Guten Tag Dr. Sommerferien

Die Organisation fair unterwegs kümmert sich auch um ethische Grundsätze und Menschenrechte.

Mir fällt auf sozialen Plattformen wie Facebook und Instagram auf, dass Nutzer die Bilder von fremden Völkergruppen öffentlich präsentieren. Teilweise in Kontext mit religiösen Inhalten. Sowohl ethisch wie auch aus medienrechtlicher Sichtweise müsste man dieses Thema näher angehen. Weil die abgelichteten Personen finanziell in einer Notsituation stehen, wird hier kaum etwas passieren.

Im Übrigen habe ich einen Nutzer und Bekannten mit freundlichen Worten darum gebeten, die Bilder mit religiösen Inhalten und situativ abgelichtete Fotos von Menschen vom Netz zu nehmen. Als Reaktion hat er mein Profil und meine Mobilenummer bemerkungslos gesperrt.

Mich würde Ihre Meinung gegenüber diesem Thema interessieren.

Besten Dank und freundliche Grüsse

C. Probst 

Lieber C. Probst 

Ist es nicht schön, anhand des Fotoalbums die letzte Reise Revue passieren zu lassen? Erinnerungen festzuhalten scheint ein grosses Bedürfnis zu sein. Gemäss Naturfreunde Internationale NFI werden alle zwei Minuten in etwa so viele Fotos gemacht, wie die gesamte Menschheit im 19. Jahrhundert hervorgebracht hat, die Hälfte davon auf Reisen.  

Längst nicht alle, die knipsen, tun dies mit der nötigen Rücksichtnahme gegenüber der lokalen Bevölkerung. So sollte es doch eigentlich selbstverständlich sein, vor Porträtaufnahmen um Erlaubnis zu bitten oder sich über die Kultur so weit zu informieren, dass klar ist, in welchen Situationen Fotografieren tabu ist. Aber oft überwiegt der Wunsch, Neues, Anderes, “Exotisches” festzuhalten. Und manche Reisende verstecken sich auch gerne hinter der Kamera, um sich nicht direkt mit der Situation auseinandersetzen zu müssen. Deshalb sage ich es hier laut und deutlich: Das Recht auf das eigene Bild gilt nicht nur hierzulande, sondern auch überall dort, wo wir hinreisen. Wer Menschen ohne deren Einverständnis fotografiert, verletzt deren Würde. Das gilt auch bei Kindern. 

So lange diese Bilder in persönlichem Besitz oder im Ferienalbum verbleiben, hält sich der Schaden meist in Grenzen. Werden die Fotos aber in sozialen Medien öffentlich gemacht, entfalten sie eine ganz neue Wirkung. Das wettergegerbte Gesicht des Gemüseverkäufers in Marokko, aus Faszination festgehalten, wird auf Instagram zur Trophäe, die unsere Weltläufigkeit belegt und den Marokkaner zum Exoten stempelt. Die beim Trekkingaufenthalt im nepalesischen Dorf aufgenommenen Frauen und Männer verkommen nach der Veröffentlichung auf Facebook zur Völkerschau. Das Begräbnis am Ganges, mit dem Zoom verstohlen eingefangen, wird in der Insta-Story zum Affront für alle InderInnen, deren intimes Ritual zu einem voyeuristischen Event degradiert wird. Wer möchte schon das Begräbnis seiner Mutter oder seines Freundes irgendwo in Asien als Ferienbild publiziert sehen? 

Nicht alles was ethisch fragwürdig ist, kann medienrechtlich belangt werden. Klagen müssten in erster Linie ja die Betroffenen, denen die Möglichkeit dazu oft fehlt. Deshalb setze ich auf Aufklärung. Insbesondere auf die folgenden sechs Schritte, um auch beim Fotografieren und auf Social Media fair unterwegs zu sein: 

Seien Sie selbstkritisch! 

Welche Vorstellungen leiten Sie bei der Wahl des Foto-/Videomotivs? Staunen oder Abhaken von "Sehenswertem". Selbstdarstellung oder Freude an der Urlaubsregion in ihren vielen Facetten? Seien Sie ein bisschen selbstkritisch und ehrlich mit sich selbst, das ist der erste Schritt hin zu einem bewussten Umgang mit der Kamera.  

Respektieren Sie lokale Religionen, Kulturen und Umgangsformen! 

Setzen Sie sich vor deiner Reise mit den lokalen Gegebenheiten auseinander, auch damit Sie über die wichtigsten Do’s and Don’ts Bescheid wissen. Machen Sie sich die Frage, ob Fotografieren erlaubt ist, insbesondere bei religiösen Stätten und Tempeln zur Gewohnheit. Übrigens: Wenn andere TouristInnen Bilder schiessen, heisst das noch lange nicht, dass es auch okay ist.   

Bewahren Sie die Würde Ihres Gegenübers! 

Bevor Sie ein Foto von einer fremden Person machen oder es auf Social Media teilen, fragen Sie sich selbst, ob Sie damit einverstanden wären, in dieser Art und Weise dargestellt zu werden. Vermeiden Sie beim Fotografieren intime Situationen wie Abdankungen und sensible Orte wie Rotlichtquartiere, Spitäler oder Slums. Fotos von nackten Kindern sind tabu!  

Holen Sie sich das Einverständnis ein! 

Bitten Sie die Person, die Sie fotografieren möchten, um ihr Einverständnis. Geben Sie ihr anschliessend die Möglichkeit zu entscheiden, ob das Bild gelöscht werden soll oder nicht. Fragen Sie, ob es okay ist, wenn Sie das Foto auf Social Media teilen. Fragen Sie in diesem Fall nach dem Namen und eventuell auch nach dem Hintergrund. Holen Sie sich bei Aufnahmen mit Kindern zusätzlich das Einverständnis der Erziehungsberechtigten ein.   

Verzichten Sie darauf, Stereotypen und Klischees zu verbreiten! 

Mit Ihren Fotos, Bildunterschriften und Hashtags können Sie Vorurteile und Stereotypen bestätigen – oder diese mit neuen Perspektiven herausfordern. Überlegen Sie sich also gut, welches Bild Sie von Ihrem Reiseland und der Lokalbevölkerung vermitteln und welche Geschichten Sie erzählen. Verallgemeinerungen, neo-koloniale Klischees und selbsternannte Heldinnen und Retter der Einheimischen gibt’s schon zur Genüge. 

Seien Sie offen für echte Begegnungen abseits der Fotolinse!  

Bieten Sie den Porträtierten an, mit ihnen das Bild zu teilen. Seien Sie offen für ein spontanes Gespräch, falls es sich ergibt. Seien Sie aber auch aufmerksam genug, um wahrzunehmen, wenn Ihr Gegenüber gerade nicht am Kontakt interessiert ist. Es wäre schade, wenn Sie es bei deiner Jagd nach Selfies und Likes verpassen, im Hier und Jetzt einzutauchen! Legen Sie den Fotoapparat oder das Handy auch mal weg und lassen Sie sich voll und ganz ein auf echte Begegnungen mit realen Menschen. 

Zwei spannende Dossiers zu diesem Thema gibt’s auch bei den Naturfreunde Internationale NFI: 

Freundliche Grüsse

Haben auch Sie eine Frage zu Nachhaltigkeit auf Reisen? Dr. Sommerferien freut sich über Ihre E-Mail an info@akte.ch