Fischer, NGOs und die weltweite Finanzkrise bringen die Immobilien-Tourismus-Spekulation unter Druck
Die Preisverleihung, durchgeführt an der ITB Berlin von der deutschen Nicht-Regierungsorganisation Studienkreis für Tourismus und Entwicklung, zeigt eindrücklich, dass es Alternativen gibt zur destruktiven und spekulativen Tourismusentwicklung. Die diesjährigen Gewinner sind Gemeinschaften in Peru, der Schweiz und Brasilien, welche mit viel Idealismus und Einsatz von Leuten wie du und ich geführt werden. Gemeinsame Ziele sind das Schaffen von Arbeit und Einkommen, das Reduzieren der Armut und die Erhaltung der Natur. Seit 1995 wird der Preis jährlich an zwei bis drei Gemeinschaften weltweit vergeben für sozial- und umweltverantwortliche Tourismusprojekte. „Turismo comunitario“, Tourismus zugunsten der einheimischen Bevölkerung, nimmt stetig zu in vielen Entwicklungsländern rund um den Globus. Rechtzeitig zum Klimawechsel, welcher ein neues Verhalten von Seiten der Touristen erfordern wird.
Die Dorfgemeinschaften, die im Netzwerk TUCUM (dem Gewinner aus Brasilien) zusammenschlossen sind, haben etwas anderes gemeinsam: Sie verteidigen das Recht auf ihr Stück Land (gegen den Ausverkauf der Heimat) und wollen die Küstenregionen des Staates Ceará vor der Verschandelung durch Immobilienprojekte schützen. Solche Projekte zerstören nicht nur die Landschaft, sondern sie verdrängen auch die Artesanalfischer von deren Fischstränden, zugunsten von Spekulanten aus Brasilien und anderswo.
Gescheiterte Tourismusmodelle von Weltbank und Interamerikanischer Entwicklungsbank
Eine erste Welle von Mega-Tourismusprojekten überrollte in den 70er Jahren damals noch unberührte Strände in Mexiko und der Karibik. Vorzeigemodell war das von der Weltbank unterstützte Projekt Cancún, Mexiko. Heute gilt dieser Ferienort als abschreckendes Beispiel der Massentourismus-Entwicklung. Unter anderem ist Cancún zu einem Drogenumschlagplatz unter Kontrolle des mexikanischen Drogenkartells geworden.
Leider hat die Interamerikanische Entwicklungsbank IDB nichts aus diesen Erfahrungen gelernt, denn sie unterstützte die brasilianische Regierung beim Projekt Prodetur, welches die touristische Entwicklung in 11 Küstenstaaten im Nordosten des Landes zum Ziel hat. Weder die betroffenen Dorfgemeinschaften, noch die Zivilgesellschaft wurden in die Entwicklung miteinbezogen. Doch die Fischer sind gut vorbereitet und organisiert: Mit Unterstützung von NGOs, Küstenforen und der Staatsanwaltschaft verteidigen sie die Heimat in der Öffentlichkeit und auf dem Rechtsweg.
Anlässlich des Weltsozialforums Belém 2009 konnten wir aufzeigen, dass auf dem Reissbrett allein für den Nordosten Brasiliens 33 Megaprojekte mit einem Gesamtinvestitionsvolumen von 10 Milliarden Dollars bestehen. Viele dieser Projekte enthalten Hotelanlagen, welche Regierungshilfe in Anspruch nehmen können in den Bereichen Infrastruktur, Subventionen und Steuerermässigungen. Doch wichtigster Grund für die Investoren sind die Immobilien an und für sich. Beim Verkauf kommt durch die Anzahlungen Geld in die leere Kasse – in einer Zeit, wo es schwierig ist, Investoren zu finden.
