Galsan Tschinag: Das geraubte Kind. Roman
Insel Verlag, Frankfurt, 2004
319 Seiten, Fr. 36.-
ISBN 3 458 17184 3
Das kleine Nomadenvolk der Tuwa – eine ethnische Minderheit in der Mongolei – hat einen Stammesführer, der im deutschen Sprachraum kein Unbekannter ist: Galsan Tschinag, Autor zahlreicher Bücher, die er seit seinem Gemanistik-Studium in Leipzig auf Deutsch schreibt. Im neusten Roman greift Galsan Tschinag auf eine mündlich überlieferte Tuwa-Legende aus dem 18. Jahrhundert zurück.
Der Nomadenjunge Hynndynn wächst als Waise bei Pflegeeltern auf. Fremde Besucher prophezeien dem Knaben eine schicksalhafte Zukunft. Tatsächlich wird er im Alter von sieben Jahren entführt und im fernen China ausgebildet. Der gelehrige Schüler lernt dort lesen, schreiben und rechnen sowie mehrere Fremdsprachen. Seine Muttersprache aber übt er im Stillen weiter, um so ein Stück Heimat zu bewahren und dem Umerziehungsprozess nicht gänzlich zu erliegen. Als junger verheirateter Mann wird Hynndynn in den Hohen Altai zurückgeschickt, um im Auftrag der Chinesen über seinen Stamm zu herrschen. Doch die Rechnung der Besatzer geht nicht auf, denn mit List und Tücke versuchen die Nomaden, sich der Bedrohung von aussen zu widersetzen. Auch Hynndynn muss sich nicht lange besinnen, wo er hingehört.
Es braucht etwas Geduld, bis man sich an die Bilder und den Erzählfluss von Tschinags Sprache gewöhnt hat. Je tiefer man aber in das Buch eintaucht, desto weniger kann man sich der Sogwirkung entziehen, welche die Legende – deren Gegenwartsbezug unübersehbar ist – erzeugt.
Katrin Ruchti-Fehr
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