Die Fussballweltmeisterschaft 2010 kam nach Südafrika und ist mittlerweile Geschichte – geblieben sind jedoch der Stolz der Südafrikanerinnen und Südafrikaner auf diese Veranstaltung und das Gefühl, etwas Grosses vollbracht zu haben. Im Vorfeld gab es viele Spekulationen darüber, ob unser Land in der Lage sein würde, ein solches Turnier zu veranstalten. Das Selbstvertrauen, das daraus entstanden ist, dass wir diese Veranstaltung durchgezogen und eine überzeugende Leistung erbracht haben, ist etwas, das wirklich ein Anlass zum Feiern ist. Während fünf Wochen schienen die Südafrikanerinnen und Südafrikaner nicht mehr darauf zu achten, was ihnen fehlt, sondern darauf stolz zu sein, was ihnen zur Verfügung steht. Während fünf Wochen schienen sich die Dinge, welche die Menschen voneinander trennen, zu ändern. Wir gingen aufeinander zu und hiessen die ganze Welt mit offenen Armen willkommen. Für mich persönlich war dies eine beeindruckende Erfahrung. Das letzte Mal hatte ich während den Wahlen im Jahr 1994 die gleichen Gefühle von freudiger Aufregung und Erwartung gehabt. Ich sah mir im Stadion die Begegnung Deutschland gegen Australien an und war erstaunt über die Organisation, die Professionalität und die Brillanz des Spiels. Emotional stark berührten mich die Kontakte zwischen den Menschen, die sich sehr über das Zusammensein freuten, unabhängig davon, welches Team sie unterstützten.

Fünf Wochen Zwangspause
Was die Tätigkeit unserer Organisation anbe- langt, unterstützte Dlalanathi Gemeinden, die sich während den langen WM-Sonderschulferien mit speziellen Massnahmen um die Schulkinder kümmerten. Im Vorfeld wurde nämlich auf nationaler Ebene beschlossen, die Schulen während der Weltmeisterschaft zu schliessen, um den Verkehr zu entlasten. Dieser Entscheid wurde nicht zum Wohle der südafrikanischen Kinder gefällt, denn Kinder sind während der Ferien verletzlicher, weil ihre Eltern trotzdem arbeiten müssen. Sehr viele Kinder sind dann unbeaufsichtigt zu Hause. Unbeachtet blieb auch die Tatsache, dass die Kinder aus armen Quartieren abhängig sind von den Ernährungsprogrammen der Schu- len. Im Anschluss an unsere regelmässigen Schu- lungen und Gruppenarbeiten mit Betreuerinnen und Betreuern und mit Mitgliedern der lokalen Gemeinschaften wurden wir deshalb wiederholt gebeten, Ferienprogramme für Kinder zu veran- stalten. Die Erwachsenen wünschten sich Aktivitäten, mit denen verhindert werden konnte, dass die Kinder unbeaufsichtigt waren, und mit denen sie vor den damit verbundenen Gefahren bewahrt werden konnten.
Dieser Bitte nachkommend, nahmen wir im April mit dem Children’s Rights Centre (Zentrum für die Rechte der Kinder) Kontakt auf, das kurz zuvor ein Buch mit dem Titel «A chance to play» (Eine Chance aufs Spielen) veröffentlicht hatte. Dabei handelt es sich um ein Handbuch, mit dem Spiele für Kinder in Südafrika gefördert werden. Vertreterinnen und Vertreter dieses Zentrums kamen in beide Gemeinden, in denen wir tätig sind (KwaPata, eine städtische Gemeinde in Pietermaritzburg, und Mfakatini, eine ländliche Gemeinde ausserhalb unserer Stadt).
Sie unterstützten uns bei der Veranstaltung von Workshops für die Menschen der lokalen Ge- meinschaften. Dabei ging es um die Frage, wie ein Ferienprogramm für die Kinder mit den Ressourcen durchgeführt werden kann, die in der Gemeinde bereits vorhanden sind. Wir informierten auch das lokale Amt für Sport und Freizeitaktivitäten. Dieses zeigte sich von unserer Initiative begeistert und stellte uns für beide Gemeinden Fussbälle und Spiele zur Verfügung. Im Rahmen der im Juni und Juli durchgeführten Ferienpro- gramme wurden die Kinder von Betreuerinnen und Betreuern beaufsichtigt. Mehrere hundert Kinder nahmen an den Spielen, am Singen von Liedern, am Erzählen von Geschichten und an verschiedenen handwerklichen Aktivitäten teil. Ausserdem bestritten sie unzählige Fussballpartien, für die sie die Namen ihrer Fussballhelden annahmen. Für das Dlalanathi-Team war dies eine grossartige Erfahrung. Das war nicht unser Ferienprogramm, sondern das Programm der lo- kalen Gemeinschaften. Dank unserer Unterstützung konnten sie das verwirklichen, was sie sich für ihre Kinder gewünscht hatten. Für unsere Or- ganisation war dies ein grosser Erfolg.
Mit neuem Selbstbewusstsein
Seit dem Schlusspfiff der Weltmeisterschaft sind drei Wochen vergangen. Vuvuzelas sind keine mehr zu hören, der normale Alltag hält wieder Einzug, die Kinder gehen wieder zur Schule und die abgenutzten Fahnen wurden heruntergeholt. Unsere Regierung steht wieder vor der Herausforderung, die notwendigen Dienstleistungen für den armen Teil der Bevölkerung zu erbringen, und die Kriminalität und Korruption gehören nach wie vor zu den grössten Problemen, die gelöst werden müssen. Doch die Einstellung der Menschen hat sich geändert. Wir haben zwar weiterhin grosse Herausforderungen zu bewältigen, doch wir tun dies jetzt mit der Überzeugung, dass wir auch das vermeintlich Unerreichbare möglich machen können. Wir sind jetzt stolz, Südafrikanerinnen und Südafrikaner zu sein.
Dieser Beitrag erschien in der Zeitung von Terre des Hommes Schweiz Nr. 3, September 2010. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung
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05.10.2010, akte/
WM 2010: Schweizerisches Arbeiterhilfswerks zieht ernüchternde Bilanz
Falsche Versprechungen, überrissene Schätzungen, grosse Enttäuschung: Das ist das Fazit einer Studie des Schweizerischen Arbeiterhilfswerks SAH zur Nachhaltigkeit der WM 2010. Während der internationale Fussballverband FIFA Rekordgewinne verbuchen konnte, die er aufgrund entsprechender Demarchen bei der Südafrikanische Regierung nicht einmal versteuern muss, bilanziert die Südafrikanische Regierung ein Defizit von satten 20 Milliarden Rand (2,8 Milliarden Franken). Die Studie ist online erhältlich bei www.sah.ch