Freiwilligentourismus – Reflexionen aus der Perspektive des Südens
Basel, 21.04.2011, akte/ Der Freiwilligentourismus, auch Voluntourismus genannt, gehört zu einer der am schnellsten wachsenden Bereiche der Tourismusbranche und bezeichnet eine Verbindung von Tourismus und Freiwilligenarbeit, wobei der Freiwillige die Kosten für seinen Einsatz bezahlt.
Seltsame Reisende, die zahlen um zu arbeiten
Aber warum zahlen Leute Geld, um in einem anderen Land oft unter schwierigen Umständen zu arbeiten? Darüber haben sich auch Paul Miedemas Freunde in den Townships rund um East London und der Nelson Mandela Bay (Port Elisabeth) gewundert. Die Freiwilligen, mit denen Miedema arbeitet, sprechen von Dingen wie "der Gemeinschaft etwas zurückgeben", "etwas bewirken", "kulturell eintauchen", "Erfahrungen für das eigene CV sammeln", "Kenntnisse austauschen" usw. – Paul hat dazu seine ganz eigenen Gedanken.
Klar ist für ihn, dass Südafrika eine ideale Destination für Freiwilligentourismus darstellt: Hier engagieren sich Unternehmer im Rahmen ihrer geschäftlichen Tätigkeiten aktiv für die Aufgabe der Veränderung; die Wirklichkeit von Armut und Ungleichheit ist im Alltag fassbar. Die SüdafrikanerInnen wissen, dass sie – junge Leute, jeder einzelne von ihnen – etwas in diesem Land bewirken müssen, um den gegenwärtigen Zustand zu verändern, einen Status quo, bei dem es an sozialer und wirtschaftlicher Gerechtigkeit fehlt. Ein Land in Veränderung, wo die einzelnen Menschen etwas bewirken können: Eine ideale Konstellation für Freiwilligentourismus.
Die Schattenseiten: Abzocke von Freiwilligen, schlecht geplante Einsätze
Doch gewisse Aspekte des Freiwilligenbooms machen Miedema Sorgen: Dazu gehört das Abzocken der Freiwilligen, die oft in schlecht gewählte Projekte geschickt werden und dafür überhöhte Preise zahlen, weil der Reiseveranstalter oder die Vermittlungsagentur für Freiwilligeneinsätze hohe Margen auf das Produkt schlägt. Miedema fordert eine viel bessere Aufklärung der Kunden darüber, wohin wieviel des bezahlten Preises fliesst.
Noch gravierender findet er die negativen Auswirkungen schlecht geplanter und begleiteter Freiwilligeneinsätze auf die Gemeinde-, Schutz- und Umweltprojekte. Wenn etwa die Betroffenen in den Projekten gar nicht gefragt werden, wie viele Freiwillige sinnvoll eingesetzt werden können, wenn weder die Bedürfnisse des Projekts noch die Fähigkeiten der Freiwilligen richtig abgeklärt wurden, wenn selbst in heiklen Einsatzstellen wie Waisenhäusern oder Schulen die Freiwilligen nicht mit einem ernsthaften Verfahren, zu dem beispielsweise auch ein Leumundszeugnis gehört, ausgewählt wurden.
Die Chance eines vertieften gesellschaftlichen Dialogs
Ein gut vorbereiteter, gut ausgewählter und fähiger Freiwilliger kann für die gastgebende Gemeinde viel Positives bewirken, ist Miedema überzeugt. Nebst dem Weitergeben von Fähigkeiten, dem Erweitern von Kompetenzen und dem Aufbau der Infrastruktur im Projekt oder dem wachsenden Verständnis der Freiwilligen für die Bedürfnisse der Lokalbevölkerung, das sie in ihr Heimatland zurücktragen, betont er besonders den vertieften gesellschaftlichen Dialog: "Das kann dazu führen, dass Armut persönlich wird, dass Not und Verletzlichkeit ein menschliches Gesicht erhalten und ein Verständnis für das gemeinsame Menschsein wächst."
Lesen Sie Paul Miedemas spannende "Betrachtungen zum Freiwilligentourismus" (pdf, Übersetzung: Nina Sahdeva, arbeitskreis tourismus & enwicklung, Basel, mit freundlicher Genehmigung des Autors)