Einen iranischen Film kann man daran erkennen, dass alle weiblichen Figuren eine Kopfbedeckung tragen. Seit 1979 sind Frauen gesetzlich verpflichtet, in der Öffentlichkeit alle Körperteile ausser Hände, Füsse und Gesicht bedeckt zu halten. Das gilt selbst für das Bild einer Frau, das öffentlich gezeigt wird. Auch wenn eine moderne iranische Frau nie im Leben auf die Idee käme, mit Kopfbedeckung zu kochen – in einer Spielfilmhandlung muss sie mit Kopftuch am Herd stehen. Das wirkt befremdlich und führt dazu, dass sich ein gewichtiger Teil des Alltags im iranischen Kino nicht authentisch spiegeln lässt. Im Iran existieren eigentlich zwei Welten: Eine öffentliche und eine private. Die Erstere muss den strengen Vorgaben der religiösen Männerdoktrin folgen, die Letztere steht dieser diametral entgegen und sucht die Freiheit, von der das Individuum träumt. Es gibt viele, die sagen: Das wirkliche Leben im Iran spielt sich im Privaten ab.

Kreativ, wie Filmschaffende sein sollten, haben sie einen spielerischen Umgang mit dem Gesetz entwickelt und verwenden kecke Wollmützen statt Tücher. In "Malaria" von Parviz Shahbazi wirft die Protagonistin in der freien Natur den Schal während einem Filmschwenk im Dialog erzählend weg. Von den jüngsten Arbeiten ist das die intensivste Betrachtung des Bedürfnisses nach Befreiung vom religiösen Fundamentalismus, der das Denkschema vorgeben möchte. Der Film spielt mit den Handy-Aufnahmen einer Frau, die einmal von einer Journalistin gefragt wird, was sie als junger Mensch zur Verbesserung der Aufrichtigkeit in der Gesellschaft vorschlagen würde, und angewiesen wird zu sagen: "Als junger Mensch hat jeder von uns eine Rolle zu spielen in der Gesellschaft. Wenn ich etwas Gutes mache, steigt das Mass an Aufrichtigkeit." Die junge Frau weigert sich und meint: "Wenn Sie Ihre Frage aufrichtig stellen würden, könnte ich Ihnen sagen, was ich denke."

Damit wären wir mitten im iranischen Filmschaffen, das zum spannendsten weltweit gehört, und dies auch, weil ein jeder Filmschaffender, der etwas zu sagen hat und etwas sagen möchte, sich sehr genau überlegen muss, was er sagt und wie er es sagt, damit er seine Aufrichtigkeit nicht aufs Spiel setzt. Auf die Frage, ob er mit Zensur konfrontiert gewesen sei, meint der zweifache Oscar-Preisträger Asghar Farhadi ("About Elly", "A Separation"): "Nein, aber vergessen Sie nicht, ich bin im Iran geboren und aufgewachsen, da lernt man aufzupassen und Mittel dafür zu finden, was man realisieren will." Sein Landsmann Mohammad Rasoulof ("A Man of Integrity"), der zeitweise mit Berufsverbot und Ausreisesperre belegt war, empfindet die Existenz einer Zensurbehörde als wenig beflügelnd: "Es wird oft gesagt, dass Begegnungen mit der Zensur und die Einschränkungen zu mehr Kreativität beim Künstler führen. Doch das ist nicht immer wahr. Irgendwann erreicht man einen Sätti-gungspunkt, der den Künstler zur Verzweiflung treiben kann."

Die Religionsführer mögen das Kino nicht, können ihm aber wenig anhaben, weil es im Land viel zu beliebt ist. Ayatollah Khomeini hatte die Kinos als "Zentren der Prostitution" bezeichnet und liess mehr als 125 Säle niederbrennen. Opfer nahm man in Kauf: Allein beim Brandanschlag durch Geistliche 1978 aufs Kino Rex in Abadan sind 430 Menschen ums Leben gekommen. Man darf bezweifeln, dass sich die Religionsführer heute über die weltweiten Erfolge ihrer nationalen Filmemacher freuen. Selbst ein einzelner Freitagsbeter kann erwirken, dass ein Kassenknüller aus den Programmen genommen wird, weil er – Monate nach dem Start – gehört hat, dass es im Film um so etwas Verwerfliches wie die Liebe gehe.

