Vera Thaler: Klimaschutz-Botschafterin auf einem Kreuzfahrtschiff ist ja durchaus widersprüchlich. Wie gehst du mit diesem Paradox in deinem Beruf als Expeditionsguide um? 

Kerstin Langenberger: Ganz ehrlich: Ich habe ein Riesenproblem mit meinem Job. Wir sind im entscheidenden Jahrzehnt der Klimakatastrophe und müssten eigentlich alles daransetzen, die Erderwärmung abzuschwächen. Die ganzen Bemühungen und Fortschritte, die momentan gemacht werden, gelten aber unverständlicherweise nicht für den Tourismus: es gibt noch keine wirklichen Ambitionen, um die Tourismusbranche klimafreundlich zu machen. In Zeiten der Klimakrise ist es einfach nur absurd, dass so viele Menschen auf Luxus-Reisen beharren, bei denen sie mit klimaschädlichen Flügen zu mit fossilen Energien betriebenen schwimmenden Hotels reisen, um sich magere Eisbären auf schmelzenden Eisschollen anzusehen. Stände es in meiner Macht, so würde ich Kreuzfahrtschiffe (und darunter fallen auch die kleinen Expeditions-Kreuzfahrtschiffe, auf denen ich arbeite) so lange verbieten, bis der Umstieg auf erneuerbare Energien gelungen ist. Dann steht Reisen auf kleineren Schiffen zugegebenermassen wenig im Weg: Die Firmen versuchen, ihre negativen Auswirkungen auf die Umwelt extrem zu begrenzen, sie unterstützen die Wirtschaft der kleinen Gemeinden, die sie besuchen und bemühen sich, die Passagiere als Botschafter*innen für die Gegenden zu gewinnen, die sie bereisen.

VT: Das klingt nach Ohnmacht der Guides. Können allein Anbieter etwas verändern/Impulse setzen?

KL: Ich habe kürzlich zwei Jahre lang mit meiner Arbeit pausiert und dabei mehrere Dinge realisiert. Die Arbeit als Guide in der Arktis passt gut zu mir und sie fehlt mir, wenn ich sie nicht ausüben darf. Die Kreuzfahrtindustrie allerdings interessiert es überhaupt nicht, ob ich nicht mehr in ihr arbeite; sie wächst auch ohne mich. Mein «Ausstieg» hat also keinen Effekt. Wenn ich aber als kritisch-denkende Klimaaktivistin bewusst in der Branche arbeite, kann ich zumindest versuchen, Veränderung anzustossen. Das geht einerseits über meine Vorträge an Bord (vor allem über kritische Themen) und dadurch, dass ich versuche, Menschen für Natur- und Klimaschutz zu motivieren. Der wohl grösste messbare Effekt, den mein Wiedereinstieg hatte, ist, dass ich fliegende Guides ersetze. Es mag verrückt klingen, aber: indem ich bewusst auf Flüge verzichte, «verdränge» ich Guides, die an meiner Stelle geflogen wären. Und somit spare ich pro Saison 10 bis 30 Tonnen CO₂ ein. Das mag nach wenig klingen, ist aber teilweise mehr als die dreifache Menge an CO₂, die ich mit meinem Lebensstil pro Jahr produziere! Wenn das mehr Leute machen würden, könnte der Effekt echt groß sein! Zumal ich offen kommuniziere, warum ich nicht mehr fliege, sowohl gegenüber Gästen als auch gegenüber Guides und Firmen.

VT: Erkennst Du bereits Effekte auf deine Kolleg*innen? 

KL: Leider habe ich bisher noch niemanden getroffen, der es mir gleichtut: Ich bin immer noch die Einzige innerhalb meines Bekanntenkreises, die diesen Job tut, ohne zu fliegen. Von Seiten der Firmen sehe ich eine erhöhte Bereitschaft, mir dabei auch finanziell zu helfen. Aber ich würde mir natürlich wünschen, dass mehr Guides ebenfalls diesen Schritt tun, und letztlich mehr Reisen angeboten werden, bei denen es auch den Gästen möglich wäre, ohne Flug solche Reisen zu tun. Das grosse Ziel ist natürlich, dass die Firmen endlich auch aktiv daran arbeiten, ihre Schiffe CO₂-neutral werden zu lassen, also wegzukommen vom Verbrennen fossiler Energieträger – und zwar ohne das Greenwashing von CO₂-Kompensation.

VT: Du hast für dein Dilemma eine Lösung gefunden, indem du nicht mehr fliegst. Wie kam diese Entscheidung?  

KL: Ganz einfach: ich kam mir vor, wie ein Hypokrit. Ich habe das Gefühl, dass viele Tourist*innen ganz bewusst diese Reisen tun, weil sie wissen, dass die Arktis schmilzt und es Eisbären in nicht allzu ferner Zukunft nicht mehr geben wird. Viele Guides haben ein schlechtes Gewissen wegen dieses Dilemmas, aber die meisten reden sich ihre Arbeit schön, in dem sie sich als Botschafter*innen von Umwelt- und Klimathemen sehen oder zumindest die Liebe für die polaren Gegenden an die Gäste weitergeben, damit diese bei sich Zuhause etwas verändern. Mir aber reicht das nicht, und so habe ich da angesetzt, wo ich mit meinem Lebensstil am meisten bewirken konnte. Ich besitze und fahre seit jeher kein Auto, ich bin Vegetarierin auf dem Weg zur Veganerin, habe mich u.a. auch aufgrund der Klimakatastrophe bewusst gegen Nachkommen entschieden – und vor fünf Jahren dann die Entscheidung getroffen, nicht mehr zu fliegen.

