Sehr geehrter Dr. Sommerferien

Aufgrund der Corona-Pandemie ist der Tourismus 2020 derzeit komplett zum Stillstand gekommen. Sehen Sie Möglichkeiten, den Fremdenverkehr positiv zu beeinflussen? Ich denke da an den Lebensmittelhandel, welcher mit Einschränkungen weiter offen ist, ist das im Tourismus auch möglich?

Mit freundlichen Grüssen

Paul Thurn und Taxis, Gastgewerbekaufmann 

Lieber Paul Thurn und Taxis

Besten Dank für Ihre spannende Frage, die in dieser turbulenten Zeit vermutlich auch andere Tourismus-Professionals bewegt. Tatsächlich stellt die Corona-Krise viele Tour Operators, Reiseanbieter und Gaststätten vor grosse bis existenzielle Probleme. Trotzdem ist Panik jetzt nicht angesagt. Viele sitzen im gleichen Boot und einige haben schon (bisweilen unkonventionelle) Lösungen gefunden. 

Wie in zahlreichen anderen Branchen gilt es derzeit auch im Tourismussektor, kreativ zu sein und Möglichkeiten auszuloten. Ich sehe ganz verschiedene konkrete Optionen, wie Tourismusbetriebe proaktiv auf die Krise reagieren oder je nach Situation sogar aus der Not eine Tugend machen können.  

1. Identifizieren Sie Ihre Bedürfnisse. In Deutschland, Österreich und der Schweiz haben die Regierungen grosse Hilfspakete mit besonderen Lösungen für KMU geschnürt, von denen auch Tourismus-Unternehmen profitieren können. Wenden Sie sich an Ihren Verband; die meisten arbeiten jetzt unter Hochdruck, um die besten Lösungen für ihre Mitglieder auszuhandeln. Reden Sie auch mit Ihren Gläubigern. Zum Beispiel könnte Ihnen der Vermieter entgegenkommen, weil die Mietsache nicht mehr den gleichen Wert hat, wenn sie nicht für den Zweck genutzt werden kann, für den sie gemietet wurde.  

2. Überlegen Sie sich, was Sie zu bieten haben. Verschiedene Gaststätten liefern zum Beispiel Essen aus. Möglicherweise könnten Ihre Mitarbeitenden leihweise bei einem Lieferdienst tätig sein, oder Sie könnten Ihren Lieferwagen vermieten. Wenn Sie jetzt gute Win-Win-Angebote machen, stärkt das Ihr Netzwerk auch für nach der Krise. Lassen Sie Ihre Kreativität spielen und entwickeln Sie neue lokale Produkte, zum Beispiel die virtuelle Geburtstagsparty, bei der Sie die Teilnehmenden mit dem Essen und der Deko ausstatten. Inspirieren können Sie sich unter anderem in der htr Hotel Revue, die täglich beispielhafte Initiativen und Aktionen von Hoteliers, Gastronominnen und Touristikern vorstellt. So etwa das Hotel in Winterthur, das sich entschieden hat, den Betrieb trotz Corona-Krise weiterzuführen und die Leitung in Projektform an die Lernenden und PraktikantInnen zu übergeben – eine einmalige Chance für die zukünftigen Fachkräfte. Travelnews berichtete kürzlich über ein Hotel in Rüschlikon ZH, das Zimmer als Homeoffice anbietet für all jene, die zwischendurch eine Alternative zu den eigenen vier Wänden suchen. Spannend ist zum Beispiel auch die Lösung des Londoner Bürgermeisters, Obdachlose in Hotels zu unterbringen. Von dieser Massnahme profitieren sowohl die betroffenen Obdachlosen, die vor dem Coronavirus geschützt werden sollen, als auch die Hotels, die einige ihrer Zimmer zumindest vorübergehend auf Kosten der Stadt vermieten können. Warum also nicht mal bei den lokalen Behörden anklopfen und sie auf diese Möglichkeit aufmerksam machen? 

3. Nutzen Sie die gewonnene Zeit: Die Corona-Krise zeigt, wie anfällig der Tourismus ist. Die Nachfrageflaute öffnet Zeitfenster, um jetzt eine gute Nachhaltigkeitsstrategie auszuarbeiten, quasi für ein “Reboot mit Weitsicht”. Inspirieren Sie sich dafür mit Online- Weiterbildungsangeboten. Schauen Sie sich zum Beispiel einmal auf der Website des „Roundtable for Human Rights in Tourism“ um und probieren Sie die dort angebotenen Online-Tools aus. Oder testen Sie das E-Learning-Angebot von TourCert. Auch fairunterwegs bietet übrigens mit dem Toolkit “Fit für die Agenda 2030 im Tourismus” einen guten Einstieg in die Nachhaltigkeit. Und noch ein Tipp für (insbesondere kleinere) Betriebe in Deutschland: Es lohnt sich, das Qualifizierungschancengesetz zu studieren!  

4. Verschieben statt Canceln? Der Deutsche Reiseverband (DRV) und der Deutsche Tourismusverband (DRV) haben die Kampagne “Wer reisen liebt, verschiebt” ins Leben gerufen. Tourismusunternehmen sollen ihren Kundinnen und Kunden ans Herz legen, bereits gebuchte Reisen aus Solidarität nicht zu stornieren, sondern zu verschieben, damit die Liquidität in den Unternehmen bleibt. Diese Empfehlung unterstütze ich – als Experte für Nachhaltigkeit – natürlich nur bedingt. Sollten Sie eine zweiwöchige Auszeit bei einem kleinen Tessiner Familienbetrieb gebucht oder eine Velotour entlang von Zeltplätzen am Doubs geplant haben, gibt es meiner Meinung nach nichts dagegen einzuwenden, die Reise zu verschieben statt zu canceln. Bei geplanten Weekend-Shoppingtrips nach New York oder Luxuskreuzfahrten im Indischen Ozean bin ich allerdings skeptisch. Im Zweifelsfall rate ich hier: Stornieren Sie Ihre Buchung und investieren Sie das eingesparte Budget in eine menschen- und umweltfreundlichere Reiseform – oder machen Sie eine Spende an fair unterwegs – arbeitskreis tourismus & entwicklung. 😉  

Freundliche Grüsse

Haben auch Sie eine Frage zu Nachhaltigkeit auf Reisen? Dr. Sommerferien freut sich über Ihre E-Mail an info@akte.ch