War das iranische Kino während Jahren ein eher bedächtiges Medium, einer eigenen Art von beschaulichem Realismus verpflichtet, war es stark mitunter im Bereich der Kinderfilme, so verblüfft es heute in seiner Vielfalt. Verbreitet sind Beziehungsgeschichten, die meist in Wohnungen spielen und eher theatral anmuten. Daneben werden die Möglichkeiten des Kinos genutzt und genussvoll ausgereizt von Leuten wie Mani Haghighi, dessen Spielfilm "Khook" an der Berlinale lief und der schon mit "Modest Reception" und "A Dragon Arrives!" ernsthaft zu unterhalten verstand. Er sagt, es gebe Menschen, die felsenfest daran glauben, "dass sie die Wahrheit erreicht haben und sie kennen. Und wenn du ihnen nicht  zustimmst, dann stimmt etwas nicht mit dir, du musst berichtigt, bestraft und diszipliniert werden." Haghighi ist überzeugt, dass die Beschränkungen eine sehr vitale und lebendige Szene geschaffen haben, denn "im Iran kannst du keinen Film machen, ausser wenn du es wirklich, wirklich willst. Wenn du nicht dafür stirbst, einen Film zu machen, ist es beinahe unmöglich, es zu tun." 

Einer, der viel aufs Spiel setzt, ist Jafar Panahi. Mit 20 Jahren Berufsverbot belegt, hat er weltweit Solidaritätsbekundungen erwirkt und es geschafft, weiterhin Filme zu drehen. Zunächst mit Handy in der eigenen Wohnung, wo er einen Film beschreibt, den er machen will ("This is not a film"), später an einem bevorzugten Drehort des unabhängigen Filmschaffens, im fahrenden Auto, wo es keine Bewilligung braucht. Für den so gedrehten "Taxi Tehran" erhielt er in Absentia den Goldenen Bären von Berlin, vier Jahre nachdem Asghar Farhadi ihn für sein packendes Beziehungsdrama "A Separation" geholt hatte. Panahi darf nach wie vor nicht ausreisen, Farhadi hat inzwischen Filme im Westen gedreht, denen das erzählerische Potenzial zwar noch innewohnt, die aber irgendwie entwurzelt wirken, wie die späten im Westen gedrehten Filme von Abbas Kiarostami. 2011 hatte Farhadi selbst gesagt: "Man ist in seinem eigenen Land mit Sicherheit der bessere Filmemacher."

Danach gefragt, wie man im Iran denn Filmemacher werde, meint der junge Shahram Mokri: "Es gibt zwei Wege. Man dreht auf eigene Faust Kurzfilme, oder man arbeitet als Assistent bei einem Regisseur." Mokri ist ein Filmfreak, der seinen Spielfilm "Fish & Cat" in einer einzigen Einstellung gedreht hat: "Ich frage mich sehr intensiv, was wir heute im Kino machen können, damit es einen Schritt weiter geht und wir die Schrift des Kinos entwickeln können." Sein Film spielt unter Jugendlichen in einer Szenerie der Bedrohungen, und Mokri meint, das Konzept, das heute am verbreitetsten sei im Iran, wäre das der Drohung: "Alle Generationen drohen einander. Auch die Ideologen selber drohen einander wechselseitig."

Taraneh Alidoosti, eine der bekanntesten Schauspielerinnen im Iran, stellt zum unabhängigen Filmschaffen in ihrer Heimat fest: "Wir sind wie eine grosse Familie." Das sieht man auch, wenn man die Credits der Filme betrachtet. Sie hat mit Ashghar Farhadi gearbeitet und etwa in "About Elly" gespielt, in dem auch Mani Haghighi eine Rolle verkörpert, nachdem er für Farhadis grossartigen "Fireworks Wednesday" das Drehbuch verfasst hatte. "Mir ist es wichtig", sagt Alidoosti, "dass die Leute dableiben, die Stellung halten und trotz aller Schwierigkeiten versuchen, es immer besser und besser zu machen." Das machen sie, wir können uns auf weitere bewegende Filme aus dem Iran freuen. Zusammen mit Parviz Shahbazi, der in "Malaria" Szenen gemeinsam erlebter Freude eingebaut hat und sagt: "Mir scheint, dass die iranische Gesellschaft nie ein stärkeres Bedürfnis nach Freude hatte"

Walter Ruggle ist Publizist und Direktor der Stiftung trigon-film, die sich seit 30 Jahren für das Kino des Südens und des Ostens engagiert.