VT: Funktioniert dieser radikale Verzicht, wenn mensch seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland hat, beruflich aber sehr viel im hohen Norden unterwegs ist? 

KL: Ich muss deiner Formulierung «radikaler Verzicht» widersprechen. Meine Herangehensweise ist genauso wenig radikal, wie die ersten Frauen, die ihr Wahlrecht einforderten, oder die Veganer*innen, die aus Empathie keine Tiere leiden sehen wollen. Und auch der Begriff «Verzicht» ist sehr einseitig und negativ belastet. Der Ausstoß von Treibhausgasen führt uns alle in eine Zukunft, in der niemand leben will. Die momentane Kultur des «ich fliege guten Gewissens um die Welt, auch, weil ich eine Auszeit vor jeglichen negativ belasteten Gedanken suche», ist nicht zukunftsfähig und zeugt letztlich von einer gewissen Portion Ignoranz und / oder Egoismus. Zu fliegen, obwohl ich weiss, dass ich die Zukunft für mich und die gesamte Erde dadurch negativ verändere, das ist radikal! Von daher möchte ich klarstellen: ich verzichte nicht aufs Fliegen – ich entscheide mich für klimafreundlicheres Reisen. Ich suche nach «besseren Alternativen in einem verkehrten System», nach Möglichkeiten, die von mir noch unentdeckt und nicht ausprobiert sind. Ich bin für einen Systemwandel und für eine Zukunft, die lebenswert für alle ist. Die kann nur erreicht werden, indem wir unser momentanes Leben hinterfragen und überdenken. Andere Wege zu gehen, die zudem niemanden negativ beeinflussen, sollte nicht als radikal gelten.

VT: Was bedeutet das in der Praxis für deine Arbeit? 

KL: In der Antarktis zu arbeiten, ist ohne Flugreise verdammt schwierig – es sei denn, ich würde 7-8 Monate am Stück arbeiten und mit den Schiffen jeweils unbezahlt hin- und zurückfahren. Stattdessen verbringe ich die Winter nun überwiegend in Deutschland und halte Vorträge, u.a. in Namen von Greenpeace, um Menschen für mehr Natur- und Klimaschutz zu motivieren.

Die Arktis kann ich von Deutschland aus prima bereisen, wenn ich eine Saison von 3-5 Monaten einplane. Mit der Bahn reise ich zum jeweiligen Start-Hafen in Dänemark oder Norwegen, und die Rückkehr geschieht dann im Herbst über Island, denn von dort fährt regelmäßig eine Fähre nach Dänemark. Es bedeutet, dass ich den ganzen Sommer im hohen Norden bin und in meinen kurzen Auszeiten zwischen den Touren nicht zurück nach Deutschland reisen kann. Aber darauf habe ich mich mittlerweile gut eingerichtet. Letzten Juli konnte ich zum Vulkanausbruch bei Litli-Hrútur wandern, eben weil ich grade in Island war. Meiner Erfahrung nach gestaltet sich alles als viel weniger kompliziert, als es anfangs scheint. Ja, ich muss gut planen und meine Reisen sind zeitlich viel länger. Aber genau deswegen ergeben sich meist wunderbare Erlebnisse und auch Begegnungen mit Menschen, die ich sonst nie getroffen hätte.

VT: Zum Thema Expeditionskreuzfahrten: was braucht es deiner Meinung nach für eine nachhaltigere Zukunft?  

KL: Nachhaltig kann die (Expeditions-)Kreuzfahrtbranche in der Klimakrise nur sein, wenn sie 100% ohne fossile Energien auskommt. Sich freizukaufen mit Ablasszahlungen / CO₂-Zertifikaten ist reines Greenwashing, weil es dann ja weiter zur Produktion von Treibhausgasen kommt und die notwendige Veränderung dadurch einfach nur rausgezögert wird. Auch die generelle Tendenz dieser «Bubble» an Bord, dieser «Welt außerhalb der Realität», mit pompösem und gutem Essen, das extra für die Gäste um die Welt zu den Schiffen transportiert wird und somit seltenst lokal produziert und biologisch angebaut ist, ist in keinster Weise nachhaltig. Solange die Gäste bewusst eine Flucht vor der Realität, vor dem eigenen schlechten Gewissen und generell negativ-angehauchten Nachrichten, wie etwa auch Eigenverantwortung suchen, und die Tourismusanbieter nicht in die notwendigen Veränderungen zur Anpassung an die Klimakrise mit eingebunden werden, wird sich in der Branche vermutlich wenig ändern.

Kerstin Langenberger

Kerstin ist studierte Umweltwissenschaftlerin, professionelle Naturfotografin und Guide in der europäischen Arktis. In den Wintermonaten tourt Kerstin als Vortrags-Referentin durch die deutschsprachigen Ländern. Sie nimmt sich viel Zeit, ihre Reisen in den hohen Norden selbst zu planen und verzichtet, wo es möglich ist, auf Fähren. Was ihr für die perfekte Reiseplanung ohne Flugzeug noch fehlt, sind Foren oder Austauschbörsen, auf denen man sich Kojen und Autos teilen kann.

Auf der Suche nach Inspiration? In ihrem Blog erzählt Kerstin von ihren ungewöhnlichen Reise-Abenteuern.