Megaprojekte in Naturschutzgebieten und auf Land der Indigenen
Eines dieser „tollen“ Projekte der spanischen Gruppe Sanchez im Bundes-Staat Rio Grande do Norte, Grand Natal Golf¹, kann im Internet bewundert werden . Falls es je gebaut wird – die nötigen Umweltlizenzen sind noch nicht erteilt und werden von der Staatsanwaltschaft hinterfragt – würden 40’000 Wohneinheiten auf einem Naturschutzgebiet mit Wanderdünen nicht weit von der Stadt Natal erstellt. Apartments, Häuser und Luxusvillen sind zum Verkauf ausgeschrieben.
Gemeinden blockieren gigantische Projekte in Ceará
Seit es aufgrund verstärkter Umweltauflagen schwieriger geworden ist, an den spanischen Küsten zu bauen, suchen Immobilienfirmen nach neuen Horizonten und entdecken Amerika neu. Die spanischen Firmen leiden unter dem Zusammenbruch des spanischen Immobilienmarktes und suchen die Verluste an den amerikanischen Küsten wettzumachen. Doch Gemeinden und Gemeinschaften in Mexiko, Nicaragua, Costa Rica, Jamaika und weiteren Ländern mobilisieren gegen die Invasion aus Europa. Ähnliche Projekte bestehen im Bundesstaat Ceará: Doch zurzeit sind sämtliche der acht geplanten Resorts blockiert – sei es durch lokale Fischervereinigungen, durch die einheimische Bevölkerung/Ureinwohner, durch NGOs oder ganz einfach, weil sie den brasilianischen Umweltanforderungen nicht genügen.
So zum Beispiel das Resort Nova Atlantida² der spanischen Gruppe Afirma, das auf Land gebaut werden soll, welches auch von den Ureinwohnern beansprucht wird. Weder der spanische Botschafter, welcher die Dreistigkeit hatte zu erklären, Ureinwohner seien eine Erfindung von NGOs, noch der Gouverneur von Ceará konnten Indianer und Staatsanwälte von ihrem Widerstand abbringen. Gemäss der Regierung von Ceará, welche das Projekt enthusiastisch unterstützt, löste die Gruppe Afirma den Investor Juan Ripoll Mari ab. Dieser hatte eine negative Presse wegen Untersuchungen der Schweizer Polizei im Zusammenhang mit Verbindungen zur italienischen Mafia, sowie einer laufenden Untersuchung der brasilianischen Finanzbehörden. Ripoll bestreitet jedoch, sich von Nova Atlantida zurückgezogen zu haben , und er leitet sogar ein neues Projekt weiter nördlich im Staat Piaui .
Der Standort dieses Resorts mit dem Fantasienamen „Eco-City Resort“³ befindet sich in einem Naturschutzgebiet unweit der weltberühmten aber gefährdeten Dünen von „Lençois Maranhenses“. Verschiedene Berater – wie die spanische Gruppe IAC-Arquitectura – unterstützen das Projekt. Die schweizerische AG SOARBAU begleitet das Unternehmen zu Handen eines Kunden. Gemäss der Umweltbehörde IBAMA wurden bis heute keine Bewilligungen erteilt, trotzdem werden Investoren aktiv angeworben ohne darüber informiert zu sein.
Der internationale Widerstand formiert sich
Inzwischen stellen das Netzwerk REDE TUCUM und die brasilianische NGO Terramar ihr angesammeltes Know How zur Vereitelung von Immobilien-Tourismus-Projekten weltweit zur Verfügung. Demnächst soll ein weltweites Netzwerk gegründet werden mit dem Zweck, via Internet Warnungen zu verbreiten, Aktionen zu lancieren und Alliierte zu finden.
