Die von Frankreich auf den 1. Juli 2006 geplante Abgabe auf Flugtickets soll auch in der Schweiz eingeführt werden, um neue Mittel für die dringend benötigte Finanzierung der Entwicklung zur Erreichung der Millenniumsziele zu erschliessen. Gleichzeitig müssen aber:

  • weitere innovative Instrumente zur Finanzierung der UNO-Entwicklungsziele eingeführt werden – z.B. die Besteuerung von Kapitaltransaktionen und die Bekämpfung der Steuerhinterziehung
  • effiziente Massnahmen mit Lenkungswirkung im Flugverkehr zur Eindämmung der klimaschädigenden Treibhausgase getroffen werden – z.B. den Einbezug des Flugverkehrs ins Kyoto-Protokoll und den CO2-Emissionshandel
  • gezielte Massnahmen zur Überwindung der Armut und zum Einbezug der breiten Bevölkerung der Zielgebiete in der Tourismuswirtschaft eingeleitet werden – z.B. die Einhaltung der Menschenrechte und faire Arbeitsbedingungen in der Branche

Das ist die Quintessenz eines vom arbeitskreis tourismus & entwicklung organisierten offenen Podiumsgesprächs am 7. Juni 2006 in Bern, bei dem unter der Frage: «Fliegen gegen die Armut?» ausgewiesene Fachleute aus Tourismus, Entwicklung und Umwelt die «Ticket levy», die neue Abgabe auf Flugbilletten, diskutierten. Auf dem Podium vertreten waren neben dem arbeitskreis tourismus & entwicklung die Alliance Sud – die entwicklungspolitische Arbeitsgemeinschaft der Hilfswerke, sowie die Stiftung myclimate – The Climate Protection Partnership, welche Unternehmen und Fluggästen Lösungen zur Kompensation der CO2-Emissionen anbietet.
Die Steuergelder aus der «Ticket levy» sollen in die «International Financial Facility for Immunization» fliessen, die im Rahmen der Gesundheitsbemühungen zur Erreichung der Millenniumsziele (MDGs) Immunisierungs- und Impfprogramme finanziert. Der französische Staatspräsident Jacques Chirac präsentierte die Initiative der «Ticket levy» erstmals auf dem World Economic Forum (WEF) 2005 in Davos. Bis heute wird sie von mehr als 15 Ländern unterstützt, welche derzeit die Einführung einer solchen Solidaritätsabgabe auf Flugtickets zur Entwicklungsfinanzierung planen.
Um die Millenniumsziele zu erreichen, mahnt Bruno Gurtner der Alliance Sud, sind weit mehr als die heutigen Mittel der Entwicklungszusammenarbeit nötig. Auch die Schweiz liegt mit ihren Ausgaben für die Entwicklungszusammenarbeit immer noch weit unter den von der UNO geforderten 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts. Die neue «Ticket levy» sei – selbstverständlich zusätzlich zu den bestehenden offiziellen Entwicklungsgeldern – willkommen, doch wäre eine Steuer auf Kapitaltransaktionen und die Bekämpfung der internationalen Steuerhinterziehung um ein Vielfaches ertragreicher, jedoch heute politisch nur schwer durchsetzbar. Im Unterschied zu Massnahmen in diesen Bereichen könnte die «Ticket levy» jetzt relativ schnell und unkompliziert eingeführt werden, vor allem auch, wenn nun Länder in zunehmender Zahl die Abgabe auf Flugtickets einführten und dadurch auf internationaler Ebene eine Dynamik entstehe. Auf jeden Fall – so die Alliance Sud – dürfe die Schweiz in der Diskussion um innovative Finanzierungsinstrumente der Entwicklung und insbesondere der «Ticket levy» nicht länger abseits stehen.
