Bis Ende März mussten die Mitglieder der Welthandelsorganisation (WTO-OMC) bekannt geben, für welche Bereiche der Dienstleistungen sie künftig ihre Märkte weiter öffnen wollen. Ein überaus heisses Eisen, stehen doch so heikle Dienstleistungen wie Bildung, Gesundheits- oder Wasserversorgung zur Diskussion, die gemeinhin zum „Service public“ gezählt werden und deren Privatisierung deshalb äusserst umstritten ist. Etwas im Schatten dieser hitzigen Debatten stehen Sektoren wie Banking und Tourismus, deren weitere Liberalisierung jedoch auch gravierende und zudem völlig unabsehbare Folgen mit sich bringt.
1994, als zum Abschluss der Uruguay-Runde des GATT erstmals Dienstleistungen in die Verhandlungen, GATS-General Agreement on Trade in Services, aufgenommen wurden, hat die überwiegende Mehrheit der Länder Bereiche aus dem Tourismus zur Marktöffnung angeboten. Seit 2000 wird, trotz aller Proteste wie ursprünglich geplant, weiter über Dienstleistungen verhandelt , dies allerdings ohne jegliche Auswertung der bisherigen Folgen der bereits eingegangenen Freihandelsverträge. Im vergangenen Sommer haben die WTO-Mit-glieder ihre konkreten Forderungen an die Handelspartner für Marktöffnungen im Dienstleistungsbereich am Hauptsitz der WTO-OMC in Genf deponiert. Jetzt waren ihre Zugeständnisse fällig. Die ganzen weitreichenden Weichenstellungen für die beteiligten Staaten erfolgen unter Verschluss und ohne den betroffenen Bevölkerungen auch nur ein Mindestmass an Einsicht, geschweige denn Mitsprache zu gewähren.
Als kürzlich der umfangreiche Forderungskatalog der EU-Länder durch eine undichte Stelle an die Öffentlichkeit gelangte, sahen sich die KritikerInnen dieser völlig undemokratischen Verhandlungen in ihren schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Mit einem offenen Brief wandte sich die Nichtregierungsorganisation EQUATIONS aus dem südindischen Bangalore, die sich als eine der wenigen Fachstellen weltweit mit der komplexen GATS-Materie insbesondere hinsichtlich dem Tourismus auseinandersetzt, an den indischen Premierminister Vajpayee. Darin machte EQUATIONS die indische Regierung auf die zahlreichen Finten und Fallstricke der Abkommen aufmerksam, die den wenig mit Tourismus vertrauten Unterhändlern der GATS-Abkommen mit grösster Wahrscheinlich schlichtweg entgehen. Das Schreiben macht deutlich, wie umsichtig die Unterhändler klare Beschränkungen und Ausnahmen fest-legen müssen, damit die lokalen Gesetzgebungen etwa zum Schutz der natürlichen Ressourcen, zur demokratischen Mitsprache der Gemeinden oder zum Schutz der Arbeitnehmenden im Tourismus nicht einfach durch die internationalen Abkommen ausgehebelt werden.
Nicht dass die indischen Unterhändler bei der WTO-OMC besonders unkompetent wären. Ganz ähnliche Befürchtungen machte die Erklärung von Bern (EvB) und weitere Koalitionspartner kürzlich bei der Schweizer Regierung geltend mit der einprägsamen Forderung bezüglich GATS: „Bitte leer einlegen!“. Wir wissen auch als Schweizer BürgerInnen nicht, was unsere Regierung in der WTO-OMC zur Marktöffnung genau anbietet, noch was sie von ihren Handelspartnern, gerade auch im Bezug auf Tourismus, fordert. Unter öffentlichem Druck wird beteuert, der „Service public“ werde geschützt und die Länder des Südens würden nicht mit Forderungen überstrapaziert. Die volle Transparenz und eine öffentliche Debatte über die laufenden Dienstleistungsverhandlungen sind jetzt dringend gefordert.
Für die Verhandlungen im Tourismus bleibt der ohnmächtige Eindruck, dass wegen der fehlenden Evaluation, die eigentlich von der WTO-OMC vorgeschrieben war, niemand so genau weiss, welche Auswirkungen weitere Liberalisierungen haben, gerade auch für die schwächeren Länder des Südens, die stark vom Tourismus abhängen. Tourismus sei ohnehin schon weitgehend liberalisiert, heisst dann jeweils die lapidare Begründung seitens der Behörden zur Untermauerung des Argumentes, da könne eine weitere Marktöffnung kaum Schaden bringen. Tourismus wird deshalb auch als Pfand zur Verteidigung anderer Interessen, des „Service public“ etwa in der Schweiz, oder Interessen in anderen Wirtschaftszweigen wie der Landwirtschaft, dem Textil, Eigentumsrechten etc. in die Verhandlung geworfen. Unterschätzt wird dabei, wie tief Tourismus in die Lebensbereiche der Menschen in den Gastregionen eingreift, auch wenn sie nicht direkt im Tourismus tätig sind. Die jetzige Weichenstellung kann schwere Folgen für die Natur und den Alltag der Menschen in den Tourismusländern mit sich bringen und eine künftig nachhaltige Entwicklung substanziell gefährden. Wie kann zum Beispiel noch sicher gestellt werden, dass eine transnationale Hotelkette, die zu einem transnationalen Touroperator aus dem Norden gehört, sich in Zukunft mit Produkten aus der Region eindeckt, lokale Reiseleitungen, die ein adäquates Bild des Reiselandes abzugeben vermögen, berücksichtigt und schult, lokale Arbeitskräfte zu fairen Bedingungen fördert, Kulturangebote aus der Region und Bestrebungen zum Empowerment benachteiligter Bevölkerungsgruppen und ihrer Mitsprache im Tourismus unterstützt? /plus

Quellen: Open Letter to the Prime Minister of India on the GATS Negotiations, www.equitabletourism.org; Marianne Hochuli: “Bitte leer einlegen”, in die Wochenzeitung WOZ 6.3.2003; laufend aktuelle Informationen auf: www.evb.ch und www.seco.admin.ch