Ich war im November als Sprecher zu einer Konferenz in der baskischen Stadt eingeladen. Die Organisatoren fragten, warum ich denn mit der Bahn aus Maastricht nach Bilbao kommen wolle und nicht mit dem Flugzeug. Ich hatte angegeben, dass ich eine zusätzliche Nacht im Hotel verbringen müsse wegen der Abfahrtszeiten. Tatsächlich schrieb ich ein paar höfliche Zeilen über Nachhaltigkeit, Klimaschutz, Erderhitzung und die Herausforderung universitärer Dienstreisen. Die Kostenübernahme war kein Problem. Wahrscheinlich auch, weil das Ticket überraschenderweise nicht viel teurer war als ein Flugticket.

Doch die Nachfrage zeigt ein generelles Dilemma des Klimaschutzes: Normalitätsvorstellungen. Hätte ich ein Flugzeug genommen, hätte mich niemand gefragt, warum ich denn auf die verrückte Idee käme, so viel CO2 zu emittieren, wo es doch mit der Bahn wesentlich klimafreundlicher ginge. Das Flugzeug ist in diesem Fall normal und die Bahn eben merkwürdig. Interessanterweise ist das auch heute noch so, obwohl wir seit einem Jahr in der EU den Klimaschutz rauf und runter diskutieren. Merke: Das hat die Normalitätsvorstellungen und Routinen im Bereich der Dienstreisen noch kaum berührt. Ob jemand bei uns tatsächlich die Bahn nimmt, hat immer noch mit der Einstellung des Einzelnen zu tun.

Fehlende Policy, fehlende Reglemente und Routinen

Ich kenne keine Kollegin und keinen Kollegen, die nach Bilbao die Bahn genommen hätten. Und das, obwohl Flug­reisen neben der Energieversorgung der Gebäude aus fossilen Quellen ein wesentliches Klimaproblem der Universität sind. Es gibt dafür weder Ziele, Regeln noch Routinen. Es wäre hilfreich, das Ziel „Weniger Flugreisen“ zu formulieren. Wenn möglich mit absoluten Zahlen, einem Zieljahr und einem echten Monitoring. Man könnte auch eine Regel festlegen: Dauert die Bahnreise weniger als acht Stunden, ist Fliegen keine Option. Nur mit Ausnahmegeneh­migung.

Jeder, der aus eigenem Antrieb eine internationale Bahnreise buchen möchte, merkt schnell, warum es keine Routinen gibt. Natürlich gibt es bei uns an der Uni keine Profis, die wissen, wie man am günstigsten und schnellsten mit der Bahn nach Bilbao kommt. Auch externe Dienstleister, die in fünf Minuten einen Flug buchen, haben das Know-how nicht. Bei den nationalen Bahnen anrufen nützt häufig auch nichts. Wegen des Tarifdschungels braucht es dringend eine neutrale, jedem und jeder zugänglichen Expertise.

Ohne Profis ist das Buchen internationaler Bahnfahrten zu komplex

Ich weiß, wovon ich rede. Im letzten Jahr war ich dienstlich in Porto, Budapest und eben in Bilbao. Um diese Bahnreisen auch wirklich günstig zu buchen, brauchte es Profis. Kein normaler Mensch weiß, dass etwa nach Porto ein Interrail-Ticket für Erwachsene die günstigste Lösung ist. Das weiß nur ein spezialisiertes Reisebüro, das mir die Verbindungen und die Tickets austüftelt. Dann macht das Spaß: Nach ein paar Tagen bekomme ich einen Brief mit allen Tickets, wenn nötig für die Metro zum Umsteigen in Paris. Klar ist: Solange Kolleginnen und Kollegen nicht von solchen Profis unterstützt werden, sind internationale Bahnfahrten viel zu komplex für Leute, die sich nicht zufällig hobbymäßig mit Nachtzügen und Fernverbindungen beschäftigen. Das tun Sie? Okay, dann kurz zur Reise nach Bilbao: Wenn man um 7:48 Uhr in Maastricht den Zug nach Lüttich nimmt, dort um 8:46 Uhr nach Brüssel umsteigt, von dort um 10:13 Uhr gemütlich im Thalys nach Paris Platz nimmt, dort wiederum um 12:52 Uhr den TGV nach Hendaye erklimmt, dann kann man bereits um 17:30 Uhr über die Brücke von Frankreich ins baskische Irun spazieren. Das ist besonders bei Regen herrlich. Und dann fährt einen um 18:30 Uhr der Alsa-Bus nach Bilbao. Wie im Fluge: Tatsächlich stand ich bereits um 20:30 Uhr in einer netten Tapasbar. Alle Anschlüsse hatten geklappt! Und ich war völlig ausgeruht, versteht sich.

Martin Unfried ist Politologe und Experte für europäische Umweltpolitik. Er arbeitet seit 1997 Jahren am European Institut of Public Administration in Maastricht und seit 2016 an der Universität Maastricht, dort seit 2019 als Professor am neu gegründeten „Institute for Transnational and Euregional Cross-Border Cooperation and Mobility“ (ITEM). Neben seinem Hauptberuf schreibt er regelmässig in verschiedenen Medien zu den Themen erneuerbare Energien/EEG für die taz für die VCD-Zeitschrift "Fairkehr" und unterhält die heitere Kolumne Ökosex.