Die Besteuerung von Flugtickets, kritisiert Thomas Camerata von myclimate, setze weder Anreize für die Airlines, emissionsarm zu fliegen, noch für die Fluggäste, Alternativen zum Fliegen zu erwägen, denn dafür sei sie zu niedrig. Eine emissionsbasierte Lenkungsabgabe würde die richtigen Anreize setzen. Ebenso die von myclimate geforderte Einbindung des Flugverkehrs ins Emissionshandelssystem der EU: Wer weniger Treibhausgase produziert, verkauft Zertifikate, wer zuviel produziert, muss sie kaufen. Allerdings wird diese von der EU geplante Einbindung vor 2012 kaum möglich sein. Nach dem Grundsatz: Das eine tun und das andere nicht lassen, befürwortet Tomas Camerata die «Ticket levy» unter der Bedingung, dass der Druck auf den Einbezug des Flugverkehrs ins Emissionshandelssystem aufrecht erhalten wird. myclimate bietet jetzt schon Lösungen auf freiwilliger Basis für Firmen, aber auch für einzelne Fluggäste, ihre CO2 -Emissionen über energiesparende Entwicklungsprojekte in Ländern des Südens zu kompensiere. Kompensation ist – so Thomas Camerata – die zweitbeste Lösung für das Klima nach dem Verzicht auf das Fliegen. Das myclimate-Angebot eines Klimatickets für Flüge sensibilisiere die Reisenden für die Auswirkungen des Flugverkehrs auf das Klima. Auch die «Ticket levy» könne zur Sensibilisierung beitragen.
Eine Abgabe auf den von allen Steuern ausgenommenen Flugverkehrs sei längst überfällig, meint Christine Plüss vom arbeitskreis tourismus & entwicklung. Befürchtungen aus Tourismusländern, dass ausgerechnet sie mit Abgaben auf den Flugverkehr bestraft würden, hält sie entgegen, dass hohes Tourismusaufkommen und Wachstum noch keineswegs ein Garant dafür seien, dass benachteiligte Bevölkerungsschichten auch wirklich vom Tourismus profitierten. Im Gegenteil, wie all die Menschrechtsverletzungen im Zuge rasanter Tourismusentwicklungen weltweit belegten. Vielmehr seien jetzt die Verantwortlichen aus Behörden und der den Tourismus weitgehend dominierenden Privatwirtschaft gefordert, endlich gezielte Massnahmen einzuleiten, damit die Einheimischen in den Zielgebieten effektiv besser am Tourismus teilhaben könnten – Partizipation, faire Arbeitsbedingungen, die lokale Rekrutierung von Arbeitskräften und der Einkauf in der Region durch die Tourismusunternehmen seien längst bekannt als Schlüssel dazu. Erst wenn die Bevölkerung ihre Menschen-, Land- und anderen Rechte wahrnehmen könne, am Tourismus aktiv zu partizipieren und daran zu verdienen, sei die Voraussetzung gegeben, dass der Tourismus zur Überwindung der Armut beitrage. Die Besteuerung des Flugverkehrs als innovatives Instrument der Entwicklungsfinanzierung sei ein willkommener Vorschlag, meint die kritische Tourismusexpertin, doch gleichzeitig müssten sehr viel umfassender wirksame Massnahmen zur Eindämmung des Flugverkehrs und zur Überwindung der Armut im Tourismus ergriffen werden.
Die neue Abgabe auf Flugtickets – so das einhellige Fazit der Roundtable-Diskussion – kann dazu verhelfen, das langjährige Privileg des Flugverkehrs zu brechen, von allen Steuern befreit ins Unermessliche zu wachsen. Dieses Wachstum macht alle internationalen Bemühungen zur Reduktion der Treibhausgase zunichte, gefährdet besonders auch die Tourismusländer des Südens und damit alle verantwortlicheren Ansätze der Tourismusentwicklung. Allerdings ist die «Ticket levy» nur ein erster Schritt.Die Schweiz, die bislang diese Debatten bestenfalls passiv verfolgt hat, ist gefordert, sich aktiv in die internationale Diskussion um die Entwicklungsfinanzierung zur Erreichung der Millenniumsziele sowie der in der Klimakonvention eingegangenen Verpflichtungen einzumischen und in Absprache mit ausgewiesenen Fachleuten aus Nichtregierungsorganisationen Positionen zu erarbeiten und zu vertreten, die Weitsicht in wirtschaftspolitischen Fragen und Kohärenz zur Aussen- und Entwicklungspolitik der Schweiz zeigen. /sah