Welche Auswirkungen wird die Verleihung des Alternativen Nobelpreises an PHRI für die Arbeit in Israel haben?
Ganz konkret kann ich die Auswirkungen nicht vorhersagen, da der Preis bislang in Israel nicht besonders bekannt ist. Wir werden daher die israelische Öffentlichkeit mit der Preisverleihung stärker für das Thema Menschenrechte sensibilisieren. Dies ist gerade in der aktuellen Situation sehr wichtig, da die Regierung sowohl uns als auch andere  Menschenrechtsorganisationen ignoriert und unsere Forderungen zurückweist. Einige der Medien und der Intellektuellen in Israel folgen der Regierung leider bei diesem Trend und stehen den Menschenrechten und Organisationen, die diese einfordern, sehr kritisch gegenüber.

Wie hat sich die Situation seit der Gründung von PHRI in den letzen 22 Jahren verändert, was sind die drängendsten Probleme?
Es gibt große Unterschiede zwischen der Situation von vor 22 Jahren und heute. Der größte, der sichtbarste Unterschied ist die Sperrung des Gaza-Streifens auch für unsere Arbeit. Diese Sperrung besteht bereits seit über sechs Jahren, es ist eine absolute Blockade. PHRI und ich sind gegen diese Sperrung bis vor das oberste Gericht in Israel gezogen. Aber das Gericht wies unsere Forderung auf Grund der Sicherheitslage zurück. Mit dieser Begründung wird in Israel derzeit häufig eine Beschneidung der Menschenrechte gerechtfertigt.

Es ist geradezu witzig: Ich bin vor rund 15 Jahren drei bis sechs Mal im Monat nach Gaza gefahren, eine Autofahrt von rund einer Stunde von meinem Wohnort aus. Und auf ein Mal ist dies nicht mehr möglich, wegen der Sicherheitslage. Der Hintergrund für dieses Sicherheitsdenken, liegt in der Idee der Separation, der Trennung der beiden Gruppen in Israel und den besetzten Gebieten. Die Trennmauer wird aus diesem Grund gebaut. Die Regierung will verhindern, dass sich Juden und Palästinenser treffen. Es ist eine Form von "Apartheid" Menschen komplett von einander trennen zu wollen, sei es nun mit einer Mauer oder durch andere Arten von Isolation.

Ist es daher für PHRI so wichtig, immer in jüdisch-palästinensischen Ärzteteams zu arbeiten?
Absolut. Dies ist eines der grundlegenden Prinzipien unserer Arbeit. Wir arbeiten immer gemeinsam mit den palästinensischen Kolleginnen und Kollegen, niemals allein. Dies ist die beste "Medizin" gegen Bevormundung und Überheblichkeit. Allerdings ist es ein subversiver Weg, die Realität in Israel zu verstehen und wahrzunehmen. Aus diesem Grunde sind wir bei der Regierung derzeit unerwünscht.

Die Situation im Nahen Osten ist sehr komplex, es ist immer schwer für jemanden von außen das Richtige zu tun. Sehen Sie in der Unterstützung der israelischen Zivilgesellschaft einen guten Weg, um auf eine bessere Zukunft hinzuarbeiten, diese zu ermöglichen?
Ich bin mir leider nicht sicher. Manche Mitglieder unserer Organisation haben zur Zeit der Oslo-Vereinbarungen daran geglaubt, dass eine friedliche Koexistenz eines israelischen und eine palästinensischen Staates zum Greifen nahe war. Dies war leider eine Selbsttäuschung. Ich habe damals das gesamte Vertragsdokument intensiv studiert und es war leider eher eine "Scheidungs-" als eine "Heiratsurkunde" zwischen Palästinensern und Israelis. Menschenrechte und medizinische Versorgung spielten beispielsweise nur eine untergeordnete Rolle.
Um auf PHRI zurückzukommen: Wir sind eine israelische Organisation und bei uns arbeiten Israelis, israelische Palästinenser und Palästinenser aus den besetzten Gebieten zusammen. Wir stellen uns damit jedoch gegen das Apartheidsdenken von Regierung und Teilen der Zivilgesellschaft. Sie müssen daher gut auswählen, wen Sie aus der Zivilgesellschaft unterstützen. Ich vertraue Ihnen und dem EED in dieser Hinsicht jedoch ganz und gar. Ihre Unterstützung ist uns eine große Hilfe.

Das Interview führten Jürgen Hammelehle und Michael Flacke.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des eed, erschienen im Newsletter vom 09.12.2010, www.eed.de