Nützt die Schweizer Entwicklungshilfe? Was ist die Dynamik einer unregulierten Tourismusentwicklung? Der Schweizer Fotograf Fritz Berger beantwortet diese Fragen auf die ihm eigene Art mit einem Foto-Monitoring: Er fotografiert in Intervallen von mehreren Jahren von der gleichen Stelle aus und belegt so die Veränderungen der Landschaften aufgrund der Eingriffe von Mensch, Klima oder anderen Naturgewalten.

In der letzten seiner Foto-Dokumentationen führt die Reise ins nordpakistanische Kalam. Dort startete die Direktion für Entwicklung (Deza) über die Schweizer Entwicklungsorganisation Helvetas (damals noch Intercooperation) 1981 ein integriertes Entwicklungsprojekt. Unter anderem wurden Bauernfamilien unterstützt, über die reine Selbstversorgung hinaus landwirtschaftliche Produkte für den Markt anzubauen und die Bildung für Mädchen gefördert.

Kalam liegt auf rund 2’000 Metern über dem Meer auf einer Hochebene des Hindukusch-Gebirges, mit dem höchsten Gipfel auf fast 6’000 Metern. Schon seit Jahrtausenden ist das paradiesisch schöne, aber gleichzeitig karge und schwierige Terrain von Menschen besiedelt, die hier hart arbeiten, um zu überleben. 1954 wurde das Gebiet vom damaligen Gouverneur mit Strassen, Brücken, Schulen, Gesundheitsstationen und einem Spital in die Neuzeit katapultiert. 1969 kam die Kartoffel nach Kalam, ein erster Schritt aus der Armut, weil die Bauern dank höheren Ernten bessere Nahrung kaufen und bessere Häuser bauen konnten. Als der gelernte Gärtner Fritz Berger 1982 als Entwicklungsberater  nach Kalam kam, lag die Sterblichkeit von Kindern unter fünf Jahren noch bei 50 Prozent, Mädchen hatten kaum Zugang zu Bildung, wurden sehr jung verheiratet und genossen kaum Freiheiten. Kinder arbeiteten schon früh auf dem Feld mit und übten sich in ihren Männer- und Frauenrollen.

Wasser: Lebenselixier und tödliche Gefahr

Durch das Kalam-Ta fliesst der Swat-Fluss und der Kalam-Fluss. Das Wasser hilft die Felder bewässern, doch die Flüsse können zu reissenden Strömen werden, wenn die Gletscher schmelzen oder die Regenfälle aufgrund der Klimaerwärmung zunehmen. Nach der traumatischen Mega-Flut von 2010 half Helvetas beim Aufbau und der besseren Befestigung der Strassen. Die Wasserröhren, die Helvetas ermöglichte, ersparten den Frauen das Wasserholen über anstrengende und gefährliche Strecken. Berger dokumentiert den Verlust von Feldern und Strassen durch die Fluten und die Anpassungsversuche der Bevölkerung. Er zeigt, wie sich die Äcker von Monokulturen zu vielfältigen Gärten wandeln, wie Fruchtbäume an Bedeutung gewinnen und dafür die Ziegen- und Schafherden kleiner werden, und begleitet die Bilder mit gut nachvollziehbaren Erklärungen. Es sind unprätentiöse und kostbare Lektionen in Entwicklungszusammenarbeit.

Der Tourismus in seiner eigenen Dynamik

Ein eigenes Kapitel ist der Tourismusentwicklung gewidmet. Sie startete nach der Verkehrsanbindung von Kalam mit Besuchen von Regierungsbeamten im Sommer, die das mildere Bergklima suchten. Sie übernachteten in Waldgasthäusern, verbrachten müssige Stunden auf geflochtenen Matratzen an den Flüssen und Kanälen des Kalam-Flusses, fischten Forellen oder unternahmen Tagesausflüge.  In den 60er-Jahren machten Hippie-RucksacktouristInnen auf ihrer Route von London nach Kathmandu Zwischenhalt in Kalam. Ansonsten kamen kaum ausländische Gäste, bis Ende der 80er-Jahre Investoren aus tieferen Tälern und Städten Land in Kalam aufzukaufen und Hotels zu bauen begannen. Einmal in Gang gesetzt, nahm die Tourismusexpansion ihren Gang. Die meisten Hotels gehören den Auswärtigen, aber die Menschen in Kalam bieten Dienstleistungen an, führen Läden, organisieren Ausflüge oder Wanderungen. Auch die Anzahl Ferienhäuser von Städtern nimmt zu. Mit Seilbahn und neuen Strassen sollen künftig die Bergseen besser bewirtschaftet werden. Kein Plan gibt es hingegen bezüglich Abfall- und Abwassermanagement oder für die steigende Nachfrage an Brennholz. Berger plädiert für einen Masterplan für das nachhaltige Management von "Swat, der Schweiz Pakistans", so der Marketing-Slogan, mit seinen besonderen Feuchtgebieten und anderen ökologisch sensiblen Zonen. 

Der Wald als Schutz und Ressource

Nicht nur die Bilder, auch die Menschen aus Kalam geben Antwort auf die Frage, was die Entwicklungszusammenarbeit mit der Schweiz gebracht habe. Die älteren und jüngeren Befragten schätzen die besseren Bildungschancen, ihr Arbeitsaufwand hat abgenommen, sie führen ein angenehmeres Leben als früher. Die Strassen haben den Kontakt zur erweiterten Familie, zu den Märkten und in die Städte ermöglicht. Auch die Männer loben vor allem die Diversifizierung der landwirtschaftlichen Anbauprodukte, die Hilfe bei der Verbesserung der Anbautechniken und dem Marketing. Die Befragten nennen aber auch Herausforderungen, die gemeistert werden müssen: Der zu grosse Holzschlag für das Brennholz, die Klimaerwärmung, der erhöhte Verbrauch von Wasser für die Bewässerung der Felder. Sie sehen auch die Risiken des Tourismus, doch im Moment, da die Vorteile noch überwiegen, stehen sie ihm mehrheitlich positiv gegenüber.

People and Water ermöglicht nicht nur eine wunderbare Bilderreise in ein abgelegenes landschaftliches Paradies, sondern auch einen tiefen Einblick in die Komplexität von Entwicklung und deren Bewertung.

Fritz Berger: People and Water. Kalam 1982 to 2019. Helvetas Pakistan, 2020. ISBN 978-969-7957-00-2

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