Diktator kann innerhalb eines Tages entfernt werden, aber all die nachwirkenden Überbleibsel seiner Diktatur auszumerzen kann Jahre dauern."

Islamismus gefährdet den Tourismus

Die Lage im Land ist explosiv, und die politischen Unruhen gefährden die Entwicklung des Landes, dessen Wirtschaft zu siebzig Prozent vom Tourismus abhängig ist. Dass die Gayoom-Anhänger auf die Karte des Islam setzen, könnte sich auch als Bumerang erweisen. Der sunnitische Islam ist die alleinige Staatsreligion der Malediven. Bedingung für die maledivische Staatsbürgerschaft ist das muslimische Glaubensbekenntnis. Religionsfreiheit wird ausdrücklich ausgeschlossen. Letzten Dezember demonstrierten Tausende von Islamisten gegen "anti-islamische Aktivitäten" in den maledivischen Touristenresorts. Sie stiessen sich am Alkoholverkauf und betrachteten die Wellness-Centers mit ihrem schicken Massage- und Beauty-Angebot als Bordelle. Die Regierung beugte sich dem Druck der Islamisten und ordnete die Schliessung der Wellness-Center in Hunderten von Luxushotels im ganzen Land an. Nach dem weltweiten Aufschrei der Branche und der Reisenden wurde das Verbot der Wellness-Anlagen fünf Tage später wieder aufgehoben. Das Oberste Gericht sollte nun prüfen, ob die Wellness-Aktivitäten verfassungskonform seien.

Die Auswärtigen Ämter der Schweiz, Deutschlands und Österreichs warnen vor Ausflügen nach Malé und empfehlen den Gästen, sich in den Medien über die aktuelle Situation zu infomieren. Die Sicherheit in den Resorts, so die übereinstimmende Einschätzung der Behörden heute, sei nicht gefährdet.

Mit "Ruhe und Ordnung", die durch brutale Repression sichergestellt wird, können sich allerdings Feriengäste und Reiseanbieter jetzt – nach dem hoffnungsvollen Aufbruch zur Demokratie auf den Malediven – nicht begnügen. Vor allem internationale Tourismusunternehmen sind gefordert, die politische Entwicklung aufmerksam zu verfolgen und zu prüfen, ob ihre Geschäftstätigkeit noch mit dem Gebot der Wahrung von Menschenrechten vereinbar ist, oder ob ihre unternehmerische Verantwortung eine Neugestaltung der Geschäftsbeziehungen verlangt.


Der Konflikt geht weiter

Basel, 01.03.2012, akte/ Ein grosser Teil der maledivischen Bevölkerung versammelt sich täglich zu Demonstrationen und fordert baldige Wahlen und ein Ende der brutalen Polizeigewalt. Das berichtet "Friends of the Maldives", eine britische Organisation, die sich seit 2003 für Menschenrechte in den Malediven einsetzt und auch soziale und Gesundheitsprojekte auf den Malediven realisiert. Die Demonstrationen finden zwar hauptsächlich auf der Hauptinsel Malé und anderen bevölkerten Inseln statt, doch es könnte auch in den Resorts zu gewerkschaftlichen Aktionen kommen, bei denen man enge Verbindungen zu den Putschisten und ihren Menschenrechtsverletzungen vermutet. "Friends of the Maldives" empfiehlt Ferienreisenden, Resorts zu meiden, die mit dem Konflikt in Verbindung stehen. Sie nennen namentlich Sun Island Resort and Spa – das Resort, von dem aus im Februar die neusten Folgen von  "Deutschland sucht den Superstar" gesendet wurden. Ausserdem Bandos Island, Paradise Island – wo Mitarbeitende entlassen wurden, weil sie nicht für den neuen Präsidenten Waheed demonstrieren wollten –  Royal Island, und Holiday Island. "Diese Resorts werden mit Personen oder Gruppen in Verbindung gebracht, die unter Verdacht stehen, die Demokratie ausgehebelt zu haben und in Menschenrechtsverletzungen verwickelt zu sein", sagt Friends of Maldives.

Quellen: Verschiedene Meldungen auf www.friendsofmaldives.org/news; Maldives just can’t seem to get it right, eTurbo News 22.02.2012 www.eturbonews.com ;MPs released from Dhoonidhoo but party members remain in detention: Solih, www.minivannews.com 09.02.2012; LIVE: Stalemate in Male’ while police crackdown, beatings and arrests reported in Addu, www.minivan.com 09.02.2012; Nach Putsch: Ex-Diktator zieht wieder die Fäden, www.20minuten.ch 09.02.2012; Protests erupt after Nasheed claims resignation was ‘under duress’, and calls for Dr Waheed to step down, www.minivannews.com 08.02.2012; Maldives: political dream ends with a coup, eTurboNews 08.02.2012, www.eturbonews.com; The dregs of dictatorship, New York Times Opinion Pages, 08.02.2012 www.nytimes.com http://www.nytimes.com/2012/02/08/opinion/in-the-maldives-strangled-democracy.html?_r=2, "Mandela of the Maldives" forced out by police mutiny: Independent, www.minivannews.com 08.12.2012; Maldives government changes in dramatic scenes after police elements join opposition protest, www.minivannews.com 07.02.2012, "No one or party owns this land" – Maldivian public debate presidential overhaul, www.minivannews.com 07.02.2012; MDP condemns ‹coup d’etat›, Nasheed released by Maldives security forces, www.minivannews.com 07.02.2012; Commonwalth to provide technical assistance to help resove Maldive’s judicial crisis, www.minivannews.com 02.02.2012; Nasheeds Reformen werden in Erinnerung bleiben, www.welt.de, 07.02.2012; Government lifts ban on spas in tourist resorts and hotels, eTurboNews 04.01.2012, www.eturboneews.com; Islamic zealots shut down ‹anti-Islamic› spas in the Maldives, eTurboNews, 30.12.2011; Regierung der Malediven schließt Wellness-Center, www.Welt.de  30.12.2011