Die Idee dieses Netzwerks stand im Mittelpunkt der Intervention von alternativen Tourismusorganisationen aus Ländern wie Indien, Brasilien, Nicaragua und Costa Rica am Weltsozialforum im Januar in Belém, Brasilien (der Alternative zum World Economic Forum in Davos). In Asien überwachen die NGOs Equations of India sowie das Tourism Investigation & Monitoring Team (tim-team) von Bangkok das Geschehen; in Mexiko setzt sich die Gruppe SAVE für den Schutz der Mangroven und Schildkröten-Nistplätze an der Küste von Quintana Roo ein; in Spanien und Zentralamerika verfolgen Gruppen der Universität der Balearen, die NGOs Albasud und Greenpeace mit kritischem Auge das Tun von spanischen Hotelketten und Immobilienfirmen. Von mehr globaler Natur sind Organisationen wie MAP Mangrove Action Project und RedManglar, die sich für Mangrovenschutz und gegen Garnelen- und Lachszucht einsetzen, während ICSF (Collective in Support of Fishworkers) und WFFP (World Forum of Fisher People) Tausende von Fischergemeinden rund um die Welt mobilisieren.
Eine Vielfalt von indigenen Gruppen wie Tremembé, Tapeba und Jenipapo Kanindé in Brasilien oder Garifunas in Honduras unterstützen Ureinwohner, damit sie von ihren neu erworbenen Rechten (UN Indigenous Rights Declaration 2008) Gebrauch machen können. Und das europäische Netzwerk von NGOs für sozial- und umweltverantwortlichen Tourismus zu dem etwa der arbeitskreis tourismus & entwicklung in der Schweiz und die Arbeitsstelle Tourism-Watch des Evangelischen Entwicklungsdienstes in Deutschland gehören, informieren und betreiben Aufklärung bei Konsumenten und bei der Tourismusbranche.
In seiner Kolumne „Revenge of the Glut“ (zu Deutsch: Rache des Überflusses, Anm. d. Red.) vom 3. März in der New York Times schreibt Nobelpreisträger Paul Krugmann: „The saving glut is bigger than ever since. Suddenly impoverished consumers have rediscovered the virtues of thrift, and the worldwide property boom, which provided the outlet for all those excess savings, has turned into a worldwide bust “ (zu Deutsch: Der Überfluss an Erspartem ist grösser denn je. Plötzlich haben die verarmten Konsumenten die Tugenden der Sparsamkeit wiederentdeckt, und der weltweite Immobilienboom, bis anhin der Absatzkanal für all diese überschüssigen Ersparnisse, hat sich sich in eine weltweite Pleite verwandelt. Übers. d.Red.). Selbst die Luxus Chalets auf Palm Islands in Dubai, welche vor einem halben Jahr noch drei Millionen Dollar kosteten, sind heute weniger als eine Million Dollar wert.
Meeresökosysteme, die Fischerei und Schildkrötenpopulationen werden von der weltweiten Finanzkrise profitieren: Küstenökosysteme können sich in den kommenden Jahren erholen und wieder mehr Schutz bieten vor den Folgen globaler Erwärmung, vor Tsunamis und Hurrikanen; Mangroven, Dünen und Korallenriffe können vor der Zerstörung gerettet werden. Erst vor einigen Wochen überraschte die Regierung der Bahamas die Welt: Sie hat auf eine globale Kampagne reagiert und an der Bimini Bay einen unberührten Flecken Land zum Naturschutzgebiet erklärt und von den Bulldozern eines Immobilien und Golfplatz-Promotors gerettet. NGOs für sozial- und umweltverantwortlichen Tourismus treffen sich am 13. März an der ITB, feiern die Gewinner der TO DO! 2008 Preise und planen ihre weitere Strategie.
Gemäss der Internetseite von Juan Ripoll soll das Resort Nova Atlantida das weltweit grösste Resort werden, mit 32 Quadrat-Kilometern, 30 Hotels und 7 Golfplätzen.
*René Schärer, 1941 in Bern geboren; Lehre und Handelsschule in Bern, langjährige Auslandskarriere bei der Swissair mit Einsätzen in New York, Boston, Mailand, Madrid, Sao Paulo, Atlanta. Verliess die Swissair 1992 und wurde Entwicklungshelfer bei den Artesanalfischer an der Nordostküste Brasiliens im Staate Cearà. Er lebt zusammen mit seiner Frau Marly in Prainha do Canto Verde. Auf diesen Kommentar können Sie direkt Feedback geben: turisolcom@ich-will-keinen-spamyahoo.com.br