
Flores / Indonesien: Wie der Tourismus zur sozialen Integration körperbehinderter Menschen beiträgt
Die Insel Flores im Osten Indonesiens wird von Jahr zu Jahr von mehr Touristen bereist. War sie früher noch Geheimtipp unter Rucksackreisenden, die das grosse Abenteuer jenseits der Touristenzentren suchten, entdecken immer mehr an der Natur und Kultur interessierte Gäste die Schätze dieser aussergewöhnlichen Insel.
Umgekehrt finden die Einheimischen vermehrt Möglichkeiten, sich im Tourismus zu betätigen und ein Zusatz- oder gar ein geregeltes Einkommen zu erzielen. Da sich der Sektor regional unterschiedlich entwickelt, können nicht alle im gleichen Masse daran teilhaben. Das Geschäft boomt vor allem ganz im Westen und in der Region des Vulkans Kelimutu. Es gibt jedoch Bestrebungen, Einkommensmöglichkeiten für mehr Menschen zu schaffen: Das Projekt WISATA von Swisscontact will mit einem besonders nachhaltigen und naturfreundlichen Ansatz möglichst viele Tourismusbetriebe und Dorfgemeinschaften sowie die lokalen Regierungen in allen Regionen der Insel einbinden.
Was ist aber mit Menschen, die aus kulturellen und sozialen Gründen aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden? Körperlich behinderte Menschen beispielsweise haben kaum Chancen auf ein selbständiges Leben und eine Tätigkeit im Tourismus. Von ihren Angehörigen werden sie oft als Last wahrgenommen, weil sie nichts zum Familieneinkommen beitragen können. Sie erhalten keine oder nur eine ungenügende Ausbildung und haben somit auch keinen Zugang zum Arbeitsmarkt. Auch wenn sich Angehörige für ihre Besserstellung einsetzen wollen, finden sie kaum Möglichkeiten dazu, denn es fehlt an Infrastruktur. Schulen, Ausbildungsstätten, Transportmittel und andere Einrichtungen für geistig und körperlich behinderte Menschen sind rar.
Soziale Integration durch Ausbildung und Berufstätigkeit
Eine Ausnahme bildet "Ayo Mandiri". Die Stiftung und die gleichnamige Massageklinik wurden 2007 von einer holländischen Physiotherapeutin in Labuan Bajo gegründet, um körperbehinderten Menschen eine Ausbildung zu therapeutischen Masseurinnen und Masseuren anzubieten und ihnen zu ermöglichen, selbständige und selbstsichere Mitglieder der Gesellschaft zu werden. Heute arbeiten in der Massageklinik sieben diplomierte therapeutische Masseurinnen und Masseure, die blind, sehbehindert, gehörlos oder schwerhörig sind. Vier davon – zwei Männer und zwei Frauen – sind seit dem ersten Ausbildungsgang 2007 dabei und mittlerweile als "Senior Massage Therapists" qualifiziert, andere Menschen mit körperlichen Behinderungen auszubilden.
Einer dieser diplomierten "Senior Massage Therapists" ist der 25-jährige Martinus Ebar, der fast blind ist. "Anfangs hatten wir nicht viel Kundschaft", erinnert er sich. "Es hat sich aber bald herumgesprochen, dass es diese Massageklinik gibt, und heute sind wir sehr bekannt. Die Klinik wird sowohl von Einheimischen als auch von Feriengästen besucht." Dank ihrer günstigen Lage profitiert die Klinik vor allem während der Hochsaison vom Tourismus.
Ebar hat nach drei Jahren eigener Arbeitserfahrung in der Massageklinik einen Managementkurs besucht und ist heute nicht nur diplomierter Masseur und Trainer, sondern auch stellvertretender Geschäftsführer und Leiter der Administration. Er koordiniert die Aus- und Weiterbildungen der andern Angestellten. Sie können Lehrgänge in jenen Therapien besuchen, die zum Angebot der Klinik gehören. Dazu zählen die balinesische Ganzkörpermassage in Kombination mit Akupressur, die Fussreflexzonenmassage und die "Hot Stone Massage". Erst kürzlich schlossen zwei weitere Angestellte – eine gehörlose Frau und ein blinder Mann – eine Zusatzausbildung in "Hot Stone Massage" ab.
Gestärktes Selbstvertrauen – auch dank Touristen
"Ich wollte arbeiten und selbständig sein, was in Flores für Menschen mit einer Behinderung fast nicht möglich ist", sagt Martinus Ebar. Deshalb habe er sich nach dem Schulabschluss zu dieser Ausbildung entschlossen.
"Ayo Mandiri" bedeutet "Auf geht’s, lasst uns unabhängig sein!" Nebst ihrer Tätigkeit als Masseurinnen und Masseure bilden die "Senior Massage Therapists" andere körperbehinderte Menschen aus, begleiten sie in ihre Dörfer und unterstützen sie beim Aufbau einer eigenen Massagepraxis. Dies fördert nicht nur die Unabhängigkeit und soziale Integration ihrer angehenden Berufskolleginnen und -kollegen, sondern stärkt auch ihr eigenes Selbstvertrauen.
Der Einfluss, den die Reisenden auf diese Entwicklung haben, ist nicht zu unterschätzen. Denn nicht nur die verantwortungsvolle Ausübung ihrer Tätigkeit, sondern auch die positiven Erfahrungen mit den Klienten stärken das Selbstwertgefühl der Masseurinnen und Masseure. Die grosse Beliebtheit der Massagen bei den Reisenden beeinflusst die Wahrnehmung der Einheimischen. Sie sehen, dass Menschen mit Behinderungen eine wesentliche Rolle in der Gesellschaft spielen können und sollen. Nehmen in der Folge auch mehr Menschen aus der Umgebung ihre Leistungen in Anspruch, entsteht ein direkter Kontakt und die Vorurteile gegenüber körperbehinderten Menschen werden abgebaut. Zudem dient der Umstand, dass Menschen mit einer Behinderung als diplomierte Masseurinnen und Masseure arbeiten, auch als Ansporn für andere, sich in der Tourismusbranche zu engagieren, sei dies in der Gastronomie, im Verkauf oder im Wellness-Bereich.
Die Autorin dieses Beitrags, Patrizia Kieliger, ist Ethnologin und hat die Insel Flores bereits mehrmals bereist und Feldforschungen durchgeführt. Sie war 2008 im Projekt WISA verantwortlich für den Aufbau eines gemeindebasierten Öko-Trekking-Projektes.
Mehr über Angebote in Flores und Komodo, die auch den Einheimischen etwas bringen, erfahren Sie in den drei einzigartigen Reiseführer zu Flores und Komodo / Indonesien von WISATA, dem gemeinsame regionale Tourismusentwicklungsprojekt des indonesischen Ministeriums für Kultur und Tourismus und des schweizerischen Staatssekretariats für Wirtschaft SECO. Das Projekt wird von Swisscontact, der Entwicklungsorganisation der Schweizer Wirtschaft, umgesetzt und bezweckt die Förderung eines nachhaltigen Tourismus, von dem die lokale Bevölkerung, das einheimische Gewerbe und die Provinz East Nusa Tenggara, zu der Flores gehört, profitieren sollen. Die drei Reiseführer können Sie im Shop auf fairunterwegs bestellen.