Basel, 08.03.2011, akte/ "Was die da tut, das darf man nicht!" Meitli und Frauen gehören nicht auf den Berg, schon gar nicht ausgerüstet mit Seil, Pickel und erst noch Hammer, um Haken einzuschlagen, die sie hinter sich wieder sorgsam entfernen, um keine unnötigen Spuren zu hinterlassen. Mit solch grundsätzlichem Widerstand gegenüber Frauen am Berg hatten alle dreizehn Bergsteigerpionierinnen zu kämpfen, die Patricia Putschert porträtiert hat.

Aufbruch in die hochalpine Männerdomäne
Ihre Interviewpartnerinnen sind "früh los" – im wahrsten und übertragenen Sinne. Heute zwischen 70 und 100 Jahren alt, erzählen sie, wie sie zum Bergsteigen gekommen sind und sich dabei ihre eigenen Wege in dieser absoluten Männerdomäne erklettert haben. Die Einen bezeichnen sich eher als Genussbergsteigerinnen, "Blüemlialpinistinnen", die zwar wacker auch Viertausender bestiegen, doch mit Bergführern unterwegs waren und abends in der SAC-Hütte den Männern gar die Schuhe putzten. Andere wollten selber vorgehen, bildeten Frauenseilschaften, leiteten Touren und wetteiferten mit Männern um waghalsige Erstbegehungen. Jede der Geschichten zeugt von einer eigenen Faszination des Bergsteigens, aber auch von eindrücklichen Leistungen: alle Viertausender der Schweiz gemacht, schwierigste Klettertouren im ganzen Alpenraum, Expeditionen im Himalaja, in Peru, in Patagonien, mit bald 80 Jahren nochmals aufs Allalinhorn. In den Erinnerungen der Pionierinnen spiegelt sich ein spannendes Stück Frauen- und Geschlechtergeschichte. Allein das leidige Thema "Rock": Wieviele Frauen sind in Rock und mit Kniestrümpfen geklettert, haben dabei erquicklich gefroren und sich die Knie blutig geschunden. Wie oft haben Frauen bis Mitte des letzten Jahrhunderts im Bahnhof vor dem Aufstieg oder gar während des Aufstiegs erst gewagt, Hosen anzuziehen, war dies doch in der Eisenbahn einfach unschicklich. Frausein und Alpinismus – das war lange einfach keine gangbare Vorstellung.

Bergsteigerinnen im Spiegel der Schweizer Geschichte des 20. Jahrhunderts
Eigentlich begann es ganz anders: Im aufkommenden Alpinismus des 19. Jahrhunderts waren bergsteigende Engländerinnen etwa durchaus noch mit von der Partie. Als zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Berggebiet zu einem immer populäreren Erholungsraum für breitere Schichten wurde, wuchs – wie Patricia Putschert im Nachwort erläutert – unter konservativen Kräften das Bedürfnis nach Abgrenzung. Der hochalpine Raum sollte ein Ort bleiben, an dem bürgerliche Männer unter sich sein sein und sich miteinander messen können. Davon zeugt der Wandel im Schweizer Alpen-Club (SAC), der 1863 ins Leben gerufen worden war: 1907 wird im SAC entschieden, fortan keine Frauen mehr zuzulassen. Als Antwort darauf gründeten Bergsteigerinnen nach dem Ersten Weltkrieg den Schweizer Frauen-Alpenclub (SFAC). Im Wettkampf um spektakuläre Erstbegehungen nimmt das Bergsteigen zunehmend auch nationalistische Züge an. Während des Zweiten Weltkrieges wächst die nationale und militärische Bedeutung der Bergwelt als "Alpenfestung" nochmals, und der starke naturverbundene Bergführer wird zum Idealbild des wehrhaften Schweizers. Zwar sind immer mehr Frauen in der hochalpinen Bergwelt unterwegs, doch werden ihnen zahlreiche handfeste Hindernisse in den Weg gelegt. Wie die dreizehn Pionierinnen Patricia Putschert erzählen, fanden sie oft nur auf abenteuerlichen Wegen zu besserer Technik und Ausrüstung – dank dem Frauen-Alpenclub oder den Naturfreunden, wo es im Gegensatz zu gewissen Sektionen des SFAC keine gesellschaftliche Hürden gab; dank aufgeschlossenen Bergführern und -kameraden oder – gerade in Berggebieten – einer Familientradition, wo Väter auch ihre Töchter auf Hochgebirgstouren mitnahmen. Interessanterweise scheinen in Tourismusorten einheimische Frauen auf weniger Widerstand zu stossen, wenn sie auch Klettertouren unternahmen. Doch erst 1979 hat der SAC mit dem SFAC fusioniert – in gewisser Weise das Zeichen dafür, dass bergsteigende Frauen als gleichberechtigte Partnerinnen anerkannt wurden. Und erst 1986 erlangte die erste Frau das Schweizer Diplom als Bergführerin. Denn zum Bergführerberuf wurde bis dahin nur zugelassen, wer militärdiensttauglich war. Die Ökonomieprofessorin und Bergpionierin Heidi Schelbert schildert im Rückblick mit viel Witz, wie sie, entschlossen, das Bergführerpatent zu machen, in den Frauenhilfsdienst (FHD) eintrat – bei den Brieftauben, weil man da am ehesten draussen arbeiten konnte. Doch der FHD wäre nur Hilfsdienst und für das Bergführerpatent müsste man voll militärdiensttauglich sein, wurde ihr von offizieller Seite beschieden. Worauf sie möglichst schlank wieder aus dem FHD ausscheiden wollte, was ihr nur gelang, indem sie ihren Mann dazu überredete, ihr die Tätigkeit im FHD zu verbieten!

Mut zum Aufbruch
So hat jede der porträtierten Frauen eigene, oft witzige Geschichten von ihrer "Karriere am Berg" zu erzählen. Patricia Putschert schafft es, aus den Erzählungen über die Erlebnisse der Bergsteigerinnen, die in "ich-Form" wiedergegeben werden, äusserst lebendige Frauengestalten hervorzuarbeiten. Entstanden ist letztlich ein Geschichtsbuch, das sich fast wie ein Abenteuerroman liest. Ohne jegliches Pathos, das Bergsteigergeschichten ansonsten so gern anhaftet. Dafür mit Erfahrungen von Frauen, die aus längst vergangen Zeiten zu stammen scheinen und doch noch gar nicht so lange her sind. Allein in den letzten dreissig Jahren hat sich für Frauen im hochalpinen Bereich so vieles geändert. Der Aufbruch der mutigen Pionierinnen am Berg hat sich gelohnt. Und das macht Mut zu weiteren Aufbrüchen.

Particia Purtschert: Früh los. Im Gespräch mit Bergsteigerinnen über siebzig. Verlag hier+jetzt 2010, 358 Seiten, SFr. 42.-, Euro 29.80, ISBN 978-3-03919-153-6